Demut, die Schwester der Liebe
Der heilige Benedikt hat der Demut in seiner Regel ein langes Kapitel (RB 7) gewidmet. Ihre zwölf Stufen richten eine hohe – und steile! – Leiter auf. Dem Novizen, der sie mutig angeht, kann bald angst und bange werden, und der senex sapiens schaut am Ende seines Lebens sicher ziemlich müde nach oben: wieviel Stufen, ja Stockwerke, gibt es noch zu kraxeln?
Ein anderer Einstieg. – Gut dass es im Kloster die Mitbrüder gibt. Sie machen einem durchwegs sehr deutlich, dass man nicht demütig ist. … zumal dann nicht, wenn man ein gesundes Selbstbewusstsein hat. Meistens sind sie sich gar nicht bewusst, dass sie mit diesem kritischen Blick und Urteil hervorragende Lehrer der Demut sind.
Konkreter Noviziatsunterricht in Demut? … in den meisten Klöstern dürfte da Fehlanzeige zu melden sein. Literarhistorische Hintergründe und Entwicklungen, ja, das gibt es als Unterrichtsstoff. Und dann wird sicher auch auf den einen oder anderen Bruder hingewiesen, der als demütig gilt, oder man selbst gewinnt von diesem oder jenen den Eindruck, dass er demütig sei. Vielleicht ist solches Learning-by-seeing ja tatsächlich der einzig praktikable Weg in die Demut, aber ein wirkliches Pack-an ist damit kaum gegeben.
Ob der Fehler möglicherweise darin liegt, dass wir Demut als asketische Haltung und Übung, gewissermaßen als nahezu senkrechte Eiger Nordwand verklären, … als nicht nur erstrebenswerte, sondern letztlich auch machbare Königsdisziplin des mönchischen Tugendstrebens?
Ich frage mich, ist Demut wirklich in den Kategorien der Askese zu verstehen und zu erschließen? Oder sollten wir einen anderen Ansatz (ver-) suchen?
Ich versuche einmal, Demut aus der Liebe, der gelungenen Beziehung zweier Menschen zueinander, zu verstehen. Vielleicht lässt sich sogar sagen, Demut ist nichts anderes als solche Liebe, nur betrachtet in einer anderen Licht- oder Farbgebung.
Liebe ist eine Beziehung, in der der Liebende aus sich herausgeht, auf den anderen vertraut und auf ihn baut. Er verlässt sich. Die eigene Stärke und Größe sind nicht mehr wichtig. Die Schutzmechanismen, die Verletzungen wehren sollen, werden nicht aktiviert. Man weiß, man darf so beim anderen sein, wie man ist. Man braucht ihm nichts vorzumachen, vorzugaukeln. Adam und Eva brauchen sich weder vor Gott noch voreinander zu verbergen. Das Verstecken hat ein Ende. Ein Zuhause beim anderen ist der Schatz der Liebe. Das ist der Schatz des Lebens.
Die Farben der Demut in solcher Liebe sind die Sehnsucht nach der Geborgenheit in dem anderen und das Wissen, dass man sie (… ihn) nicht kaufen oder erwerben kann. Die Liebe wird als Geschenk erfahren, das absolut unverdient ist. Das lässt mein eigenes Lieben in meinen Augen klein erscheinen und das des anderen einfach großartig groß.
Die Geschichte Gottes mit dem Menschen wäre in dieser Sicht durchaus eine Geschichte der Demut. Es überrascht mich selbst, aus meinem Denkansatz sagen zu müssen: Gott ist demütig, … eine mir sehr ungewohnte Aussage. Er ist so groß, dass er sich ganz klein machen kann und macht, weil er den Menschen liebt und ihn durch seine Liebe groß macht. Als das Hohelied der Demut Gottes wäre die Person Jesu zu lesen. Im Christushymnus des Philipperbriefes (Phil 2) hat Paulus das durchmeditiert. Das Hohelied menschlicher Demut ist vorbildhaft Maria. Ihr Demutsgesang ist der Freudenjubel des Magnifikat. Die häufige Beschreibung Marias als demütige Magd wäre aus diesem Gedankengang alles andere als ihre Verzwergung in ein kleines graues Mäuschen. Maria wächst vielmehr über sich hinaus, … hinein in die Größe dessen, der sie liebt. Die demütige Magd ist die Große Frau.
Das Kapitel 7 der Regel Benedikts ist das große Kapitel über die Demut. … Wirklich? Man sollte es auf jeden Fall immer mit dem 72. Kapitel „Über den guten Eifer“ zusammen lesen. Es ist das Kapitel der „glühenden Liebe“ (V. 3), … ein Kapitel, das voll Funken der Demut sprüht. Der Mönch dieses Kapitels nimmt sich selbst zurück, ohne dass er sich in ein graues Nichts verschrumpelt, und er schreibt den anderen groß.
RB 72,1. Wie es einen bitteren und bösen Eifer gibt, der von Gott trennt und zur Hölle
führt,
2. so gibt es den guten Eifer, der von den Sünden trennt, zu Gott und zum ewigen
Leben führt.
3. Diesen Eifer sollen also die Mönche mit glühender Liebe in die Tat umsetzen,
4. das bedeutet: Sie sollen einander in gegenseitiger Achtung zuvorkommen;
5. ihre körperlichen und charakterlichen Schwächen sollen sie mit unerschöpflicher
Geduld ertragen;
6. im gegenseitigen Gehorsam sollen sie miteinander wetteifern;
7. keiner achte auf das eigene Wohl, sondern mehr auf das des anderen;
8. die Bruderliebe sollen sie einander selbstlos erweisen;
9. in Liebe sollen sie Gott fürchten;
10. ihrem Abt seien sie in aufrichtiger und demütiger Liebe zugetan.
11. Christus sollen sie überhaupt nichts vorziehen.
12. Er führe uns gemeinsam zum ewigen Leben.
Albert Altenähr
2018-03-01
Foto: Jakobsleiter (Gen 28,12) - Soest, Petrikirche