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Oblaten – Berufe der Klöster

Statement auf der Salzburger Äbtekonferenz 2003, Quarten (CH), 22.–25.04.2003

Oblaten – Berufe der Klöster

In den Papieren, die in den vergangenen Monaten für die Vorbereitung des Genralkapitels der Sublazenser Kongregation der Vorbereitungskommission zugesandt wurden, tauchte gelegentlich der Gedanke auf, der in arg überspitzter Vereinfachung so zusammengefasst werden kann: „Ihr im Norden habt Geld - wir im Süden habe Berufe. Üben wir also Solidarität und lassen wir uns gegenseitig am jeweils eigenen Reichtum teilhaben. Ihr gebt uns Geld, wir schicken euch Berufe.“ Wie gesagt, das ist sehr vereinfacht und in dieser Vereinfachung ungerecht. Ich wage diese Vereinfachung trotzdem zu formulieren, um die Frage zu pointieren: Haben wir tatsächlich keine Berufe in unseren Klöstern des Nordens?

Meine Überlegungen in den vergangenen Jahren zu den geringen Nachwuchszahlen – und auch der geringen absoluten Zahl in meiner eigenen und in anderen Gemeinschaften – kommen mehr und mehr zu der Überzeugung, dass wir den Berufungsbegriff nicht einengen dürfen auf die, die in die Gemeinschaften als Mönche und Nonnen eintreten. Der starre Blick des Kaninchens in die beängstigenden Augen der Schlange der kleinen Eintrittszahlen gewinnt Freiheit und Lebensfeuer, wenn wir als unsere „Berufungen“ auch diejenigen betrachten, die durch den Kontakt mit unseren Gemeinschaften auf ihrem Weg gestärkt werden oder gar ihn erst finden. Das aber sind nicht nur wenige, sondern es sind viele, - ja, sogar sehr viele Menschen.

Menschen kommen zu unseren Klöstern, weil sie dort Architektur und Melodie gewordene Kultur finden, - weil es dort Produkte mit dem Traditions- und Qualitätsmerkmal „Kloster“ gibt, - weil ihre Bildungs- und Ausbildungstradition die Aura des Soliden und Bewährten vor sich hertragen. Nicht alle – vielleicht nur wenige - sind sich reflektiert bewusst, dass all dies sich aus Tieferem nährt. Aber es gibt sie durchaus, - die Menschen, die nicht an den Außenfassaden unserer Geistigkeit stehen bleiben, sondern die nach dem Geist selbst fragen. Sie fragen: „Woher haben sie das? Können auch wir diesen Geist finden und in uns fruchtbar werden lassen?“ Diese Frage der Menschen an uns selbst heranzulassen und uns ihr zu stellen, scheint mir eine wesentliche Verantwortung unseres benediktinisch-missionarischen Christseins zu sein. Vor ihr können wir uns nicht hinter Klausurmauern zurückziehen.

Um es noch einmal anders zu formulieren: Es gibt immer wieder Menschen, die nicht nach unseren Tätig- und Nützlichkeiten, sondern nach unserem Lebenszeugnis fragen. Sie wollen nicht einfach unsere Dienste und Aktivitäten. Sie suchen Quellen für ihr eigenes Leben und ahnen, dass unsere Quellen auch ihnen Orte der Beheimatung anbieten könnten, ohne dass sie gleich Mönche und Nonnen werden müssen. Wie weit lassen wir dieses Fragen wirklich an uns heran?

Für mich ist dieses Fragen das herausragende Geschenk, das an uns von draußen gegeben wird. Es erhält die Quelle lebendig, dass aus ihr geschöpft wird. Ich möchte einem Oblatenrektor zustimmen und widersprechen, der mir vor kurzem geschrieben hat: „Sie schreiben sehr mutig, die Oblaten-Einbindung sei nicht eine Einbahnstraße, sondern eine Begegnung wechselseitiger Bereicherung. Es wäre schön, wenn es so wäre, ich erlaube mir jedoch, das für die Gegenwart zu bezweifeln. Ich wüsste in meinem Kloster keinen zu nennen, der durch die Begegnung mit den Oblaten bereichert wird, ausgenommen den derzeitigen Rektor.“ Der Mitbruder hat solange recht, als es zu keiner Begegnung kommt. Da er selbst aber Oblaten begegnet, sieht es für ihn anders aus.

Wenn wir dieses Fragen von Menschen nach unserem eigenen und eigentlichen Quellort zulassen, dann hat das für uns vorallererst ein eigenes Befragen unserer eigenen Berufung zur Folge. Ich habe gemerkt, dass die Antwort darauf gar nicht so leicht ist, wie es scheint und manchmal von uns behandelt und abgehandelt wird. Die Menschen, die bei uns anklopfen, wollen nicht einfach richtige, geschweige denn fertige Antworten, - sie suchen authentische Antworten, - personal glaubwürdige Antworten. Bin ich, - sind wir dazu bereit und fähig?

Wer ist Jesus Christus wirklich für mich, - wer der heilige Benedikt?

Was bedeutet mir die Gemeinschaft, - das Chorgebet der Psalmen, - die Bindung der Gelübde?

Was beinhalten mir so klassische benediktinische Stichworte wie „hören“ oder „Gott suchen“?

Habe ich tatsächlich ein geistliches Leben und pflege ich es?

Und dann noch einmal: wie steht es mit all dem in unserer Gemeinschaft als Gemeinschaft?  

Das Stichwort Gemeinschaft lässt mich noch ein wenig weiter fragen. Die obigen Fragen habe ich zunächst in der Ich-Form formuliert. Erst mit der letzten Frage habe ich sie kommunitär in den Blick gestellt. Ich behaupte einmal ungeschützt – und zum nachdenkenswerten Einspruch einladend: Seelsorge ist in unserer Tradition weitgehend ein rein individuelles Geschehen. Die gemeinschaftliche Verantwortung einer Gemeinschaft für die Einzelnen ist wenig durchgedacht und schon gar nicht internalisiert. Das gilt zum Teil schon innerhalb unserer Konvente, ganz sicher aber nach draußen hin.

Diejenigen, die sich durch das benediktinische Koinobium und seine Lebenserfahrung angezogen fühlen, so dass „das Kloster“ der Bezugspunkt ist, werden vom „Kloster“ allein gelassen oder auf Distanz gehalten. Der oben zitierte Oblatenrektor schrieb mir im Februar: „Um es hart zu sagen: ich habe den Eindruck, dass man / mein Konvent in seiner Mehrheit erwartet, dass man von den Oblaten in Ruhe gelassen wird. Die Dienste von zwei Oblaten nimmt man gerne in Anspruch, im übrigen hat man kaum eine Vorstellung, was Oblaten sind.“

„... im übrigen hat man kaum eine Vorstellung, was Oblaten sind.“ Hier ist nach meinem Dafürhalten ein Punkt, wo man innerkommunitär ansetzen kann und muss. Ich erinnere mich aus meiner monastischen Jugend nicht, dass Oblaten je ein Thema kommunitärer Reflexion oder von Kapitelsitzungen gewesen sind. Ich erinnere mich nicht, dass in meiner monastischen Ausbildung oder Weiterbildung „monastische Pastoral heute“ je ein Thema gewesen wäre, - geschweige denn als Gesamtaufgabe des Klosters an sich. Die Pastoral tauchte im wesentlichen erst mit dem Priestertum im Blickfeld auf. Und das „Wir“ des Klosters wird sehr schnell in die Aufgaben der Einzelnen aufgefächert. Für die Oblaten ist einer zuständig ... und die andern sind nicht daran interessiert?

In vielen Arbeits-, Seelsorgefeldern unserer Klöster gibt es Teams – oder zumindest Teamversuche -, in denen mehrere Mitbrüder zusammen überlegen, wie etwas gut in der Gegenwart verwirklicht und in die Zukunft hineingeführt werden kann. Der Oblatenrektor scheint mir in seiner Aufgabe aber nahezu in allen Klöstern ein Einzelkämpfer zu sein. Oblatengemeinschaften scheinen mit dem Engagement und Charisma der Oblatenrektoren zu leben und zu sterben. In diesem Einzelkämpferdasein des Oblatenrektors sehe ich als systemimmanente Gefahr, dass die Oblaten die persönliche Klientel (elitär der „Meisterkreis“ oder einige Etagen tiefer der „Klüngelkreis“) des jeweiligen Mitbruders werden, der die Aufgabe wahrnimmt. Das wird u.U. noch dadurch verstärkt, wenn das Amt durch viele, viele Jahre beim selben Mitbruder bleibt. Weder der solitäre spirituelle Großmeister noch der tantenhafte Tüdelpater sind die ideale Besetzung für den Posten. Es fehlt bei der auf die  Person des Oblatenrektors zentrierten Oblatenarbeit die spannungsgeladene und auch streitende Auseinandersetzung, was wir als Gemeinschaft (!) den suchenden Menschen als Botschaft anbieten können und wie wir es anbieten wollen. Es fehlt das konventuale (!) Bewusstsein, als Kommunitäten Verantwortung zu haben.

Es mag hinzukommen, dass das tradierte Modell des Oblatentums den Anschein „betreuter Frömmigkeit“ erweckt. Norvene Vest, Oblatin von Valyermo, USA – Kalifornien, hat es einmal so umschrieben: „Oblate formation was largely a matter of periodic meetings at the monastery where "Father" gave a presentation to admiring oblates – Oblatenbegleitung war weithin eine Sache regelmäßiger Treffen im Kloster, bei denen ‚Pater Rektor’ vor bewunderungsstarren  Oblaten einen Vortrag hielt”. Das Dritt-Ordens-Modell von regelmäßigen Zusammenkünften, Vorträgen, Briefen, bestimmten Gebetsverpflichtungen, und Gewährung der Teilnahme am „geistlichen Schatz“ – was auch immer das sein mag – greift heute sicher zu kurz. Der Weckruf des „revera quaerere Deum“ kann nicht kategorial beantwortet werden, sondern führt in den Unruhestand selbständiger Sehnsucht und in entschiedeneres Christsein im jeweiligen Alltag.

Persönlich kann ich mir nicht vorstellen, dass eine Abtei es leisten kann, Oblaten auf diesem Suchweg zu begleiten, wenn die Oblatengruppe übergroß ist. Amerikanische Oblatengemeinschaften, die nach Aussage von Norvene Vest im Schnitt die 10-fache Zahlengröße der Mutterklöster haben, folgen sicher einem anderen Verständnismodell als die Oblatentradition unserer Klöster. Meine Frage geht aber auch an die großen Oblatengemeinschaften unserer eigenen Vergangenheit. Hier sind mutige Fragen zu stellen, ob das alte Modell auch Modell für die Zukunft ist, und wenn man zu der Erkenntnis kommt, dass es das nicht ist, wie man das Alte zu einem guten Ende führt und Neues heranwachsen hilft.

Ein Abschnitt aus dem Brief eines anderen als des schon zitierten Oblatenrektors aus dem Februar dieses Jahres soll das Gesagte mehr praktisch als theoretisch ergänzen: „Ich bedaure es, dass bei großen Konventen die Oblaten so wenig in die klösterliche Gemeinschaft integriert sind. Natürlich sind auch die Oblatengemeinschaften dann größer und die einzelnen Oblaten können vom einzelnen Mönch/Nonne nicht alle gekannt werden. Aber die Oblation sollte nicht nur im Rahmen der Oblatengemeinschaft vorgenommen werden, - der Konvent sollte auch beteiligt sein. Ich bedaure es sehr, dass z.B. Vater Abt, der doch selber viele Jahre die Oblaten geleitet hat, es in seiner Amtszeit als Abt nicht fertig gebracht hat, dass bei Aufnahmen und Oblationen auch ein paar Mitbrüder teilgenommen hätten. Die Oblaten schließen sich ja nicht nur zum Beten und Spenden an. In kleineren Gemeinschaften erlebt man das ganz anders. Freilich, wir hatten einmal zuviel Oblaten auf einmal.“

Abschließend will ich als These in den Raum stellen: Oblaten sind echte Berufe der Klöster, - nicht weniger als diejenigen Brüder, die in die Klöster als Mönche eintreten. Die Oblaten als geistlichen Berufungs-Reichtum der Gemeinschaften zu entdecken, ist eine Aufgabe, die neu angegangen werden muss, nachdem sie lange Jahre nicht bedacht wurde. Die Aufgabe kann nur gelingen, wenn innerhalb der Konvente die Nischen-Individualismen der geistlichen Privatzirkel aufgebrochen werden und wenn die Konvente als Konvente zusammen mit den Oblaten um die Zeugniskraft Benedikts für Klöster und Welt ringen. Fertige Antworten habe ich beileibe nicht, aber ich bin neugierig, was die Zukunft bringt.

Meine Überzeugung geht dahin, dass die Initialzündung für eine Verlebendigung des Oblatentums aus der innerklösterlichen Neubesinnung auf unser benediktinisch-monastisches Ideal und seine Botschaft für Kirche und Welt ausgeht. Dabei ist es nicht mit einer Heiligsprechung der großen Reformzeiten des 19. (Solesmes, Beuron, Subiaco), des 10./11. (Cluny) oder des 9. Jahrhunderts (karolingische Reform, Inda-Kornelimünster) getan. Wir müssen Benedikt von Nursia finden, - und wir müssen ihn heute finden. Ja, wir müssen noch weiter zurückschauen: den Christus heute – für morgen – ... suchen wir ihn wirklich?

Zusammenfassende Thesen und Fragen zum Weiterbedenken:

1.        Wo durch das Zeugnis eines Klosters Menschen zu ihrem ganz ureigenen Lebens-/Glaubensweg finden, können wir von Berufen des Klosters sprechen.

2.        Seelsorge und Pastoral sind nicht an das Priestertum gebunden. Das Leben des monastischen Charismas ist unabhängig von aller priesterlichen Tätigkeit und vor allen Verkündigungs- und Seelsorgsaktionen Seelsorge und Pastoral. Das Zeugnis ist missionarische Botschaft.

3.        So sehr Seelsorge immer auch (u. vielleicht sogar meist) ein Geschehen von Individuum zu Individuum ist, so sehr ist das kommunitäre Zeugnis als solches ein Gesprächspartner der Seelsorge. Heilsindividualismus ist keine christliche Dimension.

4.        Kommunitäre Seelsorgsverantwortung führt den Gegenüber an die Kommunität heran. Hier sind von den Kommunitäten die Chancen und Weiten der Offenheit und die Notwendigkeit der Grenzen auszuloten.

5.        Kommunitäre Rückbindungserfahrung führt auch zur Öffnung auf „Gruppenbildung“ bei Oblaten selbst. Der Dekanien-Gedanke der Regel könnte für Untergruppen von Oblaten fruchtbar gemacht werden. Regionale Gruppierungen gibt es für einige Oblatengemeinschaften bereits. Könnte es Dekanien auch für „Alt-“ und „Jung-Oblaten“, - für neue Aufbrüche, Ansätze und Versuche, - für Männer und Frauen, - für unterschiedliche Erfahrungsvoraussetzungen und Denkrichtungen geben? Wie könnte das aussehen?

Abt Albert Altenähr OSB
 2003-04-26