Orden << - >> Kirche
Auf einem Regionaltag der Region Aachen-Stadt in den 90-er Jahren stellten die Dechanten ihre Dekanate vor: die Kirchen, die Kindergärten, Schulen, Altenheime, Krankenhäuser … und was es sonst noch gab, das den Reichtum und die Aufgaben der Pfarreien ausmachte. Am Ende wunderte ich mich, dass keiner der Dechanten erwähnt hatte, dass Ordensgemeinschaften im Dekanat Konvente hatten und Einrichtungen betreuten. Ordensleute waren in der Vorstellung einfach nicht „präsent“ geworden. Gab es sie überhaupt, … die damals etwa 600 Ordensleute in Aachen, … in den Mutterhäusern, Konventen, Einrichtungen?
In denselben Jahren fragte ich eine sehr engagierte und geschätzte Ordensfrau in einem Krankenhaus, ob sie sich in erster Linie als Ordensfrau oder als Krankenschwester fühle. „Als Krankenschwester!“ war die prompte und eindeutige Antwort. … und wo blieb die „Ordensfrau“?
Beide Erfahrungen sind mehr oder weniger 30 Jahre alt. Die Frage ist aber wohl nach wie vor aktuell: Sieht die Kirche in der Ordensberufung ein innerlich bereicherndes Moment ihres Daseins? Wie sehen wir Ordensleute unsere Bedeutung für die allgemeine Kirche?
Beide Beispiele lassen die Notwendigkeit der einen Frage erkennen: Ist Ordensberufung als solche eine rein private Sache des jeweiligen Ordensmannes / der jeweiligen Ordensfrau / der Ordensgemeinschaften oder hat sie eine Bedeutung in der Kirche und für die Kirche. Anders gefragt: sind die Ordensleute für die Kirche von Bedeutung, weil es sie gibt, oder sind sie es erst, wenn sie etwas innerhalb der Kirche tun, eine Aufgabe übernehmen, für etwas eingesetzt werden?
Es mag sein, dass die Betonung und Verteidigung der Selbst- und Eigenständigkeit der Ordensgemeinschaften gegenüber der bischöflichen Diözesankirche dazu geführt hat, dass die Ordensberufung als solche nicht so recht im Blickpunkt der Allgemeinkirche steht. Die Orden haben – wenn ich manche Bemerkung aus Tagungen von Ordensoberen erinnere - nicht selten den Eindruck, seitens der Diözesen als „Personal-Pool“ und „Verfügungsmasse “ verstanden zu werden. Wir sind dann „interessant“, wenn es gilt, Aufgaben zu besetzen. Dass wir Ordensleute sind, und was uns als Ordensleute ausmacht, ist dabei an sich weniger interessant.
Ordensberufung ist sicher Thema einer Ordenstheologie, aber wohl weniger das der allgemein dozierten Kirchentheologie und der theologischen Ausbildung.
Aus Gesprächen mit Bischof Hemmerle ist mir die Selbstverständlichkeit in Erinnerung geblieben, wie sehr er Ordensberufung als eine Laienberufung verstand. Sie hebt den Ordenschristen nicht als jemand Besonderen aus dem Kreis der Gläubigen heraus, sondern lotet das Charisma des Getauftseins in seiner Tiefe aus. Das Zeugnis des Ordenschristen für Kirche und Welt ist nicht eine besondere Berufung neben anderen oder gar über andere Berufungen in der Kirche hinaus. Ordensberufung führt nicht in das Besondere, sondern in die Tiefe des Christseins an sich.
Der Tiefengrund christlicher Existenz ist die Überzeugung, von Gott radikal geliebt zu sein, ... unverbrüchlich, ohne Grenzen und Enden, in Glanzzeiten und Schattenperioden. Diese Zuwendung formuliert die Poesie der Psalmen in die beiden Worte „Huld“ und „Treue“. „Du bist ein Gott der Huld und Treue“ ist eine häufige Aussage der alttestamentlichen Dichter. Sie lesen die Welt als ein Buch der Wohl-Taten, d.i. der guten Taten Gottes, und die entdecken sie an allen Ecken und Enden und immer wieder neu.
Der Kern des Christseins ist die Gottesliebe, die Liebe Gottes, der Gott, der liebt. Der biblisch Verwurzelte könnte das etwa folgendermaßen in sich ein-dichten:
Gott
Du bist gut.
Du bist mir gut.
Du tust mir Gutes.
Du tust mir gut.
Du tust einfach gut.
Die Gottesliebe im Sinn der Liebe der Menschen zu Gott, ist das Echo, die Rückspiegelung der Gottesliebe zu den Menschen. Wenn Gott Feuer und Flamme für den Menschen ist, dann wäre der Mensch, der Feuer und Flamme für Gott ist, die Kernantwort des Menschen. Die Kernkompetenz des Christen ist dieses Feuer-und-Flamme-Sein für Gott. Aus diesem Feuer sprüht der Funkenflug des zweiten Aspektes des Hauptgebotes der Liebe: die Liebe weiterzuschenken an die Nächsten, die weiter entfernten Nahen, bis hin zu den Fernen.
Das Gottesfeuer in der Kirche immer wieder in den Blick zu bringen ist die Wesens- und Kernkomptenz der Ordensberufung. Das zu tun ist nicht überflüssig, weil es angeblich doch selbstverständlich ist. Solange wir „nur“ Kirche sind und noch nicht Reich Gottes, ist das Selbstverständliche immer in Gefahr, in den Hintergrund zu rücken, es nicht mehr ins Wort zu bringen, zu vergessen und irgendwie und -wann ad acta zu legen. Religion, die Rück-Bindung an Gott, mutiert zur gottfreien (… gott-losen) Zukunfts-Ethik.
Die Nächstenliebe, die die Gottesliebe in die Schublade der intimen Privatsphäre verbannt, läuft auf Dauer Gefahr, ihre Wurzeln zu verlieren. Für die Kirche würde das bedeuten, dass sie sich immer mehr als Institution und „Laden“ einhärtet. Ihre Fragen drehen sich mehr um Überlebensstrategien statt um den Lebensquell. „Wie halten wir den Betrieb am Laufen, wo uns Leute und Gelder laufen gehen?“ wird dann die Hauptsorge.
Meine Fragen richten sich in die Ordensgemeinschaften hinein und an die diözesane Kirche. Beide sind derselben Gefahr ausgesetzt: ihre Lebendigkeit an Aktionen, Aktivitäten, Nützlichkeiten und sichtbaren „Erfolgen“ abzulesen. Als Ordensmann richte ich die Frage verschärft an mich selbst und an die Gefährten auf dem Weg der Ordensberufung: Ist die Kernkompetenz, die Gottesliebe – in der oben genannten Doppelbedeutung des Wortes, hinreichend lebendig im Blick? Nur wenn sie das ist, hat unser Dasein als Ordensgemeinschaft Funkenfeuer für Kirche und Welt.
Abt Clemens Schmeing (Abtei Gerleve; + 2018) antwortete auf die häufige Frage „Was tut ihr Benediktiner eigentlich?“ gerne: „Wir sind.“ Die Antwort ist sicher überraschend und hinterlässt den Fragenden zunächst vielleicht ratlos. Mir ist sie haften geblieben und wurde vielfältiger Denkanstoß, … bis hin zu diesem Beitrag.
Albert Altenähr
2019-07-15