Die Reise
vom Baum in Eden zum Baum von Golgotha
Predigt von Bischof Hugh Gilbert OSB, Aberdeen[1], am Fest Kreuzerhöhung in der Propsteikirche Kornelimünster aus Anlass des 1200-Jahr-Jubiläums der Abtei Kornelimünster, 14. September 2014
Neben Bischof Hugh Gilbert als Diakon Frater Matthias und als Konzelebrant Erzbischof Joseph Jules Zerey, griechisch-melkitischer Patriarchalvikar von Jerusalem.
Ich fühle mich sehr privilegiert, an dieser Feier teilzunehmen und einige Gedanken über die Bedeutung des Festes mit Ihnen teilen zu dürfen.
1 „Heilig Kreuz, du Baum der Treue / edler Baum, dem keiner gleich. /Keiner so an Laub und Blüte, / keiner so an Früchten reich. /Süßes Holz, o süße Nägel, / welche süße Last an euch“[2]
Wie gut, dass wir dieses Jubiläum am Fest Kreuzerhöhung eröffnen. Wir erinnern uns an das Holz des Kreuzes, den Baum des Lebens, und an den Anfang des monastischen Lebens an diesem Ort.
Klöster und Bäume sind verwandt. „Da stieg ein Baum. O reine Übersteigung“, schrieb Rainer Maria Rilke[3].
Da stieg ein Baum. O reine Übersteigung!
O Orpheus singt! O hoher Baum im Ohr!
Und alles schwieg. Doch selbst in der Verschweigung
ging neuer Anfang, Wink und Wandlung vor.
Tiere aus Stille drangen aus dem klaren
gelösten Wald von Lager und Genist;
und da ergab sich, daß sie nicht aus List
und nicht aus Angst in sich so leise waren,
sondern aus Hören. Brüllen, Schrei, Geröhr
schien klein in ihren Herzen. Und wo eben
kaum eine Hütte war, dies zu empfangen
ein Unterschlupf aus dunkelstem Verlangen
mit einem Zugang, dessen Pfosten beben, -
da schufst du ihnen Tempel im Gehör.
Rainer Maria Rilke (1875-1926)
(Bischof Hugh zitierte in seiner Predigt das Gedicht nicht als Ganzes, aber er greift immer wieder auf einzelne Wortverbindungen zurück.)
Im Mai besuchte ich eine Benediktinerabtei in der Nähe von Posen in Polen. Dort stand draußen ein riesiger Baum, der älteste Kastanienbaum in ganz Polen.
Das Motto der berühmten Abtei Montecassino lautet „succisa virescit – abgeschnitten, sprießt er.“
In den Psalmen wird der Gerechte mit einem Baum verglichehn, der neben dem fließenden Wasser gepflanzt wurde, und der seine Früchte bringt zur rechten Zeit (Psalm 1).
Und auch hier in Kornelimünster, vor 1200 Jahren, pflanzte der hl. Benedikt von Aniane neben dem Fluss Inde den Baum eines Klosters.
„Da stieg ein Baum. O reine Übersteigung … da schufst du einen Tempel im Gehör.“
Ja, da gibt es eine Verwandtschaft zwischen Klöstern und Bäumen: Beständigkeit, Treue, Stille, Tiefe, Schutz, Bewegung zum Himmel.
Die Gesundheit der Welt braucht Bäume.
2 Und Christen kennen noch eine andere Symbolik.
Charles Dickens schrieb den berühmten Roman „ Tale of Two Cities – Eine Geschichte über zwei Städte“[4] – London und Paris. Die Heilsgeschichte ist eine Geschichte über zwei Bäume, über den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse im Garten Eden und über den Baum des Kreuzes auf Golgotha.
Zwei Bäume bilden die Mittelpunkte von zwei verschiedenen Bewegungen, zwei Bäume die zwei verschiedene Welten schaffen.
„Das Weib sah, dass der Baum gut zu essen wäre und lieblich anzusehen und begehrenswert, um Einsicht zu gewinnen. Und sie nahm von seiner Frucht und aß, und gab davon auch ihrem Manne, der bei ihr war, und er aß“ (Genesis 3,6).
In jenem Baum wurde die Welt zu etwas, dass man sich nehmen kann, dass man essen und plündern kann. Der Mann und die Frau wollten nicht hören (das Gotteswort) und nahmen die Gabe des Lebens dem weg, der sie ihnen geschenkt hatte, und sie nahmen sich die Welt für sich selbst. Die Welt wurde einfach in einer einzigen Beziehung eingeschlossen – als „begehrenswert“, d.h. für uns allein. Alles wurde auf diese schmale Linie verengt, … und ihr Leben schrumpft zusammen.
Deshalb schrieb der hl. Paulus: „durch einen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod“ (Römer 5,12).
Aber - singt heute unsere Liturgie – „der Feind, der am Holz gesiegt hat, wurde auch am Holze besiegt durch unseren Herrn Jesus Christus“[5].
An diesem zweiten Baum finden wir nicht die Geschichte von Begierde, vom Nehmen, vom Plündern. Es ist die Geschichte der Selbsthingabe, nicht des „für mich / für uns“, sondern des „für viele“[6]. Es ist der Ausdruck einer (diametral; fr.a.) entgegengesetzten Haltung und des Schaffens einer anderen Welt.
„Da stieg ein Baum. O reine Übersteigung.“
Der Baum der Treue. Hier gab es Hören und Gehorsam, Hingabe und Leben.
Keine Hand ausgestreckt, um zu nehmen, sondern zwei Hände ausgebreitet als Gebet.
„So hat er die Macht des Todes gebrochen und die Auferstehung kundgetan“[7].
3 Es gibt viele Bücher - insbesondere deutsche Bücher! – über die Geschichte des Mönchtums. Aber was ist die wahre, oft nicht erzählte Geschichte eines Klosters, - oder dieses Klosters, das in das Tal der Inde gepflanzt wurde?
Es ist die Geschichte von zwei Bäumen. Es ist die Reise vom ersten Baum zum zweiten Baum, die Reise vom Ungehorsam zum Hören.
„Und da ergab es sich, dass sie nicht aus List und nicht aus Angst in sich so leise waren, sondern aus Hören“.
Die wahre Geschichte (eines Klosters und seiner Mönche; fr.a.) ist die Reise vom Ich-selbst, dem Leben und der Welt als etwas, das man sich nehmen kann und an das man sich klammert, hin zu einer Gabe, die empfangen und die zurück- und weitergegeben wird.
„Unterwegs in der Wüste verlor das Volk den Glauben“ Natürlich! Auch in den Klöstern! „Es lehnte sich gegen Gott und Mose auf“ (Numeri 21,4f). Das kommt auch vor – unterwegs.
Aber wir werden unterstützt von verborgenen Fürsprechern, durch das Gebet der Heiligen und durch die Freundschaft von Oblaten und Freunden. Und jeden Tag – auch in der heiligen Eucharistie erhebt Gott in unseren Herzen den Einem am Baum, der uns von den Schlangenbissen heilt (vgl. Numeri 21,6-9[8]; Johannes 3,14ff[9]).
Was ist die Geschichte dieser 1200 Jahre. Es ist die tägliche eines jeden Mönches, der den Mut verliert, weiterzumachen, und der ihn dann wieder findet. Jeden Tag kehrt man zum Glauben zurück und sieht, dass der Menschensohn erhöht wird, damit keiner zugrunde geht und alle das Leben haben (Johannes 3,14).
Lasst uns Gott für diese Jahre danken!
Für alles Hören auf Gottes Wort.
Da stieg ein Baum, am Fluss der Inde, an der Regel des hl. Benedikt.
Da stieg ein Baum, der Baum der Treue.
„O hoher Baum im Ohr!“ Wir hören es.
„Und alles schwieg. Doch selbst in der Verschweigung ging neuer Anfang, Wink und Wandlung vor.“
.*
fr.a.
2014-10-03
Die Überschrift, die Bibelstellenangaben im Text
und die Fußnoten verantwortet fr.a.
[1] Bischof Hugh war vor seiner Ernennung zum Bischof von Aberdeen, Schottland (2011), Abt des Kloster Pluscarden, ebenfalls Schottland. Aus dieser Zeit ist er unserem Kloster verbunden. Er war häufiger in Kornelimünster; einige von uns waren auch schon in Pluscarden. 2012 hat Bischof Hugh dem Konvent einen geistlichen Tag über Kardinal Newman gestaltet. Abt Friedhelm war bei seiner Bischofsweihe in Aberdeen, P. Albert zur Abtsbenediktion seines Nachfolgers in Pluscarden. –
Mit 29.000 km² ist Aberdeen das flächenmäßig größte (?) Bistum Europas. Es umfasst ein Drittel der Fläche Schottlands. Außer Aberdeenshire, Moray, den nördlichen Highlands gehören auch die Orkney und die Shetland Inseln zum Bistum. Das Annuario Pontificio 2013 gibt die Zahl der Katholiken mit 18.500 (2,5% der Einwohner) an, Bischof Hugh selbst nennt wegen der vielen Polen, die der Arbeit wegen nach Schottland kommen, die Zahl von ca. 40.000.
[2] Hymnus zum Fest Kreuzerhöhung, Laudes.
[3] Die Sonette an Orpheus, I.1; 1922 (ð Kasten).
[4] Geschrieben 1859, „mit über 200 Millionen verkauften Ausgaben das original englischsprachige Buch aller Zeiten und gehört zu den berühmtesten Werken der Weltliteratur“ (Wikipedia).
Der Roman spielt zur Zeit der französischen Revolution. Er erzählt die Geschichte der Ehe eines englischen Ehepaares und der unerfüllbaren Verehrung eines Dritten für die Ehefrau. Der Verehrer gibt am Ende aus Liebe für die Frau sein eigenes Leben für den zum Pariser Schafott verurteilten Ehegatten. (Text des Romans im Internet: Projekt Gutenberg-DE.)
[5] Präfation vom Fest Kreuzerhöhung.
[6]….Anspielung auf die Konsekrationsworte der Eucharistiefeier : „…Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. … Das ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut, das für euch und für alle / viele vergossen wird.“
[7] .. Zweites Eucharistsches Hochgebet, Präfation.
[8] Num 21,6 Da schickte der Herr Giftschlangen unter das Volk. Sie bissen die Menschen, und viele Israeliten starben. 7 Die Leute kamen zu Mose und sagten: Wir haben gesündigt, denn wir haben uns gegen den Herrn und gegen dich aufgelehnt. Bete zum Herrn, daß er uns von den Schlangen befreit. Da betete Mose für das Volk. 8 Der Herr antwortete Mose: Mach dir eine Schlange, und häng sie an einer Fahnenstange auf! Jeder, der gebissen wird, wird am Leben bleiben, wenn er sie ansieht. 9 Mose machte also eine Schlange aus Kupfer und hängte sie an einer Fahnenstange auf. Wenn nun jemand von einer Schlange gebissen wurde und zu der Kupferschlange aufblickte, blieb er am Leben.
[9] Joh 3,14 Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, 15 damit jeder, der (an ihn) glaubt, in ihm das ewige Leben hat. 16 Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.