Das Kellion abseits der Straße[1]
Als die drei Männer Abraham[2] verließen, wandten sie sich nach Süden und nach Norden, gen Westen und gen Osten. Sie wanderten lange und kamen bis in unsere Zeit. Die Welt war weit fortgeschritten seit Abraham, weit fort von Abraham, seinem Zelt- und Hirtendasein, und man war stolz darauf. Man nannte es „Fortschritt“ und meinte es rundum positiv. Die Hard- und Software des Lebens waren andere als zu des Erzvaters Zeiten-Dunnemal.
Rush Hours und Hedgefonds, Traffic Jams und Penthouse-Edelbleiben, Szene-Discos und Wellness-Gurus und … und … und vieles mehr an Mitmach-Lockungen und Heilsversprechen.
Und immer wieder hörten die drei von einer Angst, die die Leute „Burn out“ nannten.
Sie ließen sich abseits der Schnellstraße, die von der Hafenstadt nilaufwärts führte[3], unter einer Palme nieder. Sie schauten das Lichterband der Autos vor ihnen und schwiegen.
„Wo ist ihre Seele?“ fragte schließlich einer.
Die andern gaben keine Antwort. Ihr Schweigen war Antwort genug.
Sie brachen auf und gingen weiter. Sie kamen an ein Kellion. Ein Mönch saß davor, der fernen Straße zugewandt, die Augen nach innen gewandt und … schwieg. Sie setzten sich zu ihm. Er sagte nichts und sie taten es ihm gleich. Das Schweigen war seine Gastfreundschaft.
Als sie aufbrachen, verneigte sich der Mönch und sagte nur das eine: „Der Herr sei gepriesen.“
Die drei schauten sich an und dann ihn.
„Es ist gut, dass es dich gibt“, sagte der eine.
„Gesegnet seist du“, der andere.
Der dritte: „Ein Segen bist du für die auf den Rennsteigen des Lebens.“
Als die Leute kamen, um nach dem Mönch zu schauen, stand er vor seinem Kellion, die Arme erhoben. In der Schale seiner Hände hielt er sich und die Seelen der Vielen dem Herrn entgegen. Seine Augen beteten: „Erbarme dich unser, Herr.“
Die drei aber sagten: „In ihm lebt der Erzvater Abraham. Sein Glaube ist nicht gestorben.“
Albert Altenähr
2014-02-19
[1] Kellion = Mönchzelle oder kleines Kloster im frühen Mönchtum.
[2] Vgl. Genesis 18
[3] Die Geschichte ist in die Sketische Wüste (Wadi Natrun), etwa 100 km südöstlich von Alexandria, auf halbem Weg nach Gizeh (Kairo) lokalisiert. Die Sketis ist eine der Ursprungsgegenden des Mönchtums. Heute gibt es dort noch vier koptische Klöster.