Wir pflegen in besonderem Maße unsere Gastfreundschaft:
Sie sind willkommen als Einzelgast oder Kursgast, zu Einzelexerzitien oder zu Tagesveranstaltungen.
Als Geschenk bieten wir unsere Klostergutscheine an.
Und wer vorab schon mal hinter die Klostermauern schauen möchte, findet hier unsere Räume.
‚Versammeltes’ Christsein
Eine Gewissenserforschung
Deutschland ist im Dressurreiten eine Top-Adresse, und Aachen allgemein im Reitsport sowieso. Schon vor meiner Aachener Zeit ist mir ein Begriff aus dem Dressursport aufgefallen, der mich stutzig, neugierig und (gelegentlich) nachdenklich machte: der „versammelte Trab“. Da wird das gängige Verb „versam-meln“ in einem Zusammenhang gebraucht, der anders ist als der im Alltagsdeutsch. Wir sagen: „Wir versammeln uns“. Kaum einer wird sagen: „Ich versammle mich“ oder „ich bin versammelt.“ Im Singular würde es wohl heißen: „Ich sammle mich“ bzw. „Ich bin gesammelt.“ Der alltagsfremde Begriff des Dressursports kann aber vielleicht das fromme „sich (zum Gebet) sammeln“ in neues Leben auffrischen. Ich gehe dabei ohne Fachkenntnisse mit meiner Sprachphantasie an den Begriff des Reitsports heran.
Ich selbst sehe und beobachte die eigenen Mitbrüder und die Leute in unseren Gottesdiensten. Die Leute in der Kirche und die Mitbrüder tun dasselbe mit uns und mit mir.
Jeder von uns sendet Signale aus. Jeder nimmt Signale der anderen wahr. Jeder verarbeitet sie unbewusst oder auch bewusst zu Eindrücken und Urteilen. Wir wissen um das Gewicht des „ersten Eindrucks“. Wir kennen den „Gesamteindruck“. Verkündigung beginnt nicht mit der Predigt und hört nicht mit ihr auf. Bevor der Prediger an den Ambo tritt, sind bereits viele Predigten zwischen mir und den Menschen um mich herum gelaufen. Und ich selbst habe schon vor meiner Ambo-Predigt viele Predigten gehalten und erhalten.
Wie er wieder dasteht, der P. Albert…! Wie hält er nur seine Bücher…! Er hat seine Bücher vor der Messe wieder mal nicht präpariert und blättert und blättert und …! Warum schaut er eigentlich immer in die Gemeinde…? Heute schaut er aber noch ernster drein als sonst…! Na, die Predigt des Mitbruders reißt ihn auch nicht gerade vom Hocker, - so wie er dahängt! Die Aufzählung kann zweifellos ins Unendliche fortgeführt werden.
Das sind alles Kurzpredigten. Es sind Dialoge zwischen mir und anderen, zwischen ihnen und mir. Es sind Dialoge mit Wirkung(en). Ihr Thema ist die Frage: „Wo bist du? Bist du wirklich da? … bei dir selbst? … bei der ‚Sache’. Bist du ver/gesammelt oder bist du ins Irgendwo hinein ver/zerstreut?“
Benedikt gibt in seiner Regel einen heilsamen Hinweis auf einen Sammel-Punkt für meine Gedanken-Diaspora im Hier und Dort und Nirgendwo. Wir stehen vor Gott. Dem gilt es gerecht zu werden (RB 19,6f). Es gilt, unser inneres Diaspora-Dasein in diesen Stand-Punkt hinein zu versammeln. Ein zweites „Gebot“ ist diesem gleich: Wir stehen für Gott vor den Menschen. In diesen beiden „Geboten“ erspürt sich die Seele eines versammelten Gottesdienstes.
Natürlich habe ich mich auch über das „Versammeln“ im Pferdesport kundiger zu machen versucht[1]. Die Fachsprache habe ich wohl nur unvollkommen verstanden, aber das eine oder andere war für mein spirituelles Interesse höchst anregend. Nur ein Satz sei hier zitiert: „Versammlung ist letztendlich die Umwandlung der entwickelten Schubkraft in Tragkraft.“ Schubkraft und Tragkraft, Energie zu Vielerlei – gebunden zu Einem. Darüber muss ich weiter nachdenken!
Zum Schluss ein Lourdes-Erlebnis der frühen 90-er Jahre. Ich begleitete einen Pilgerzug als geistlicher Leiter. Bei den Sakramentsprozessionen bestimmte ich in der ersten Reihe das Schritttempo unserer Pilgergruppe von etwa 500 Leuten. Zum Leidwesen der Brancardiers ließ ich mich nicht aus meinem gleichmäßigen Prozessionsschritt bringen. So entstanden zwar immer wieder Lücken zu der Gruppe vor uns, die mal schneller mal langsamer gingen, dann aber wieder im „Stau“ standen. Wir dagegen schlossen auf, ohne uns selbst zu „stauchen“, und blieben stets in Bewegung. Die Brancardiers versuchten wieder und wieder, uns vorwärts zu scheuchen, aber wir ließen uns nicht als „Lückenfüller“ instrumentalisieren. Nach der Prozession fragte mich eine junge Frau: „Lernt ihr eigentlich im Kloster zu gehen?“ Ich stutzte: „Nein, … oder doch: Ja, das Kloster lehrt uns gehen.“ … Irgendwie war da eine „Versammelt-Erfahrung“ im Blitzlicht der Ziehharmonika-Prozession von Lourdes geschehen.
Albert Altenähr
2015-11-07
[1] http://www.reiter-pferde.de/news/news/archiv/2012/august/article/dressurserie-versammlung-ist-gesund/
60 Jahre Psalmen
Als ich vor 40 Jahren einen Mitbruder meiner Heimatabtei fragte, ob er in die weitere Zukunft mein Beichtvater werden könnte, wunderte er sich, denn er gehörte eher zu den handfesten Mönchen des Hauses als zu den hoch spirituell angesehenen. „Sicher, ich habe mal die ganze Bibel gelesen,“ bekannte er, „aber ich lebe aus sehr wenigen ihrer Passagen und Worte.“ Ich habe nie bei diesem Mitbruder gebeichtet; denn am folgenden Morgen starb er vollkommen unerwartet.
Unser Gespräch war sein letztes. Das gerade wiedergegebene Wort wurde unerwarteterweise ein Vermächtnis. Es geht mir immer mal wieder durch den Kopf, wenn ich mich nach meinem Gottesbild und den Grundzügen meines Glaubens frage.
Ist mein Glaube noch der der klösterlichen Anfänge vor 60 Jahren? Hat sich mein Glaube entwickelt? Gibt es eine Quelle, aus der sich die Entwicklung speiste? Wo stehe ich heute mit nahezu 80 Lebensjahren? Wie schaue ich dem wohl nicht mehr allzu fernen Ende entgegen?
Erst im Kloster lernte ich die Psalmen kennen. Wir beteten sie damals lateinisch. Sie waren anfangs eher die stolze Bestätigung meiner schulischen Lateinkenntnisse. Eine spirituelle Quelle waren sie noch nicht. Das Lateinische war nicht die vertraute Muttersprache, in der ich dachte, lebte und träumte. Auch im Theologiestudium dominierte vorwiegend der intellektuellugang den Umgang mit den Psalmen.
Mit dem Wechsel nach Kornelimünster vor 40 Jahren traten die Psalmen neu an mich heran. Wir beteten sie hier auf Deutsch. Mit der Überwindung der Sprachschwelle war auch die emotionale Zugangsschwelle niedriger geworden. Zudem war ich als Abt herausgefordert, den Brüdern spirituell etwas zu knabbern anzubieten. Und was bot sich da Näherliegendes an als die Psalmen, die wir alle kannten, aber doch vielleicht eher als asketische Pflichtkost, aber nicht als Lust schenkende Edelspeise.
Nun, als edle Speise habe ich sie auch da noch nicht genossen. Es war mehr die Verwunderung, dass diese uralten Texte die Jahrhunderte hindurch nie aufgegeben wurden, selbst wenn sie nicht zu jeder Zeit und jedem ihrer Beter ihren tiefen Geschmack geschenkt haben werden. Diese Texte müssen etwas haben, das sie unverwüstlich macht. Was ist das?
Eine sehr allgemeine und sicher bruchstückhafte Antwort war mir die Erkenntnis, dass die Psalmen nicht glattgebürstet fromm sind. Sie sind keine braven Texte, die von Himmelsseligkeit triefen und in Gottgefühligkeit entführen. Es sind Menschentexte aus dem Menschenleben, das nicht immer schmeckt und mehr als einmal sehr schwierig sein kann. Die Nöte der Beter von vor 2500 Jahren mögen in concreto andere gewesen sein als jene, die mich umtreiben. Es ist aber die generelle Tatsache der offenen Fragen, die mich Heutigen mit den Alten verbindet. Das war und ist ermutigend für meinen eigenen Stolperweg den Gottesberg hinauf. Ich muss nicht erst heilig sein, um dann beten zu dürfen und zu können.
Auf diesem Weg mit den Psalmen entdeckte ich peu à peu meineWorte, d.h. jene, die mir wichtig wurden und so stärkende Nahrung für den Tag, eine längere Zeit und überhaupt. Sie sind wie Perlen im Acker, die zu finden alle Mühe lohnt (vgl. Mt 13,44ff) und den, der sie gefunden hat, strahlen lassen. Der kleine Prinz Antoine de Saint-Exupéry‘s findet dafür das schöne Wort: Es macht die Wüste schön, dass sie einen Brunnen birgt.
Schon in meinen Vor-Kornelimünsteraner Jahren war mir Psalm 18,20 ein wichtiges Wort geworden: „Er führte mich hinaus ins Weite, er befreite mich, denn er hatte an mir Gefallen.“ Es war wohl das Wort von der Weite des Herzens im Prolog der Regel Benedikts (V 49), das meinen frühen Blick auf Psalm gelenkt hat. In den Schlussversen des Regelprologs wird der Mönch zum langen Atem eingeladen, … und ich hatte die Mahnung zur Geduld notwendig, weil ich als Neuling im Kloster keineswegs der Mönch war, der ich nach meiner Vorstellung vom perfekten Mönch mit dem Stichtag des Klostereintritts hätte sein sollen. „Wer im klösterlichen Leben fortschreitet, dem wird das Herz weit, und er läuft im Glück der Liebe den Weg der Gebote Gottes“ (RB Prolog 49). Es ist für mich ernüchternd gewesen zu erfahren, dass ich eigentlich immer nur ein „Mönch im Werden“ bin und das ein Leben lang bleibe. Da braucht es immer neu die Medizin der Ermutigung.
Die Erfahrungen des Zweiten Vatikanischen Konzils, das Studium in der multinationalen Gemeinschaft unseres römischen Studienhauses und später die bunte Vielfalt der Kongregation von Subiaco, die mich benediktinisches Mönchtum in allen möglichen und unmöglichen Akzentuierungen erleben ließen, weiteten mein Gottesbild und die Vorstellungen, wie Gott geht. Es gibt nicht nur meine (immer) enge Sicht des richtigen Mensch-, Christ- und Mönchseins.
Spät – aber das ist inzwischen auch Jahre her – begegnete mir in einem Gedicht von Nelly Sachs das Bild vom Meenschen (= Adam), der von Gott wie Dünengras am ewigen Meer gepflanzt wurde1. Die Mahnung des Gedichtes, nicht wie „Salat im Hausgarten“ satt und selbstzufrieden dahinzuleben, ist mir zu einem herausfordernden Stachel in der Alltagsroutine geworden
In all dem ist die regelmäßige Medizin wiederkehrender Psalmworte Erinnerung und Ermutigung den Weg der Weite im jeweils nächsten Schritt weiterzugehen.
Ps 18,37 Du schaffst meinen Schritten weiten Raum, *
meine Knöchel wanken nicht.
Ps 25,17 Die Enge meines Herzens mach weit, *
führ mich heraus aus meiner Bedrängnis.
Ps 31,9 Du gabst mich nicht in die Hand des Feindes, *
du führtest meine Schritte ins Weite.
Ps 118,5 Aus der Bedrängnis rief ich zum Herrn. *
Der Herr erhörte mich und führte mich ins Weite.
Ps 119,32 Ich eile voran auf dem Weg deiner Gebote, *
denn mein Herz machst du weit.
Ps 119,45 Ich schreite aus ins Weite, *
denn ich frage nach deinen Befehlen.
Ps 119, 96 Ich sah die Grenze aller Vollendung, *
dein Gebot aber ist von unendlicher Weite.
Die Ernüchterung des 40-jährigen, der mit Träumen von zahlenmäßig blühender Größe die Aufgabe des Abtes in einer kleinen Abtei begann, fand in einem Vers der Samstag-Komplet das Netz, das ihn auffing und immer wieder auffängt: „Diese kommen mit Wagen und jene mit Rossen, * wir aber rufen den Namen des Herrn, unseres Gottes“ (Ps 20,8).
Das Bild von Rossen und Wagenbzw. von Rossen und Reitern ist uns biblisch aus derErzählung vom Untergang des ägyptischen Heeres am Roten Meer geläufig (Ex 14f). Gar nicht so selten begegnete mir gegen diese Erzählung ein Einwand, ja eine gewisse Empörung. Wie kann Gott die armen Ägypter und die nun wirklich ganz und gar unschuldigen Pferde so rach- oder strafsüchtig in den Fluten umkommen lassen?
Dabei wird übersehen, dass Pferde bis nahezu in die Neuzeit keine Arbeitstiere, geschweige denn Freizeittiere waren. Sie waren buchstäblich Kampf-Rosse und zusammen mit den Streit-Wagen militärische Hochrüstung par excellence. Die malerischen berittenen Garden traditionsbewusster Staaten dokumentieren bis heute den Stolz „Wir sind wer!“ Und das „hohe Ross“, auf dem man sitzt – oder von dem man runterfällt, spricht auch heute noch von Macht und Erfolg.
Ps 20,8 spricht eine andere Sprache. Nicht irdische Macht, Größe, Erfolg sind der Maßstab gelungenen Lebens, sondern die Einwurzelung „im Namen des Herrn“. Vielleicht könnte man es so umschreiben: Ich bin nicht wer, weil ich wasbin, sondern ich bin wer, wenn ich werbin. Ich bin nach meiner Authentizität gefragt, nicht danach, ob ich ein „Könner“ bin, der Imponierendes, das etwas ist, in die Welt gesetzt hat. Damit wird nach dem gefragt, ob etwas und was hinter der großen Fassade ist.
Das ist ein starker Spiegel der Ehrlichkeit. Wenn ich vor ihm stehe, dann dann werde ich ziemlich klein, denn er leuchtet deutlich meine Fragilität aus. Aber er lässt auch aufscheinen, dass „wer“ hinter mir steht, und das wiederum macht mich innerlich stark.
Ps 33,16f Kein König kann sich helfen durch die Größe des Heeres, *
kein Held sich retten durch große Stärke.
Nichts nützt das Ross zum Sieg, *
trotz seiner großen Kraft kann es nicht retten.
Ps 147,10 Keine Freude hat er an der Kraft des Pferdes, *
kein Gefallen am schnellen Lauf des Mannes.
Der umfassende Schlüssel für mein Psalmenverständnis wurde die häufige Verbindung von Huld und Treue als Wesensaussage über den alttestamentlichen Gott. Das hebräische CHESED wird in unseren Übersetzungen nicht kontinuierlich mit Huld übersetzt, sondern oft durch andere Worte wiedergegeben, z.B. Liebe, Barmherzigkeit, Wohltaten u.ä.2 Insofern hat es seine Zeit gedauert, bis ich die zentrale Spur der Huld Gottes in den Psalmen erkannte und aufnahm.
Was ist die Huld Gottes, wie sie sich in den Psalmen präsentiert? Es ist das Wohlwollen, das Gottes Wesen ausmacht. Er will dem Menschen,... er will mir gut, … er tut mir Gutes, … er tut mir gut. Das klingt bis in den weihnachtlichen Gesang der Engel über den Feldern Betlehems hinein: „… Friede den Menschen, denn Gott will ihnen gut.“
Diese wohlwollende und wohltuende Zuwendung als Gottes innerstes Wesen wird durch die hinzukombinierte Aussage seiner Treue noch unterstrichen. Gott gäbe seine Identität auf, wenn er anders als voller Wohlwollen agieren würde. „… denn seine Huld währt ewig, … deine Huld ist unzerstörbar, … deine Huld steht!“ ist der beschwörende und zugleich freudige Refrain z.B. in Psalm 136. Gott ist sich selbst rundum treu. Das lässt seine Huld den Felsen sein, auf den ich bauen kann.
Dass ich in dieser Summe meines Psalmenverständnisses wohl nicht ganz verkehrt liege, deutet sich mir im kürzesten Psalm des ganzen Psalters an, in Psalm 117. Er hat nur zwei Verse. Der erste Vers ist der Auftakt, der zweite die Ansage. Für den Verfasser dieser zwei Verse sind die wenigen Worte die ganze Theologie, … der ganze Glaube, … alles, was es zu Gott zu sagen gibt. Irgendwie kommt es mir vor wie eine Übersetzung des Gottesnamens in das bejahende Amen des Menschen: „Ich bin der, der da ist. - Ja, du bist schlechthin Huld und Treue.“
Mehr braucht es nicht. Alles darüber hinaus wäre nur noch Ausfaltung dieser Kernaussage.
„Lobet den Herrn, alle Völker, *
preist ihn, alle Nationen!
Denn mächtig waltet über uns seine Huld, *
die Treue des Herrn währt in Ewigkeit.“
Erst in jüngerer Zeit hat sich gewissermaßen als Summe der aufgezählten Psalmenerfahrungen das Stichwort Herrlichkeit hinzugefügt. Hintergrund war wohl die Altersfrage: Was erwarte ich eigentlich „danach“, d.h. nach dem Tod (… immerhin bin ich schon fast 80!...)?
Wenn ich es recht nachdenke, dann ist mir der Begriff Herrlichkeit nicht speziell in den Psalmen aufgeleuchtet, sondern eher im kirchlichen Liedgut, im allgemeinen Verkündigungssprech und auch in der Alltagssprache.
Wenn ich jetzt aber sagen sollte, was denn Herrlichkeit ist, … was etwas auszeichnet, dass ich es herrlich nenne, dann gerät mein Denken und Sprechen ins Stolpern. Es ist und bleibt ein abstraktes Wort, das in keiner Erfahrung wirklich griffig, geschweige denn end-gültig ist.
Beim Suchen nach benachbarten Worten, die weiteres Licht auf den irgendwie schwammig-unscharfen Begriff Herrlichkeit werfen, finde ich z.B. Licht, Glanz, Großartigkeit, die gewichtige Bedeutung, ja auch die oftmals negativ konnotierte Furchtbarkeit3. Aber auch alle diese Begriffe bleiben im Vagen und bringen Herrlichkeit nicht auf einen eindeutig umrissenen Punkt.
Genau diese Unschärfe aber ist es, die Gottes Faszination ausmacht. Er ist mehr als jedes einzelne und mehr als die Summe von allem. Es ist diese mystische Dimension, die sein Wesen ausmacht. Sie löst alles Vereinzelte / klar Umgrenzte auf und fängt es zugleich in einem Ganzen ein. Das macht Gott „gefährlich“ für jeden Menschen – also auch für mich -,... jede irdische Institution – also auch für die Kirche -, … jede sich absolut und verbindlich setzende Lehre – also auch für die Dogmatik. Er ist ein Gott, der Grenzen sprengt. Der Prophet, der solches zu sagen wagt, und der Mystiker, der so träumt, ist ein Stachel in jeder etablierten Religion. Sie stellen die Machtfrage an die Amtsträger und die Feuerfrage an die, die sich eingerichtet haben.
Mir persönlich kristallisiert sich die Herrlichkeit Gottes in die Endzeitvisionen der neuen, goldenen Stadt Jerusalem von Jesaja 54,11-17, Tobit 13,15-18 oder Offenbarung 21,10-14.18-23 hinein. So unirdisch diese Bilder sind, soviel Impulskraft haben sie gegen die Grau- und Anthrazittöne der tagtäglichen Alltage und der zunehmenden Erfahrung der Altersgrenzen.
Offb 21,22fEinen Tempel sah ich nicht in der Stadt.
Denn der Herr, ihr Gott,
der Herrscher über die ganze Schöpfung,
ist ihr Tempel,
er und das Lamm.
Die Stadt braucht weder Sonne noch Mond,
die ihr leuchten.
Denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie,
und ihre Leuchte ist das Lamm.
Ps 57,6 u. 12 Erhebe dich über die Himmel, o Gott! *
Deine Herrlichkeit überstrahle die ganze Erde!
Albert Altenähr
2020-06-03
1Nelly Sachs, Lange haben wir das Lauschen verlernt.
2Martin Buber ist da konsequenter. Er übersetzt durchgehend „Huld“.
3Wenn Gott als „furchtbar in seinen Taten“ beschrieben wird, dann lese ich das inzwischen als eine positive Aussage. Er wird damit nicht als ein „Gott zum Fürchten“ beschrieben, sondern als ein Gott, der außerordentlich beeindruckend ist.
Benedikt
Meister, gib mir ein Wort,
bat der Novize.
Und der antwortete:
Morgen.
Morgen?
Sagt deine Regel nicht:
Heute?
Ja, und doch: morgen!
Das ist frische Ewigkeit.
Wenn heute morgen wird,
schenkt Er die neue Zeit:
das ‚Guten Morgen’.
Albert Altenähr
2016-04-05
Das Evangelium der Feder
Psalm 103:2-5
Lobe den Herrn, meine Seele, / und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat:
3 der dir all deine Schuld vergibt / und all deine Gebrechen heilt,
4 der dein Leben vor dem Untergang rettet / und dich mit Huld und Erbarmen krönt,
5 der dich dein Leben lang mit seinen Gaben sättigt;/ wie dem Adler wird dir die Jugend erneuert
Nach der Last des Tages und Weges saßen sie und schwiegen ihre Müdigkeit vor sich hin. Nur die Augen des Alten blitzten, sangen und tanzten in die Höhe, feldlerchengleich.
Das Schweigen der anderen war eine einzige Frage, … - fast ein Vorwurf, dass er die Welt nicht ernst nehme. So lasteten sie sich gegen ihn an.
„Ich sah eine Feder tanzen im Wind,“ sagte er schließlich in das Schweigen, „und folgte ihr. Und sie trug. …
Und ich ahne mich selbst … und Ihn, dass er mich liebt.“
Albert Altenähr
2017-10-19
Demut - das Lächeln des Glaubens
Als ich um den folgenden Beitrag (für das Theo-Magazin, Heft 2/2017) gebeten wurde, versuchte man mir die Zusage u.a. damit schmackhaft zu machen, dass ich ja vielleicht irgendwo etwas hätte, dass ich jetzt einfach freigeben könnte. Ich suchte dann auch und fand einige Gedanken von 2002, die ich auch heute noch in ein Gespräch über die Demut einbringen könnte und würde. Zugleich tat sich mir beim Lesen der alten Gedanken auf, dass ich heute etwas mehr sagen und insgesamt den Horizont weiter zeichnen würde.
In einem Gespräch vor meinem Klostereintritt – so erzählte meine Mutter gelegentlich – habe sie meinem künftigen Novizenmeister einmal gesagt, für das Ordensleben benötige man wohl vor allem Demut. Der Magister widersprach nicht. Ich habe nie erfahren, was weiter zu dem Thema gesagt wurde, aber ich hatte das Gefühl, dass meine Mutter mir die nötige Demut nicht zutraute.
Meine Mutter kannte die Benediktregel damals noch nicht. Hätte sie ihr langes siebtes Kapitel über die Demut gelesen, wäre sie gewiss in ihrer Aussage noch weiter bestärkt worden. Gleichzeitig wäre sie wohl etwas ratlos gewesen angesichts der zwölf Stufen, die Benedikt der Demut zuschreibt. Auch nach 40 Klosterjahren und auch als Abt tue ich mich nicht leicht, das Thema Demut Mitbrüdern, Neueintretenden und den Menschen überhaupt nahe zu bringen und schmackhaft zu machen. Das Wort ist belastet. Es wird nicht selten mit „gebrochenem Rückgrat“ und „Katzbuckeln“ assoziiert. In die heutigen Visionen von Ich-Werdung und Selbstverwirklichung scheint es nicht hineinzupassen.
Von mir selbst sage ich hin und wieder: „Es ist mir schon viel nachgesagt worden, - dass ich demütig sei, aber noch nie.“ Wenn man mit „Demut“ eine Schwäche zum aufrechten Gang und mit Minderwertigkeitsgefühlen verbindet,... dann strebe ich sie auch nicht an. Demut ist nach meinem Dafürhalten ein positiver Wert, der zu einem gelungenen Leben einfach dazugehört. Hier und da habe ich ein Zipfelchen von ihr gesichtet... und vielleicht sogar schon in der Hand gehalten.
Benedikts zwölf Stufen der Demut haben mich motiviert, zwölf Sätze zur Demut zu formulieren, die mich - und vielleicht auch den Leser - anregen, einmal neu über die Demut nachzudenken:
Inzwischen sind 15 Jahre vergangen. Vor zehn Jahren habe ich die Aufgabe der Leitung unserer Gemeinschaft abgegeben. Ich habe das goldene Professjubiläum gefeiert, begehe in diesem Jahr das goldene Priesterjubliäum und bin 75 Jahre alt geworden. Angesichts solcher „Daten“ stellt sich durchaus die Frage, was war eigentlich in all den langen Jahren des Klosterlebens. … und da kommt dann diese Zeitschrift und fragt nach einem Beitrag über die Demut, jene Tugend, die mir meine Mutter 1961 als Lebensaufgabe in den Klostereintritt mitgab.
Ja, ich glaube in diesen 15 Jahren durchaus noch etwas geschehen. Da ist zunächst einfach die Entscheidung, die Leitung – das „Sagen“ – in der Gemeinschaft abzugeben und dann damit auch zu leben. Ich fand es nicht schwer zurückzutreten, es kann aber gelegentlich durchaus schwer werden, zurückgetreten zu sein und zu akzeptieren, dass die eigene Stimme jetzt nur eine im Zusammenspiel der Stimme aller anderen Mitbrüder ist. Das wiederum bedeutet nicht, dass ich jetzt den Mund halten sollte, weil ich nicht mehr „das Sagen“ habe. Meine Überzeugungen und Meinungen dürfen wichtig bleiben, aber sie mischen sich jetzt anders in das Gemenge der Entscheidungsprozesse der Gemeinschaft ein.
Wichtiger als das äußere Faktum des Amtsrücktritts wurde die Chance, Spiritualität ohne den Druck zu (er)leben, sie schnell und verbal in die Gemeinschaft und in das Umfeld des Kloster vermitteln zu müssen. Die Spiritualität durfte sich neu erleben als Saat, die Zeit braucht zum Wachsen und Reifen. Wenn ihre Zeit gekommen ist, dann bietet sie ihre Frucht an.
Ich erlebe Christsein heute stärker in den Fängen des Machbarkeitsdenkens, als ich das in der Vergangenheit sah. Da ist zum einen das, was wir als Christen „nach draußen“ alles machen sollten und müssten. Ich empfinde den mssionarischen und diakonalen Impetus des Christentums in seinen gängigen Äußerungen von einem außerordentlicher Macher-Drang geprägt. Innerkirchlich – bis in die sehr persönliche Spiritualität (auch die eigene!) – meine ich, ein ähnliches Machen-müssen und –können zu sehen. Wo das kritisch angefragt wird, wird relativ schnell von Welt- und Verantwortungsflucht und von Flucht in eine privatistische Innerlichkeit geredet.
Vor vielen Jahren sagte der Abt meiner Heimatabtei, er antworte auf die häufige Frage „Was tut ihr eigentlich?“ gerne: „Wir sind!“ Die alte Aussage der scholastischen Theologie „Agere sequitur esse – Das Handeln erwächst aus dem Sein“ ist eine Variante dieses Wortes meines damaligen Abtes. Ich frage mich heute gelegentlich, ob ich das biblische Wort „Seid heilig, denn ich bin heilig“ (1 Petr 1,15) nicht auch übersetzen darf als „Seid, denn ich bin.“
Konkreter versuche ich mir diesen Horizont des Christseins als einen Horizont der Poetischen zu erschließen. Diese Dimension lässt mich die göttliche Leichtigkeit, das Spielerische, den Tanz, das Lachen und den Humor des Glaubens erahnen. Eine poetische Perspektive des Glaubens ahnt sich über das heute Erkannte hinaus in die Weiten un-endlicher Weiten. Sie liest das Buch Gottes mehr als An-Deutungen denn als Aus-und-zu-Ende-Deutungen. Eine Basta-Theologie des Jetzt-hab-ich’s und des abschließenden So-ist-es-Punkt-um ist mir im Laufe der Zeit immer fragwürdiger geworden.
In unserer benediktinischen Ordensregel ist mir das Berufungskriterium „…ob er wirklich Gott sucht“ ein Leitwort dieses Denkens geworden. Benedikt fragt nicht danach, ob der Mönch einen festen oder gar fertigen Glauben hat. Das Suchen, das wirklich Suchen, das wirklich Gott Suchen stellt den Mönch auf einen Weg der Sehnsucht, die hungriger wird, je weiter sie ihn führt.
Im Psalmengebet ist mir im Lauf der letzten Jahre die häufige Wortkombination „Huld und Treue“ (z.B. Ps 89) aufgestoßen und wichtig geworden. Die Einheitsübersetzung lässt diese Kombination nicht immer erkennen; sie variiert die Übersetzungen.
Die Aussage „Du bist ein Gott der Huld und Treue“ ist mir ein Cantus firmus des Psalmengebets geworden. Ich glaube darin die Summe des Glaubens der alttestamentlicher Dichter und Sänger zu erkennen. Sie singen Huld und Treue gewisser als die “Hausnummer“ Jahwes, als den „Polarstern“ für die Navigation durch die Landschaften ihres Lebens. Wenn es ihnen gut geht, ist es ihr Freudenlied. Wenn es ihnen schlecht geht, beschwören sie Jahwe mit diesem Doppel-Namen „Huld und Treue“: „Sei doch du selbst, du kannst dich doch nicht verleugnen.“
Natürlich dürften die alten Beter sich genauso gefragt haben wie wir heutigen es tun: reden wir uns das nicht nur ein. Ihre Antwort ist der Blick zurück auf die guten Erfahrungen, die der Einzelne, aber auch das ganze Volk mit diesem Gott gemacht hat. „Vergiss nicht das Gute, dass er dir getan hat“ (Ps 103,2). Solche Erinnerungskultur ist die Basis für die nächsten Schritte auf dem Weg und für das große Ziel, anzukommen in die „Ruhe“, den Sabbattag der Zeit. (vgl. Gen 2,3). Insofern greift es zu kurz zu sagen „Das reden wir uns nur ein“. Indem wir es in uns hineinreden und –singen, pflegen wir unser Inneres, stärken die Schrittsicherheit und schöpfen Kraft und Perspektive für das Weitere.
Die Weiterung, die ich meinen alten Gedanken von 2002 gegeben habe, lässt natürlich fragen, ob ich wirklich beim Thema Demut geblieben bin. Ich glaube schon, allerdings mit einer wesentlichen Neuorientierung. Demut ist mir nicht mehr eine Einzeltugend neben anderen. Sie ist nicht ein Werkstück, das nach langer Arbeit hochkarätig fertig und dann gut geölt jederzeit abrufbar funktionsfähig ist. Sie ist ein Lächeln des Glaubens, der – wenn es gut geht – das Psalmwort spiegelt: „Die einen sind stark durch Wagen, die andern durch Rosse, wir aber sind stark im Namen des Herrn, unsres Gottes“ (Ps 20,8).
Albert Altenähr OSB
2002-06-22 / 2017-03-23
PS: Die Fotos im obigen Beitrag sind bei uns im Garten entstanden; sie sind nicht dem Theo-Magazin entnommen. Vielleicht sind es etwas viele Fotos, die das Lesen des Textes zu sehr unterbrechen. Andererseits wollen sie "Pausen-Elemente" sein, die zum eigenen (Weiter-)Denken einladen möchten.
Den Anfang neu einfangen
… „nach Corona“ …
Die hier formulierten Gedanken versuchen, Denkanstößen nachzugehen, die uns als Kirche und besonders als Gottesdienstgemeinden „vor die Füße geworfen“ wurden. Kann die Coronakrise vielleicht zur Poesie des Weges in die Zukunft einer neu evangelisierten Kirche führen?
– * –
Das Corona-Virus hat alle Ebenen des öffentlichen und privaten Lebens mit seinen Bann-Ansprüchen verunsichert. Nahezu nichts der gewohnten Ordnungen und Abläufe versteht sich mehr oder weniger noch „von selbst“.
Die Kirche ist nicht weniger betroffen als die Welt. Ihr zentraler Vollzug, die offene / öffentliche Feier des gemeinsamen Mahls, die Messe, war zeitweise gar nicht möglich, - jetzt aktuell nur mit großen Einschränkungen. Bricht da nicht sehr viel „Kirche“, ja vielleicht sogar „die Kirche überhaupt“ zusammen? Und wenn schon nicht „die Kirche“, dann aber vielleicht die Gemeinde, deren Kirche weniger und weniger mit Eucharistiefeiern „bespielt“ wird? Ein Sturm fegt über die Welt (… und die Kirche). Seine Folge-Spuren: Brüche, Zusammenbrüche, Abbrüche, … Verwüstung. Die Frage ist lebendig: „Wo bist du, Gott? Wohin führst du uns?“
*
Wenn ich mein Christ- und Mönchsein ernst nehme, dann wird man mir erlauben müssen, dass ich in das Deute-Buch meines Lebens schaue, um Ansätze für mögliche Antworten zu finden, … in die Heilige Schrift.
Da gibt es die Stürme auf dem See Genesaret. Petrus wird gerufen, aus dem Boot auszusteigen (Mt 14,22-33). Jesus schläft bei der stürmischen Überfahrt, und gebietet dann dem Sturm zu schweigen (Mt 8,23-27). Das Pfingsten der Apostelgeschichte ist ein Sturm- und Feuer-Geschehen (Apg 2,1-3), und es ist die Geburtsstunde der Kirche. Bei Elija ist Jahwe weder in Feuer, Sturm, noch Erdbeben. Danach ein sanfter, verschwebender Hauch und ein Auftrag in die Zukunft (1 Kön 19,11-16).
Stürme haben offenbar „was“ - und nicht nur zerstörerische Kräfte.
*
In den Tagen dieser Gedanken feierten wir Mönche das Gedächtnis des ägyptischen Mönchsvaters Pachomius (15. Mai), der die Wüsteneinsiedler zu Mönchsgemeinschaften zusammenführte. Er ist so gewissermaßen der Urvater der Klöster1. Im Tagesgebet finde ich den Satz: „Gib auch uns die Gnade, vom Brot deines Wortes zu leben, das unserem Geist Klarheit gibt und unserem Herzen Festigkeit verleiht.“ Ich stutze, in welch positiver Einseitigkeit hier vomBrot deines Wortes die Rede ist. Von der Eucharistie ist in dieser Oration nicht die Rede. Will uns die Kirche hier ganz bewusst auf die Heilige Schrift als saft- und kraftvolle Quelle der Gottesbeziehung aufmerksam machen? … vielleicht sogar in einer Korrektur einerzueinseitigen Eucharistiebetonung unserer allgemein- und auch ordens-christlichen Frömmigkeit? Wie weit leben wir wirklich aus der Heiligen Schrift? Sind z.B. Wort-Gottes-Feiern bloße Notstopfen, minderen Wertes und zweite Wahl, wenn denn eine Messe nicht stattfinden kann?
Die strengen Corona-Regeln für Gottesdienste können hier ein konkreter und griffiger Ansatz zu der Frage sein, ob unsere Wertschätzung des Wortes Gottes wirklich tief, fruchtbar und lebenstragend ist. Der Christ lebt nicht vom Brot der Eucharistie allein, sondern von jedem Wort der Schrift, das er wirklich in sich aufnimmt. Noch einmal gefragt: Leben wir wirklich in der Bibel und aus ihr?
Bewusstes Leben aus demWortund mitWortenöffnet dem Glaubenden Freiheit und Weite. Worte sind nie ein-deutig. In jedem Wort verbergen sich Geschichte und Geschichten, Nuancierungen, die hier sofort mitgehört werden, dort aber vollkommen fern und fremd sind. Sprache ist so zwar eine Quelle von Nicht- und Missverständnissen, zugleich aber auch ein Tor für tieferes Nachsinnen und Verstehen. Wer Worte ins einfach Einfache und Klare zurückschneiden will, verkennt die Vielschichtigkeit des Lebens und macht es ärmer. Er engt seinen Horizont ein.
*
Die schillernde Offenheit der Sprache ist eine der Quellen von Poesie und Mystik2. Beide – so wird oft behauptet – seien unserer durchtechnisierten Zeit eher fremd und dem Otto-Normal-Verbraucher nicht vermittelbar. Das mag stimmen, aber müsste einen denkenden Menschen erschrecken, und muss -, ja, braucht und darf nicht das letzte Wort über unser Menschsein sein. Es schneidet den Menschen von seiner Sehnsucht, seiner ahnenden Voraus-Sicht, seinem Suchen und Streben ab.
Gott würde es zu einemfactum brutum machen, das es gibt oder nicht gibt, das aber so oder so keinerlei Beziehung und Bedeutung für den Menschen hat.
Der Zufall – der wohl kein Zufall ist – will es, dass das erste Tätigkeitswort der Heiligen Schrift in den griechischen Übersetzungen das Verbumpoieinist, von dem sich das WortPoesie herleitet. „Im Anfang erschuf / machte / dichtete Gott Himmel und Erde...“ (Gen 1,1). Gott ist ein Dichter! Daraus folgt alles, Himmel und Erde, Zeit und Ewigkeit.
Ob sich von hier aus eine Neuevangelisierung der Kirche angehen lässt? Eine (mehr) poetische Kirche, - die Welt und die Kirche: ein großes Gedicht. Das hätte / das hat was!
*
Vor einem Jahr schrieb ich folgende Zeilen. Ich darf sie anderen sagen, … und ich muss sie sogar mir sagen, was vielleicht sogar noch schwieriger ist.
Gott ist
ein Poet
Du bist
sein Gedicht
sagte der Lehrer...
und nach einer Pause
fügte er hinzu
in Schönschrift
und setzte
ein Rufzeichen
Albert Altenähr
Vgl. https://www.heiligenlexikon.de/BiographienP/Pachomius.htm
2Sehr lesenswert: Christoph Paul Hartmann, Ist die Mystik die Zukunft des Glaubens? Poetische Einsichten aus dem Mittelalter
https://www.katholisch.de/artikel/24733-ist-die-mystik-die-zukunft-des-glaubens?fbclid=IwAR353GZYIhA5cInz44Ej_3eUDMOMlzJ-zCblPgUiPh_R6Ha5nN8ceIDeZ9g
Der nachfolgende Beitrag ist im Advent 2009, kurz nach der Einweihung des Fensters in der evangelischen Kirche in Kornelimünster, entstanden. Pfr. Fenske hat ihn etwas später im Gemeindebrief der evangelischen Gemeinde veröffentlicht. Das Reformationsjahr 2017 ist ein guter Anlass, das Fenster der evangelischen Kirche und die Bilder in unserer Abtei - beide von Janet Brooks Gerloff - noch einmal gemeinsam vorzustellen.
Am ersten Advent 2009 hat die evangelische Kirchengemeinde Kornelimünster-Zweifall ein großes Glasfenster eingeweiht, das Janet Brooks Gerloff (+2008) entworfen und in seiner Umsetzung anfangs auch noch begleitet hat. Mit den Bildern in unserer Abteikirche und im Kloster hat Kornelimünster jetzt einen zweiten Zielpunkt für all jene, die sich vom Werk der Künstlerin angesprochen fühlen.
Das Fenster hat die vier Evangelisten zum Thema, die vom Fluss, der vom Garten Eden ausgeht und in die Welt hineinfließt, umströmt werden.
Ich möchte dieses letzte Werk Janet Brooks Gerloffs an dieser Stelle zusammen mit dem Emmausbild unseres Klosters in den Blick nehmen. Meine Gedanken werden dabei mehr von mir erzählen als von denen der Künstlerin. Vielleicht wäre Janet Brooks Gerloff sogar überrascht, die beiden Werke in so enge Verbindung gesetzt zu sehen, wie es hier versucht wird. Ganz fern liegt die Verbindung aber nicht, da die Verantwortlichen der evangelischen Gemeinde durch die Bilder in unserem Haus angeregt wurden, die Künstlerin für einen Entwurf des Kirchenfensters anzusprechen.
Wenn ich die Gemälde in unserer Kirche betrachte, dann bewundere ich den kraftvollen Konturenstrich der Personen und die Offenheit, sich in die Weite ihres Gewandes hineindenken und in sie eintauchen zu können. So wenig die Figuren „aus-gemalt“ sind, so sehr sind sie in ihrer – ich möchte sagen: michelangelesken – „Wuchtigkeit“ ganz geerdet. Sie haben wenig schwebend Leichtes an sich. Sie stehen mit beiden Füßen in dieser Welt.
Die Erdenhaftung der Jünger wird noch einmal gesteigert im Emmausbild. Da ist zum einen die braun-rote Farbgebung der unbestimmt vage gezeichneten Hügellandschaft. Zum anderen ist das Trauerschwarz der beiden Jünger natürlich besonders „niederziehend“.
Aber auf diesem Bild ist doch auch das ganz Andere präsent, das gerade dieses Bild so faszinierend macht, dass es weit über den lokalen und regionalen Bereich hinaus bekannt wurde. Der unerkannte Begleiter der beiden Jünger auf dem Trauerweg nach Emmaus ist in seinen Konturen so leicht „an-gezeichnet“, dass man an einen Skizzenentwurf denken könnte. Und darüber hinaus ist der Emmausweg-Begleiter Christus unirdisch durchscheinend. Er könnte sich den Jüngern noch verflüchtigen. Er ist mehr Ahnung als Griffigkeit. Er muss sich ihnen noch sehr weit „verdichten“, bis sie die Emmaus-Erfahrung machen. Ist das nur eine historisch damalige Erfahrung von zwei besonderen Individuen? Oder ist das eine Grunderfahrung jeden christlichen Glaubens und seiner Gott- und Christussuche? Das waren bisher mehr oder weniger meine Empfindungen und Gedanken vor dem Emmausbild in unserer Abtei.
Mit dem Glasfenster in der evangelischen Kirche – weniger als 10 Fußminuten von der Abtei entfernt – tritt ein neuer Aspekt in meine Deutung des Emmausbildes.
Das Fenster ist von einer inneren Leichtigkeit und Poesie, die ich so in den Bildern der Abtei nicht finde bzw. die ich erst vom Blick auf das Glasfenster her ahnend wahrnehme, - am ehesten in der Christusgestalt des Emmausbildes.
Die Evangelisten-Figuren selbst sind im wesentlichen nicht anders gestaltet als die Figuren auf den Bildern in der Abtei: weite Gewandung, die Gesichter nur angedeutet und nicht durchgezeichnet. Und doch, - sie wirken leichter.
Es ist sicher zum einen das ganz andere Medium – Fenster und Glas -, das diese Leichtigkeit aufleuchten lässt. Die Bleiruten sind zarter Strich. Ihr Strömen im Paradiesfluss malt nicht einfach nur Wellenspiel, sondern füllt mehr und mehr den architektonisch vorgegebenen Rahmen … und das ganze denkbare Gottesdienstgeschehen in dem Kirchraum und das Glaubensgefühl der Feiernden und der Betrachter. Im feinen Strich des Bleis sind auch die Evangelisten gezeichnet. Sie sind ganz da, aber viel verhaltener, zurückgenommener als die Personen auf den Bildern in der Abtei. Nur der achtsame Betrachter entdeckt zu Füßen des Markus und des Lukas deren Symbole – Löwe und Stier -, ebenfalls mit den Bleiruten hingestrichelt. Schmunzelnd entdecke ich, dass die Künstlerin den „Malerkollegen“ – Lukas werden schon in der frühen Tradition die ehrwürdigsten Marienbilder zugeschrieben – als Linkshänder gezeichnet hat.
Zum anderen ist es der Aquarellcharakter der Farbgebung, die in mir das Echo der Leichtigkeit hervorruft. Die Farbe fließt mit den Bleiruten in den unterschiedlichsten Helligkeitsgraden. Die Symbole des Matthäus und des Johannes, Mensch und Adler, sind in diesem Aquarellstil auf das Glas gemalt. Die Aquarelligkeit gibt dem ganzen Fenster das Gefühl einer inneren Durchsicht, ohne dass es banal durchsichtig wird und wirkt.
Was ergänzt das Fenster in der evangelischen Kirche zu denen in der Abtei? Es lässt mich die Frage nach der Leichtigkeit meines christlichen Selbstverständnisses fragen. Es lässt mich fragen, ob ich den Christus des Emmausbildes nicht auch als Boten des „leichten Glaubens“ verstehen sollte, nicht nur als den, der sich noch verdichten muss. Im Gegenteil, die Jünger sind es, für die eine Verwandlung ansteht. Sie müssen und dürfen lichter und leichter werden. Das wird ihr Emmaus sein.
Lassen Sie mich eine Schlussbemerkung machen, die Sie vielleicht schmunzeln lässt oder gar zu einem ökumenischen Lachen verführt. Der Einweihungsgottesdienst am 1. Advent war für mich Katholiken natürlich „sehr evangelisch“: ein reiner Wortgottesdienst voller Lieder, Texte, Worte, und der amtierende Pfarrer und die Pfarrerin in strengem Talarschwarz mit Bäffchen. Unsere Sonntagsmesse – zeitgleich! -: farbige Messgewänder, unterschiedliche, „bunte“ Riten, Weihrauch, Kommuniongang. Und nun die Werke von Janet Brooks Gerloff hier und dort. Unsere Bilder wirken auf mich „strenger“, die in der Schwesterkirche „spielerischer“. Mir kam der Gedanke: irgendwie sind die Bilder in unserer Kirche … „evangelischer“, als ich je gedacht habe, - und gleichzeitig: irgendwie ist das Fenster in der evangelischen Kirche … „katholischer“, als ich erwartet hätte. Auch diese meine Perplexität ist eine Form von Ökumene.
Ich bin stolz auf die Bilder von Janet Brooks Gerloff, die unsere Kirche und unser Haus prägen. Ich freue mich mit der evangelischen Kirchengemeinde, dass sie ein so gelungenes Fenster ihr eigen nennen darf.
P. Albert Altenähr
091203
Der Mönch und das Gedicht
Sie waren von weit her gekommen, um das berühmte Kloster kennenzulernen und um sein Geheimnis auch in ihrer Heimatabtei lehren zu können.
Sie staunten über die Treue zu der alten Regel, bewunderten die Disziplin und Askese des Alltags, die Genauigkeit der liturgischen Riten, den Glanz der lateinischen Gesänge und den Kunstreichtum der Gebäude und ihrer Einrichtung.
Sie befragten den Abt und lobten ihn und das Kloster über die Maßen. Der Abt lächelte ein wenig und schickte sie zu dem alten Bruder Imker.
Die fremden Mönche wunderten sich, denn der Bruder war ihnen aufgefallen, weil er nicht so ganz in das Glanzbild des Hauses passte, das sie so schätzten. Er war zwar nicht ganz außer der allgemeinen Ordnung, aber doch hier und da und dann auch da und dort, … und so an vielen Stellen. Er passte nicht so wirklich in das Bild, das man überall so pries. So wunderten sie sich, dass der Abt sie gerade an diesen doch etwas anderen Bruder verwies.
Der Bruder saß bei seinen Bienenstöcken und träumte vor sich hin, … so schien es.
„Warum arbeitest du nicht? Warum stehst du nicht im Chor der Brüder? Was ist mit der heiligen Lesung? Heißt es nicht ‚Müßiggang ist aller Laster Anfang?’“
Er lächelte nur. „Hört ihr das Summen? Es ist voll göttlicher Poesie.“
Die Brüder aus der Ferne schauten ihn fragend an.
„Hört nur,“ sagte er erneut, „er singt Gedichte, er schreibt Geschichte und Geschichten, … und ich bin mitten drin.“ Und er lächelte.
Kopfschüttelnd kehrten die Besucher zum Abt zurück. Und auch er lächelte, als sie ihm berichteten. Ja, er lächelte.
„Bruder Imker ist weiter als wir. Er ist wichtig für unsre Gemeinschaft, dass wir nicht im polierten Glanz des Mönchseins erstarren. Er lebt bereits hinter dem Vorhang. Manchmal hebt der sich – Gott sei Dank! – auch für den einen oder anderen von uns.“
Verwirrt machten sie sich auf den Heimweg. Der Abt schaute ihnen lange nach und lächelte.
„Gut so. Ihr habt einen weiten Weg vor euch. Der Herr singe euch sein Lied in Ohr und Herz.“
Albert Altenähr
2016-08-05
Gott ist ein Dichter,
Welt und Menschen sein Psalter
In seiner viel beachteten Rede anlässlich der Verleihung des Friedenpreises 2015 des deutschen Buchhandels[1] hat der Preisträger, Navid Kermani, eine Analyse des heutigen Islam entfaltet, deren Ansatz weit über die Grenze seiner Religion hinaus reicht. Es lohnt sich, diesen Ansatz in das Christentum hineinzudenken, in seine theoretische Theologie und in seine praktische Basiswirklichkeit. Ich selbst versuche, Kermanis Gedanken für mein Selbstverständnis als Mönch in der Kirche und in der Welt zu bedenken, für meinen „übersetzenden“ Umgang mit der Heiligen Schrift, für mein Feiern der Liturgie, für mein Predigen, für meine kurzen „Verdichtungen“.
Navid Kermani sagte in der Frankfurter Paulskirche: „Es war einmal denkmöglich und sogar selbstverständlich, dass der Koran ein poetischer Text ist, der nur mit den Mitteln und Methoden der Poetologie begriffen werden kann, nicht anders als ein Gedicht. Es war denkmöglich und sogar selbstverständlich, dass ein Theologe zugleich ein Literaturwissenschaftler und Kenner der Poesie war, in vielen Fällen auch selbst ein Dichter. …. Ein solcher Zugang zum Koran, obwohl er der traditionelle ist, wird [heute] verfolgt und bestraft und verketzert. Dabei ist der Koran ein Text, der sich nicht etwa nur reimt, sondern in verstörenden, vieldeutigen, geheimnisvollen Bildern spricht, er ist auch kein Buch, sondern eine Rezitation, die Partitur eines Gesangs, der seine arabischen Hörer durch seine Rhythmik, Lautmalerei und Melodik bewegt. Die islamische Theologie hat die ästhetischen Eigenheiten des Korans nicht nur berücksichtigt, sie hat die Schönheit der Sprache zum Beglaubigungswunder des Islams erklärt. Was aber geschieht, wenn man die sprachliche Struktur eines Textes missachtet, sie nicht einmal mehr angemessen versteht oder auch nur zur Kenntnis nimmt, das lässt sich heute überall in der islamischen Welt beobachten. Der Koran sinkt herab zu einem Vademekum, das man mit der Suchmaschine nach diesem oder jenem Schlagwort abfragt. Die Sprachgewalt des Korans wird zum politischen Dynamit.“
Es war einmal denkmöglich und sogar selbstverständlich, dass … die Bibel und die Kirche ein poetischer Text und eine poetische Wirklichkeit sind … Die Theologie und Sprache der Kirchenväter, - das frühe Mönchtum und seine Väter- und Mütter-Sprüche, - die Psalmen als Mutterboden und tägliches Brot für das Gebet der Klöster (… und das der Kirche allgemein), - die Himmelsstürme der Mystik, - die Musik und die Kunstwerke der und in den Kirchen, sie alle haben etwas Poetisches an und in sich. Mehr noch, sie sind Poesie des Glaubens.
Was bedeutet das für die Theologie, das Christsein, für mich als Mönch? Die poetische Dimension bewahrt den Glauben davor, ihn auf die Handlichkeit einer Gebrauchsanweisung zu reduzieren. Das Wissen um die Poesie des Glaubens sprengt das Denken, dass die Qualität der Religiösität sich mit einer Checkliste von diesem und jenem messen lässt. Mit dem Abhaken einer Liste von Geboten und Verboten lässt sich nicht feststellen, ob jemand ein „guter“ Christ, Katholik oder Mönch ist. Das Motto „Führ-den-Nippel-durch-die-Lasche“ ist zwar angenehm griffig, ist aber ein Werkzeug, das dem Glauben unangemessen ist.
Die poetische Dimension ist ein Korrektiv zu einer immer wieder festzustellenden Ethisierung und Asketisierung der Religion und des religiösen Lebens. Ohne in Frage zu stellen, dass Ethik und Askese ihren legitimen und notwendigen Platz im religiösen Leben haben, kann und darf Religion nicht darauf reduziert werden. Der häufig gehörten Warnung, dass Religion sich nicht in die Innerlichkeit zurückziehen dürfe, darf und muss geantwortet werde, dass Religion sich nicht in die Äußerlichkeit hinausflüchten darf. Mir scheint, dass die westliche Welt – und auch die westlich geprägten Kirchen - mit ihrem Effizienzdenken mindestens ebenso – wenn nicht sogar mehr – vor einem Mangel an Poesie und Innerlichkeit gewarnt werden müssen wie vor einer Überdimensionierung des Innerlichen. Die Seele darf nicht auf dem Altar des Erfolgs geopfert werden.
Die poetische Dimension führt das monastische Selbstverständnis zurück in die Einfachheit und hinaus in die Weite. Sie entdeckt die „Regula“ und verheddert sich nicht den „Regeln“, den Regulierungen, den Vorschriften der Ordenskonstitutionen, der Hausbrüche oder der liturgischen Rubriken.
Es ist wohl kein Zufall, dass die Regel des hl. Benedikt mit einem Prolog beginnt. Das ist nicht ein sprach-banales Vorwort, sondern ein gewicht-gefülltes Voraus-Wort. Und dieses Voraus-Wort beginnt mit einem Archi-Logos, einem Erst-Wort. Dieses erste Wort ist ganz einfach, es ist schlicht und einfältig, - ja, vielleicht darf man sogar sagen: es ist „unschuldig“: „Höre!“ In seiner Unschuld schaut das „Höre“ weit in die Tiefe und unendlich weit über die irdischen Grenzen hinaus. Könnte - oder sollte man es sogar?! – vielleicht so übersetzen: „Höre das neue Jerusalem?“
Wenn der Arzt seinen Patienten mit dem Stethoskop abhorcht, dann lauscht er auf die Töne unter der Haut. Sein Fachausdruck für dieses Tun ist „Auskultieren“, genau das Wort, mit dem die Regel Benedikts beginnt: „ausculta.“ Der Mönch Benedikts ist einer, der das Lied Gottes in den Dingen dieser Welt glaubt und seine Melodie aufspüren will. In dem Geschaffenen, dem Her- und Hingestellten glaubt er die dichte Liebe des Schöpfers. Er glaubt sich selbst und die Welt als ein Gedicht … und staunt, dass es so ist.
Albert Altenähr
2015-11-06
[1] http://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/819312/
Ausculta, o fili
RB Prolog 1
Höre, mein Sohn,
die Leere des Meisters
Sie ist der Klangraum
für die Liebe des Herrn.
Tritt ein,
und werde
zum Lied.
Albert Altenähr
2012-04-07
Mönch und Kirche
Immer wieder erlebe ich mich als Mönch unter einem Rechtfertigungsdruck. Der Druck tritt von außen an mich heran, sei es von der sogenannten Welt, sei es aus den unterschiedlichsten Kreisen der Kirche. Der Druck kommt von den Mitbrüdern um mich herum, die auf der Suche nach sinnvollen und sie ausfüllenden Aufgaben suchen. Der Druck steigt immer wieder auch aus mir selbst herauf.
Mönch -, Kloster -, wozu eigentlich1? Was bringt es, Mönch zu sein? Was bringt es der Kirche, dass es Mönche gibt? Ist das Mönchsein mein Privatvergnügen, das den Mitchristen und der Kirche insgesamt gleichgültig bleiben kann, weil es für sie irrelevant ist, …weil sie halt nicht Mönche sind?
Oft scheinen die von außen Fragenden zufrieden zu sein, wenn man ihnen aufzählt, was die Mönche und ihre Klöster …, was ich, der Mönch, der ihnen Rede und Antwort steht, alles tut. Unsere Tätigkeiten, ob in Schulen, Werkstätten, Exerzitienhäusern, Pfarrgemeinden etc. scheinen hinreichende Legitimierungen für unser Dasein zu sein. Treffen diese Hinweise aber den Kern der Frage? Geben sie Auskunft über das Mönchsein? Oder reduzieren sie unser Mönchsein auf den Maßstab der nachrechenbaren Nützlichkeit?
Im Bistum Aachen ist ein Gesprächsprozess „Heute bei dir“ angestoßen, der in Kürze in seine Arbeitsphase starten wird. Bischof Dieser hat sich dazu im August in einem langen Live-Chat der Bistums-Website den Fragen der Gläubigen gestellt. Relativ zu Beginn greift der Moderator eine Frage nach den Ordensgemeinschaften auf, die im Vorfeld des Chats hereingekommen ist. „Er formuliert: „Welche Rolle spielen die (Ordensgemeinschaften) in dem Prozess?“ Bischof Dieser hebt hervor, dass sich viele Ordensleute zur Mitarbeit an dem Prozess bereit erklärthaben. Hinzu fügt er ausdrücklich: „… sie (die Ordensleute) beten für uns.“
Die weiteren Ausführungendes Bischofsbleiben weitgehend im Unverbindlichenundohne größere Aussagekraft2. Das ist weniger eine Kritik an Bischof Dieser als eine Frage an den Moderator des Chats.
War die Frage, die dem Moderator vorlag, eine Fragetatsächlichnach denpraktischenMitmach-Möglichkeiten der Ordensleute in demGesprächs-Prozessder Jahre bis 2021?So scheint Bischof dieser die Frage verstanden zu haben.Seine Antwort geht auf diese Fragestellung ein.
Oder zielte die Frageeigentlichdarauf ab, welche Stellung das Bistum den Ordensgemeinschaften in seiner Vision derweiteren Heute-bei-dir-Zukunftder Diözese beimisst? Wenn letzteres der Fall war, hätte der Moderator seine Frage präziser stellen müssen oder er hätte noch einmal nachhaken sollen.
Die Würzburger Synode: Grundauftrag der Orden
In der Mitte der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hat die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland (Würzburger Synode, 1971-1975) in ihrem Beschluss „Orden“ den Gemeinschaften einenGrundauftrag ins Stammbuch geschrieben, der in der Kirche und wohl auch in den Ordensgemeinschaften bis heute bedenkenswert und m.E. nur unvollkommen eingelöst ist.
„Der grundlegende Auftrag der geistlichen Gemeinschaften besteht darin, daß sie als Gruppe... durch ihre Lebensordnung und ihren Dienst - die Verherrlichung Gottes und das Dasein für die Menschen - ein Zeichen sind für das in Christus angebrochene Heil“ (2.1.1).
Wenn ich den Satz auflöse, dann lese ich als erstes, dass es der Grundauftrag der Orden ist, „ein Zeichen für das in Christus angebrochene Heil“ zu sein. Sie erfüllen diesen Auftrag „durch ihre Lebensordnung und ihren Dienst“.
Der Begriff „Lebensordnung“ wird in dem zitierten Abschnitt nicht näher präzisiert; es wird anscheinend vorausgesetzt, dass man – wer auch immer das ist - das sowieso versteht und zwar im gleichen Sinn. Aus anderen Zusammenhängen des Textes, in denen das Wort auftaucht, scheint mir hier vor allem die Spannung von Individualrechten und Gemeinschaftsverantwortung im Blick zu sein.
Der „Dienst“ hingegen wird in einer Parenthese ausgeleuchtet, und zwar als „Verherrlichung Gottes und (als) Dasein für die Menschen“. Das ist mit seinem „und“ gut katholisch, aber im besten Sinn auch bestens biblisch, weil es Gottes- und Menschen-/Nächstenliebe zugleich in den Blick nimmt. Dass sich ein offizieller Text einer Synode um Ausgewogenheit bemüht, ist „politisch“ legitim, aber natürlich auch theologisch sinnvoll und notwendig. Im Folgenden versuche ich bewusst, die Ausgewogenheit des „und“ ein wenig zu verlassen, um eine der beiden Seiten herauszufokussieren.
Der Kern des Grundauftrags wird in der „christlichen Berufung“ gesehen, die unsere Überlieferung als „evangelischen Rat“ (Singular!) benennt. Dessen Mitte ist es,„daß der Mensch um Christi und seiner Botschaft willen und auf seinen Ruf hin sich von irdischen Sicherungen und Erfüllungen losreißt, um sich auf das eine Notwendige (vgl. Lk 10,42) einzulassen“ (2.1.3). Zentrieren wir diese Aussagen noch einmal weiter auf den Punkt: Berufung zielt auf das eine Notwendige; sie glaubt den Einen Not Wendenden.
Hier wird eine Freiheit in den Blick genommen, die die Gebundenheiten der Welt aufbricht und (trans-)endzeitliche Perspektiven eröffnet. Sie ist “ein ‚Angeld‘ des Zukünftigen (vgl. Eph 1,14) und ein Zeichen der Hoffnung“ (2.1.5). „Der Grundauftrag der geistlichen Gemeinschaften (hat) endzeitlichen Charakter...und (übersteigt) alle nur innerweltlichen Zielsetzungen“ (ebd.). In diesem Sinn können und sollen geistliche Gemeinschaften .„eine gesellschafts- und kirchenkritische Funktion“ (2.1.6) haben.
Die Würzburger Synode fasst den wesentlichen Auftrag der Orden dahin zusammen, dass sie Kirche als Gemeinschaft des Gebetes und der Bruderliebe aufleuchten lassen. Sie formuliert: „So sollen sie (die Orden) dazu beitragen, daß die Kirche Gemeinde des Gebetes und der Bruderliebe ist, in der Gottes Heilshandeln in Jesus Christus und die Hoffnung auf die endgültige Zukunft wachgehalten wird“ (2.1.7).
Grundauftrag und konkrete Dienste
Aus den Folgerungen, die die Synode aus ihren grundsätzlichen Überlegungen zieht, beeindruckte damals (1975) wie auch heute (2018) der Satz „Geistliche Gemeinschaften erfüllen ihren Auftrag nicht schon dort, wo sie diesen oder jenen konkreten Dienst leisten“ (2.2.1). So sehr damals schon eine kritische Existenzsituation mancher Werke am Horizont sichtbar war (3.1.1), so sehr konnte der Satz als Mahnung verstanden werden, sich nicht auf der (Noch-)Großartigkeit der Werke auszuruhen. Heute kann dieser Satz vielleicht eher als Ermutigung gelesen werden. Zwar musste vieles in den vergangenen Jahrzehnten bereits zurückgefahren oder gar aufgegeben werden, aber der geistliche Grundauftrag geht nicht einfach in den Werken und Diensten auf. Sein Lebenszentrum sind die Menschen, die Brüder und Schwestern der Gemeinschaften, nicht deren Arbeitskraft und nicht die Werke.
In einem weiteren Absatz fordert die Synode eine heute (hoffentlich) selbstverständliche fachliche Ausbildung für die verschiedenen Aufgaben. In diesem Zusammenhang macht sie auf eine Gefahr aufmerksam, die den Leistungsanforderungen fast sachimmanent zu sein scheint: „Dabei kann aber leicht jenes Moment des Zweckfreien, das unbedingt zum Grundauftrag gehört, verkümmern und damit der Raum für Gebet und Gottesdienst oder auch der Mut zu dem im Verständnis der Welt Unrentablen, wie ihn manche Dienste erfordern, verlorengehen. Nur dort, wo die Gemeinschaften mehr sind als bloße Zweckverbände, können sie ein Ferment christlicher Menschlichkeit sein in einer Gesellschaft, die den Menschen immer einseitiger nach Leistung und Bedürfnissen beurteilt und verplant“ (2.2.2).
Ordensgemeinschaften, Klöster sind keine Zweckverbände. Sie sind in ihrem Kern Leuchttürme des Zweckfreien. In diesem Sinn leisten sie ihren wesentlichen Beitrag zum Menschsein der Menschen. Und zum Christsein der Christen. Sie halten die Dimension der Transzendenz offen.
Eine biblische Metapher und zwei Worte der Benediktsregel
Wenn ich nach einem biblischen Text oder Bild Ausschau halte, in dem ich mein Verstehen der Aussagen der Würzburger Synode wiederfinde, so kommt mir das Wort vom Sauerteig in den Sinn, der den ganzen Trog Mehl durchsäuern kann und soll (Matth 13,33 par). Das ist etwas anderes als eine Nützlichkeitserklärung mit dem Aufzählen von diesem und jenem, was die verschiedenen Orden und die einzelnen Ordensleute hier und da und dort tun und leisten. Der Sauerteig will mit seinem inneren Gärpotential das Ganze des kirchlichen Klimas prägen helfen, „dass in allem Gott verherrlicht werde“ (1 Petr 4,11; RB 57,9).
In der Regel Benedikts glaube ich, vor allem zwei Grundworte zu finden, in denen die Gedanken der Würzburger Synode aufscheinen.
Die Einstiegsworte der Regel „Ausculta o fili praecepta magistri - Höre, mein Sohn, die Weisung des Meisters...“ (RB Prolog1) wecken das Grundklima benediktinischen Ordensverständnisses. Sie sind bereits die ganze Regel, deren 73 Kapitel dann dieses Wort zu buchstabieren versuchen. Ich übersetze die lateinischen Worte gerne in die medizinische Fachsprache: „Auskultiere, mein Sohn, Gottes Wort.“ … und das heißt in unser Patientendeutsch übersetzt: „Horche das Wort Gottes ab, wie der Arzt dich mit seinem Stethoskop abhorcht.“ Es geht im Ordensleben also im wesentlichen darum, die innere Melodie der Gottesbotschaft zu erhorchen und sie in das Leben hineinzuleben. Der Buchstabe einzelner Ordenregeln einer Gemeinschaft ist ohne diese Melodie vielleicht eindrucksvolles, aber eigentlich leeres Geklapper.
Das andere Wort der Benediktsregel spricht von der Eintrittsbedingung in ein Kloster. Man soll den Noizen darauf abklopfen „ob er wirklich Gott sucht“ (RB 58,7). Der Ordensweg wird als Suchprozess aufgezeigt, der bereit ist, wirklich bis zum letzten Ziel zu gehen. Gott als stets bleibende und immer neue Frage verhindert, dass wir uns irgendwann als Glaubende zur Ruhe setzen und uns nicht mehr bewegen. Gott als Frage ist der Gott der lebendigen Sehnsucht und der Bereitschaft zu einem langem Weg.
Das letzte Wort der Regel Benedikts ist ein tröstlich verheißendes Schlusswort: „pervenies – du wirst ankommen“ (RB 73,9). Dem ist nichts hinzuzufügen.
Albert Altenähr
2018-09-22
1 Wenn ich hier und weiterhin von „Mönch“ und „Kloster“ spreche, dann weil es mein persönlicher Hintergrund ist. Die weiteren Begriffe „Ordensgemeinschaft“ und „Ordensleute“ sollten dabei einfach mitgehört, mitbedacht werden. Meine Überlegungen kreisen allgemein um den Auftrag des Ordensbotschaft in der Kirche.
2 Wortgetreue Nachschrift aus dem Chat: „Die Orden sind wirklich eine große Gemeinschaft von Unterstützern und Unterstützerinnen. Sie beten für uns, und sie sind schon jetzt das, was auch im Prozess zur Frage wird: Wie werden wir künftig geistliche Orte und geistliche Gemeinschaften haben? Da sind die Orden, die wir haben, schon jetzt wichtige Hinweise, wie sie ihre Sendung leben. Und diese Frage, wie lebe ich meine Sendung, stellt jeder Orden für sich selber. Da kann ich als Bischof nicht einfach hineinregieren, sondern die Orden sind selbständig. Und das ist ein Reichtum für die Kirche. Und ich freu mich, dass die Orden den Impuls unseres Prozesses auch für sich selber entdecken und annehmen.“
Ostern - oder die Poesie des Glaubens
Als Jesus mit Petrus, Johannes und Jakobus vom Berg Tabor hinabstieg, verbot er ihnen, von der Erfahrung dort, der Verklärung, zu erzählen, „...bis der Menschensohn von den Toten auferstanden sei. Dieses Wort beschäftigte sie, und sie fragten einander, was das sei: von den Toten auferstehen” (Mk 9,9-10).
Nun, siehielten sich an das Verbot;sie erzählten zunächts nichts. Das Verbot hat sich mit dem leeren Grab in Jerusalem vor 2000 Jahren erledigt.Und dann erzähltendie Jünger, erzählten und erzählten, was auch immer ihnen von Jesus erzählenswert erschien. Aber ist ihre Frage vom Taborabstieg ebenfalls erledigt: “… sie fragten einander, was das sei: von den Toten auferstehen?” Können wir nach 2000 Jahren der Erzählung, nach intensiver Denkanstrengung, nach betender und kontemplativer Versenkung sagen, was dasist:“von den Toten auferstehen”?
Es ist uns eine nahezu gängige Vorstellung, dass die Verklärung auf dem Tabor ein “Vorspiel”, ein “Schimmer” dessen ist, was Auferstehung ist. Ja, selbst die WorteVerklärung undAuferstehung tragen in sich diesen Schimmer-Glanz.
Ihre nüchternen Grundworte sindklar undaufstehen. Mit diesen Worten können wir etwas anfangen.Sie gehören zu unserer Alltagssprache,
Ihre Komplizierungin die anderen WorteVerklärungund Auferstehunggreift einerseitsdas gängige Verständnisder Worteauf.Andererseits verfremdetsiedas zugleich in eine Intensität hinein, die nicht mehr griffig ist.
SindVerklärung undAuferstehung deswegenals “(kirchliche) Kunstsprache”abzulehnen, weil sie eben nicht mehr Allerwelts- und Alltagssprache sind? Oder darf man es auch ganz anders – nämlich positiv – sehen?Ich sehe sie so. Sie sind Echovon Gottes ureigenerPoesie.
Der Alltag ist nicht das Ganze. Die Wort-Erweiterung öffnet die Alltagswelt auf ein “Irgendwie-darüber-hinaus”. Die beiden WorteVerklärung undAuferstehungsind gewissermaßen Kurzformen von Gedichten.Das Eigentümliche von Gedichten ist die offeneSprache ist.Offene Sprache öffnet die Weltgrenze ins Unendliche hinein. Das Reden von Gott -undvor allemdas Sprechen mit Gott -lebt wesentlich aus eineroffenenSprache.Das, was ich sagen möchte, ist immer mehr als das, was ich sagen kann und tatsächlich sage.Ich sage zwar etwas, aber was ich eigentlich sagen möchte, ist unsagbar.
Wenn ich diesen Gedanken auf die Feier des Osterfestes anwende, dann kommt etwa Folgendesdabei heraus. 2000 Jahre Christentum haben die Botschaft ins Heute getragen. Kontemplation, Gedichte, Lieder, theologische Traktate, Glaubensbekenntnisse, Katechismen und … und … und … haben den Gehalt und die Aussage des Festes zu fassen versucht. Und das, was dabei herausgekommen ist,... zerrinnt zwischen den Fingern.
Und doch, … etwas bleibt und leuchtet auf: “Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben” (1 Kor 2,9). Die jüdische Dichterin Nelly Sachs scheint in diese Richtung zu denken, wenn sie von den “goldenen Überraschungen des Herrn” spricht, von denen wir nur die Träume wissen. Es bleibt eine Faszination, die das Auge leuchten lässt und Kraft für den nächsten Schritt und einen langen Weg gibt. Ein Strohhalm Licht, der im Sturm des Lebens Halt gibt.
Ich habe im letzten Jahr nach einer Kurzformel dieses Osterkerns meines Glaubens gesucht, und bin für mich auch fündig geworden.Es ist das eine WortHerrlichkeit. Das Wort kommt nahezu alle naselang in der Sprache der Kirche vor.Stolpern Sie einfach einmal über dieses Standardwort, wenn es z.B. in der Liturgie auftaucht.Das Wort istherrlich uneindeutig und faszinierendherrlich.Es sagt nichts in der griffigen Alltagssprache des kleinen oder großen Welt-Einmaleins.Und doch sagt es alles über Gott: Du bistherrlich.Gott ist das Gedicht dieses einen Wortes. … und Ostern?
Ostern
Der Strohhalm Licht,
der im Sturm des Lebens
Halt gibt.
Albert Altenähr
2019-03-16
verfasst als Monatsimpuls für die Ordensseite der Website des Bistums Aachen (April / Ostern 2019)
übernommen von der Kirchenzeitung Aachen (Karwoche 2019)
siehe auch >> https://abtei-kornelimuenster.de/spirituelles/weitere-impulse/engellied-und-erdenglaube-herrlichkeit.html
Psalmen beten
Sich Gott er-innern
Die aktuelle Tischlektüre unseres Konventes[1], zumal der grundlegende Einleitungsbeitrag, lässt mich wieder einmal über das bzw. ein mögliches Zentralanliegen des Psalters und seines Betens nachdenken. Die beiden Herausgeber des Buches haben ihre Einführung unter die Überschrift gesetzt: „’Tut dies zu meinem Gedächtnis’ Das Christentum als Erinnerungsreligion“[2] Die Spannweite und die Reflexionstiefe der Ausführungen geben zahlreiche Anregungen zu eigenem Nachdenken über manches scheinbar „Selbstverständliche“, das zum (nicht selten schon abgegriffenen) Standard religiösen Gebrauchswissens gehört.
Die erste Überraschung ist vielleicht schon, sich auf die Weite einzulassen, die die beiden Autoren dem Begriff „Ort“ abgewinnen. Es sind nicht einfach und nur „reale, auf einer Landkarte identifizierbare Orte“ (13). „Erinnerungsorte können vielmehr grundsätzlich materieller und immaterieller Natur sein. Es kann sich um historische, aber auch mythische Ereignisse oder Persönlichkeiten, Rituale, Liturgien, Institutionen, Texte oder Kunstwerke handeln. Dabei geht es nicht um den materiellen oder immateriellen Ort als solchen, um seine faktische Existenz in Raum und Zeit. Vielmehr geht es um das symbolische Kapital, das der Ort transportiert und das mit ihm verbunden wird. … eine Art von Kristallisationspunkt … Ein Erinnerungsort regt zur Erinnerung an und beschwört die Gegenwart des Vergangenen“ (ebd.).
Diese Auf-Weitung des Begriffes „Ort“ trifft sich mit dem Verständnis der Psalmen als Literaturform der Dichtung. Sie sind kein stenografisches Sachprotokoll von irgendetwas, kein Tagesschau- oder Zeitungsbericht. Ihre einzelnen Worte begrenzen sich nicht auf den Inhalt, den ich ihm heute entsprechend meiner kulturellen und soziologischen Heimat üblicherweise zu-erkenne. Sie haben ein Sach- und mehr noch Symbolkapital über die Grenzen der Alltagssprache hinaus. Die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit eines Mehrwerts der Sprache der Psalmen anzunehmen, ist ein Weg, vielleicht sogar der einzige Weg, ihnen nahezukommen. Das verlangt gewissermaßen vom Beter, dass er selber ein Dichter wird, der sich die Psalmen erdichten muss. Eine „richtige Übersetzung“ allein genügt nicht. Sie bleibt „falsch“ und wird an der „Seele“ des jeweiligen Psalmes vorbeischauen.
Markschies und Wolf weisen auf die zentrale Erschütterung hin, die die Eroberung Jerusalems (587 v.Chr.) und das anschließende Exil in Babylon für Israel bedeutete. Das hätte das Ende der kollektiven Identität des Volkes sein können. „Durch die ‚kontrapräsentische Erinnerung’ an die Heilstaten Gottes in der Geschichte konnte das Volk Israel (aber) im Exil seine Identität wahren und auf einen neuen Exodus, eine neue Befreiung aus dem Sklavenhaus Ägypten, hoffen, die dann ja im Edikt des persischen Großkönigs Cyrus ja auch eingetreten (ist)“ (14).
Vieles weist darauf hin, dass der Psalter in großen Teilen der exilischen und nach-exilischen Wirklichkeit Echo gibt. Die von den beiden Autoren so genannte „kontrapräsentische Erinnerung“ bringt im Heute des Unglücks das Gestern zur Sprache, das nicht weniger bedrückend war, und hebt die damalige Erlösung aus dem Leiden ans Licht. In Psalm 136,13 - genau die Psalmenmitte! – z.B. geschieht das in der Formulierung: „Das Schilfmeer zerschnitt er in Teile, denn seine Huld währt ewig.“
Die Exoduserfahrung ist wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem Babylonischen Exil zu der Bedeutung herangewachsen, die sie in der jüdisch-christlichen Tradition bis heute hat. Sie ist der Zentralort der Zukunftszuversicht, der christlicherseits nur noch vom österlichen Christusereignis überstiegen wird. Dabei sollte nicht übersehen werden, dass der suchende Blick der Beter nach einem Ankerplatz der Sicherheit für das Leben „geschichtlich“ weit darüber hinaus geht. Wo immer die Schöpfung erwähnt wird, darf als mitschwingendes Element beachtet werden, dass Jahwe ihr Urheber und so ihre Garantie- und Gewährsmacht ist. „Mag wanken die Erde samt allen, die auf ihr wohnen; * ich selber habe ihre Säulen fest gegründet“ (Ps 75,4). Die etablierte Einleitungsformel vieler religiöser Feiern: „Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn, * der Himmel und Erde gemacht hat“ (Ps 121,2; 124,8) kann unseren Blick in diese Richtung schärfen und unser gebetete Hoffnung stärken.
Huld und Treue als poetischer Erinnerungsort
Ein zentraler poetischer Erinnerungsort – um die Begrifflichkeit von Markschies und Wolf aufzugreifen -, für diese Gottes-Versicherung ist die Ansage, Jahwe sei ein Gott der Huld und Treue. Das heute wohl nur noch wenig vertraute Wort Huld wird in unseren Übersetzungen teilweise auch durch andere Worte, z.B. Liebe, wiedergegeben. Dieser Versuch, das eine hebräische Wort „Chesed“ durch verschiedene Übersetzungen zu variieren, verschleiert ein wenig die eindrückliche Häufigkeit und damit das Gewicht des hebräischen „Chesed“ im Psalter. Der Begriff „Treue“ wird schon im Hebräischen immer wieder variiert oder aufgedröselt, indem die bleibende Zuverlässigkeit des Handelns Jahwes angesprochen wird, etwa in der Formel „… denn deine Huld währt ewig“.
Die „Chesed“ Jahwes erschließt sich nicht, wenn wir einfach vom inhaltlichen Klang des Wortes heute ausgehen. Der unmittelbare Kontext innerhalb der Psalmen ist da klärender. In Psalm 77,6.8-10 z.B. heißt es:
Ich denke nach über die Tage von einst, *
über urlängst vergangene Jahre. …
Wird der Herr denn auf ewig verstoßen *
und niemals mehr erweisen seine Gunst?
Hat seine Liebe[3] für immer ein Ende? *
Ist es aus mit seinem Wort für alle Geschlechter?
Hat Gott vergessen, daß er gnädig ist? *
Hat er im Zorn sein Erbarmen verschlossen?
Wenn ich die obigen Verse insgesamt betrachte, dann wird Huld als Zuwendung charakterisiert. Jahwe hat sie dem Beter in oder seit „urlängst vergangenen Jahren“ erwiesen; die Gegenwart wird dagegen als Abwendung Gottes erfahren. Näher wird die Huld mit Worten wie „Gunst“, „Liebe“, „gnädig“, „Erbarmen“ eingekreist.
Im weiteren macht derselbe Psalm 77 deutlich, dass Huld keine abstrakter Begriff oder dass sie eine rein innerliche Haltung ist. Sie umschreibt vielmehr ein sehr konkretes Handeln Jahwes zugunsten des Menschen. Der Psalm spricht von „Taten“, „Wundern“, „Werken“, „Macht(erweisen)“, um schließlich noch konkreter die eine, die besondere (Groß-)Tat der Befreiung aus Ägypten in den Erinnerungsblick zu rücken. Das rettende Wunder am Schilfmeer (Verse 17-21) wird dann ausgemalt mit einem großen Gewitter. Das ist ein Szenario, das so gelegentlich auch für die Schöpfungstat oder den Bundesschluss am Sinai verwandt wird.
Ich denke an die Taten des Herrn, *
gedenken will ich deiner einstigen Wunder!
Ich erwäge all deine Werke, *
und über deine Taten sinne ich nach. …
Du bist die Gottheit, die Wunder tut, *
unter den Völkern tatest du kund deine Macht.
Du hast mit deinem Arm dein Volk erlöst, *
die Kinder Jakobs und Josefs. (Ps 77,12-16)
Huld und Treue Jahwes scheinen dem Psalter eine so wichtige Ansage zu sein, dass er diese beiden Worte zu einem ganzen Psalm macht, mit zwei Versen dem kürzesten des gesamten Psalters (Ps 117). Nach dem Aufgesang in Vers 1 beschränkt er sich auf den „springenden Punkt“ der Huld und Treue. Spitz gesagt: Dieser Vers ist „in nuce“ der ganze Psalter der 150 Psalmen.
Denn mächtig waltet über uns seine Huld, *
die Treue des Herrn währt in Ewigkeit.
Das reicht als Psalm, - als ein ganzer, vollständiger Psalm, - vielleicht könnte man sogar sagen: als der gesamte Psalter mit seinen 150 Liedern.
Die Zusammenstellung von Huld und Treue als Charakteristika Jahwes sind in den Psalmen insgesamt relativ so häufig, dass man sie fast als Namensdeutung des Gottesnamens verstehen könnte: „Ich bin, der ich (handelnd für dich da) bin.“ Oder sprachlich (poetisch?) ein wenig weiter gespielt: „Ich bin der, der dir Gutes tut. / Ich bin der, der dir gut tut“, … und umgekehrt vom Menschen zu Gott hin fast als Bekenntnis und Kurzgebet: „Du tust gut.“
Weil Huld und Treue so tief in Gott verankert sind, können sie als Gebetsworte poetischer Erinnerungsort für jegliches Ereignis in Zeit und Vorzeit und für jede gute Erfahrung im Leben der Menschen werden. Psalm 136 und Psalm 107 sind dafür gute Beispiele. Die frühere Hulderfahrung wird ins Heute hineinerinnert und für das Morgen beschworen. Der Beter nimmt Gott beim Wort und bei seinen Taten, … oder zugespitzter noch: der Beter bestürmt Gott bei seiner Identität. „Du Gott der Huld und Treue, sei du selbst.“
Herr, wo sind die Taten deiner Huld[4] von einst? *
Du hast doch David bei deiner Treue geschworen! (Ps 89,50)
Albert Altenähr
2017-06-30
[2] A.a.O., 10-27
[3] Im Hebräischen steht das Wort „Chesed“. Die Einheitsübersetzung gibt es mit „Huld“ wieder, während Münsterschwarzach „Liebe“ als Übersetzung wählt.
[4] Der hebräische Text hat anstelle des interpretierenden „Taten deiner Huld“ den schlichten Plural „deine Hulden“.
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