Ein Ulrichs- und Benediktuskreuz im Kirchenschatz der Propsteigemeinde Kornelimünster
In der kleinen Sammlung der Schätze der alten Reichsabtei Kornelimünster in der Propsteikirche des Ortes finde ich auch ein unscheinbares Sammlerstück: ein kleines Patina-besetztes und durch lange Nutzung abgeschliffenes Andenkenkreuz. Der erläuternde Schriftzettel dazu erklärt es als Ulrichs- und Benedictusmedaille. Ich stutze, denn eine Medaille mit diesem Doppelbezug auf den heiligen Benedikt und den heiligen Ulrich ist mir bisher noch nicht begegnet. Ich schaue genauer hin, sehe aber natürlich nur eine Seite des Kreuzes und lese auf dem Fußende „Crux S: Udalrici – Ulrichskreuz“. Was zeigt die Rückseite?
Schauen wir uns aber zunächst die Medaille an, wie sie in der Vitrine des Kornelimünsteraner Kirchenschatzes präsentiert ist, - ihre Ulrich-Seite.
Als Hauptszene erkenne ich ein dichtes Schlachtgetümmel. Reiter stürmen durch das Bild. Einzelne Krummschwerter sind erkennbar, im Hintergrund ein Wald von Lanzen. Unter den Hufen der Pferde liegen einige Gefallene.
In der Kreuz- und Bildmitte beherrschen ein einzelner Reiter und hinter ihm ein zweiter das Geschehen. Der eine trägt eine Mitra, die von einem Strahlenkranz umgeben ist, - der andere eine Krone mit einem Kreuz darauf.
Über diesen beiden schwebt ein Engel, der mit seiner Rechten ein Kreuz herabreicht und in der Linken einen Kranz / eine Dornenkrone trägt.
Die Zuschreibung als Ulrichskreuz lässt die Szene unmittelbar deuten. Dargestellt ist die sogenannte Schlacht auf dem Lechfeld am 10. August 955. Der Sieg der Reichstruppen beendete endgültig das Vordringen der Ungarn in die Ostgebiete des Reiches. Militärisch gesehen ist die Schlacht eine der bedeutendsten in der Geschichte des Heiligen Römischen Reiches. Die Rezeptions-geschichte lässt Bischof Ulrich von Augsburg (890-973) mehr und mehr in den Vordergrund treten, so dass er - und weniger Kaiser Otto der Große (912-973) - als Sieger vom Lechfeld ins Gedenkbewusstsein tritt. Der Tagesheilige, Laurentius, wird durch den Sieg auf dem Lechfeld im deutschen Reich überaus populär. Das unmittelbare Gefolge des Kaisers kämpfte unter einem Michaelsbanner, und Otto der Große erklärte den Erzengel danach zum Schutzheiligen des Reiches.
Das Engeldetail über dem Schlachtgetümmel erzählt die Legende, dass ein Engel dem Bischof von Augsburg während der Schlacht ein Kreuz vom Himmel herabgereicht hat. Dieses Ulrichkreuz der Legende wird heute in einem Kreuzreliquiar von 1494, das wiederum ein barockes Ostensorium umschließt, in der Heiltumkammer der Augsburger Kirche St. Ulrich und Afra aufbewahrt. Die oben angemerkte Alternative Kranz oder Dornenkrone in der linken Hand des Engels dürfte sich aus dem ganzen Zusammenhang als Sieges-Lorbeerkranz verstehen lassen.
Die Rückseite hat stärkere Gebrauchsspuren als die Vorderseite. Alles in allem ist aber noch sehr gut zu erkennen, was dargestellt ist, - … zumal wenn man weniger abgenutzte Kreuze von Abbildungen her kennt.
Wie die Vorderseite ist auch die Rückseite in drei Ebenen gestaltet. Das breite Mittelfeld des Kreuzquerbalkens zeigt die Heiligen Ulrich, Benedikt und Afra, - die Heiligen der 1802 in der Säkularisation aufgehobenen Benediktinerabtei St. Ulrich und Afra in Augsburg. Das Kopfende des Kreuzes ist mit einer Darstellung der Dreifaltigkeit geschmückt, das Fußstück mit dem sog. Benediktuskreuz bzw. –segen.
Ulrich ist in Chorkleidung (Albe, Rochette, Chormantel) dargestellt. Er trägt eine hohe Mitra und hält einen Bischofsstab mit ausgeprägt barocker Krümme in der Hand. Der Chormantel ist weit aufgeschlagen, so dass sein Brustkreuz, das Ulrichkreuz, deutlich sichtbar ist. Hält er es in der Hand – so scheint es – oder trägt er es um den Hals?
Benedikt trägt eine reich gefältete Kukulle mit weiten Ärmeln. Auch diese Fältelung des benediktinischen Chorgewandes weist auf die Barockzeit als Prägezeit der Medaille hin. In der Linken hält Benedikt - mehr zu ahnen als zu erkennen – einen Kelch. Durchaus deutlich aber ist die Schlange auszumachen, die sich aus dem Kelch windet. Die Umschrift ist zumindest in ihrem Anfang klar lesbar: CRUX S P BENEDICTI = Kreuz des hl. Vaters Benedikt.
Ein Aufmerken verdient der Kreuzstab, den Benedikt in der Hand hält. Es ist nicht der sonst geläufige Abtsstab mit Krümme! Es ist ein Kreuzstab. Dieser Stab ist offensichtlich ein Zitat aus der ältesten dokumentierten Wiedergabe des Benediktussegens in einem Mettener Codex des 15. Jahrhunderts. Auf dem Kreuzstab und dem Spruchband ist der Segen ausgeschrieben, der auf unserem Ulrichskreuz nur mit den Anfangs-buchstaben der einzelnen Wörter wieder-gegeben ist: Crux Sacra Sit Mihi Lux + Non Draco Sit Mihi Dux // Vade Retro Satana + Numquam Suade Mihi Vana / Sunt Vana Quae Libas + Ipse Venenum Bibas = Das heilige Kreuz sei mir Licht + Der Drache sei nicht mein Führer // Weiche zurück, Satan + Wertlos ist, was du bietest + Trinke selbst dein Gift.
Bei der Frauengestalt auf dem rechten Querbalkenstück des Kreuzes ist der identifizierende Name entweder von vornherein schlecht geprägt gewesen oder durch lange Nutzung verschwunden. Dargestellt ist die andere Heilige und Patronin des Augsburger Klosters, Afra, nach der Legende eine lokale Märtyrerin aus dem frühen 5. Jahrhundert. Ihr Tod auf dem Scheiterhaufen ist ihr ikonographisches Merkzeichen. Auf dem vorliegenden Ulrichskreuz sind die Flammen des Scheiterhaufens deutlich zu erkennen.
Das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens nennt als erste Helferaufgabe des hl. Ulrich die Abwehr von Mäuse- und Rattenplagen. Der Namenstagskalender von J. Torsy und H.-J. Kracht verweist auf die besondere Verbindung des Ulrichskreuzes gegen eben eine solche Plage. Ulrichskreuze wurden zum Schutz gegen die Nager zum Beispiel in der Landwirtschaft in die Äcker eingepflügt. Die im Juli beginnende Erntezeit lieferte in den Getreidescheunen den Mäusen paradiesische Lebensbedingungen und dagegen war jede Hilfe willkommen, zumal die eines berühmten Heiligen, dessen Fest am 4. Juli sicher manchenorts von Gesprächen über die sommerliche Mäuseplage begleitet wurde.
Albert Altenähr OSB
2009-10-01