Unterwegs zum Menschsein
Ein Gott der Überraschungen
„Ob er wirklich Gott sucht“, ist in der Regel Benedikts die Grundvoraussetzung für den Eintritt in ein Kloster. Es heißt nicht: „ob er wirklich an Gott glaubt“, geschweige denn: „ ... fest an Gott glaubt.“ So sehr auch Benedikt davon ausgehen wird, dass eine gewisse Grundlage da sein muss, von der aus der Kandidat den Schritt in die klösterliche Berufung tut, so wichtig scheint ihm zu sein, dass Klosterleben ein Such-Weg ist. Dass der Eintretende etwas im Kloster sucht, wird sicher einsichtig sein. Dass das Suchen aber nicht in dem Moment endet, wo sich die Klosterpforte von innen hinter ihm schließt, sondern in diesem Augenblick erst richtig beginnt und ein Leben lang andauert, mag im ersten Moment verwundern.
Eine Novizenmeisterin erzählte mir einmal, dass sie einer Kloster-Aspirantin, die sich selbst in den höchsten Tönen anpries, gesagt habe: „Ich glaube, Sie bleiben besser in der Welt. Die Welt braucht Heilige. Wir im Kloster wollen es erst werden.“ Wer schon so weit „fertig“ ist, dass er glaubt, sich nur noch im Kreis anderer „vollendeter Heiliger“ glücklich fühlen zu können, der ist im Kloster fehl am Platz, - und wohl nicht nur dort. Er sucht weder Gott noch sein tiefstes Selbst. In seiner Weg-Verweigerung ist er in Utopia, - im Nirgendwo beheimatet. Sein „Korsett“ ist und bleibt sein Ziel. So geht er weder los, noch kommt er irgendwo an.
In einer Interpretation des benediktinischen Gelübdes der „conversatio morum“ las ich das Wort von der „Gymnastik des Augenblicks“. Der lateinische Ausdruck „conversatio morum“ lässt sich nur schwer übersetzen; gemeint ist die Bereitschaft zum Wachsen auf Gott hin. Sr. Caecilia Bonn, Nonne der Abtei Eibingen, deutet dieses Gelübde für die Menschen, die sich als sog. Oblaten in der Welt an der benediktinischen Geistigkeit orientieren wollen, folgendermaßen: „Wenn ein Oblate das Gelübde der beständigen Umkehr in sein Leben integrieren möchte, dann wird er ... nach und nach in der Flexibilität des Gehorsams die Bereitschaft zu ständigem Wandel und ständigem Neubeginn entwickeln – als Gegengewicht zu einer falsch verstandenen Stabilität, die zur Erstarrung und zum Beharren führen kann. Er bleibt beständig auf dem Weg und stellt sich so in der „Gymnastik des Augenblicks“ den Forderungen von Wachstum und Reifung. Das schließt Korrekturen, Einsicht in das eigene Fehlverhalten und eine Kultur der Buße mit ein“[1].
Der Weg ... – das sind sicher immer wieder und vielleicht sogar zuerst die Menschen, - und zwar nicht irgendwelche in der Ferne, sondern die unmittelbar(-st) nahen. Je näher sie sind, desto schwieriger ist der glückende Umgang mit ihnen. Da unterscheidet sich das Kloster wohl nur wenig von der Familie. Ob dem Abt gesagt wird, dass er „den Eigenarten vieler dienen“ muss (Regel Benedikts, Kap. 2,31), - ob allen Brüdern ins Herz geschrieben wird: „Sie sollen ihre leiblichen und charakterlichen Schwächen in großer Geduld aneinander ertragen“ (72,5), - ob der fremde Mönch, der verständig eine Kritik äußert, gehört werden soll, denn „vielleicht hat ihn der Herr gerade deswegen geschickt“, - ob Gäste, „die zu unbestimmten Zeiten kommen und dem Kloster nie fehlen“ (53,16) zu begrüßen sind, ... all das sind Herausforderungen, die Selbstversponnenheit zu verlassen, - Schritte zu tun und einen Weg zu gehen.
Die amerikanische Benediktinerin Joan Chittister hat diesen Gedanken in einer Auslegung des Regelkapitels über den Pförtner der Klosters (Kap. 66) treffend ausgeführt. Bei diesen Zeilen ist sicher zu beachten, dass Benedikt zu seinen Mönchen und Joan Chittister zu Lesern spricht, die vom Geist Benedikts lernen wollen. In diesem Sinn sind sie ein Programm für das Kloster, - allerdings eines, das durchaus auch konkreter „Ausführungsbestimmungen“ bedarf. Im Rahmen dieser Eingrenzung, die eher eine konkrete Erdung als ein Vorbehalt ist, ist Joan Chittister voll zuzustimmen, wenn sie schreibt: „Der Pförtner muss stets freundlich und empfangsbereit sein, nicht nur, wenn es ihm passt. In der Benediktsregel gibt es nicht so etwas wie eine ungelegene Zeit für das Kloster. Komm während des Mittagessens, komm mitten im Gebet, komm zu jeder Zeit und belästige uns mit deinem Segen. Es ist immer jemand da, der auf dich wartet. Im Kapitel über den Pförtner des Klosters beschreibt Benedikt die Art und Weise, wie im anderen stets Christus aufgenommen wird. Es ist Benedikts Theologie der Überraschung“[2].
Wer wirklich Gott sucht und nicht stehen bleibt, der verschließt sich nicht dem Leben. Im Gegenteil: er zeigt sich dem aufgeschlossen, dass es im Leben mehr als alles geben muss. Das Leben ist nicht die Summe von diesem und jenem, von einem X-ten und noch einem Weiteren. Zum Leben gehört der ganz Andere, der nicht nur stets noch eine weitere Überraschung parat hat, sondern der selbst die Überraschung schlechthin ist.
Albert Altenähr OSB
2001-07-26
[1] C. Bonn, Monastische Spiritualität in der Welt: die Benediktiner-Oblaten
[2] J. D. Chittister, Die Regel des heiligen Benedikt. Zeitlose Wahrheiten (übersetzt aus dem Amerikanischen von Marianne Steiger, 2. Auflage März 2001(nicht im Buchhandel!), S. 181.