Zu Regula Benedicti Prolog 14-16
„Hier bin ich!“
„Und der Herr sucht in der Volksmenge, der er dies zuruft, einen Arbeiter für sich und sagt wieder: ‚Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht?‘ Wenn du das hörst und antwortest: ‚Ich‘.“ (RB Prol 14-16)
Benedikt liest in diesen Versen des Regelprologs verschiedene biblische Erzählungen in eins: das Gleichnis vom Winzer, der auf dem Markt nach Tagelöhnern Ausschau hält (Matth 20), die Aufforderung, um Arbeiter für die reiche Ernte zu bitten (Matth 9), die Berufung des Jesaja (Jes 6) und natürlich das Psalmenzitat „Wer ist der Mensch…“ (Ps 34), das Benedikt als Christuswort zitiert.
Der Herr steht in einer großen Menge und er wirbt mit einer Verheißung. Er spricht vom Leben und von guten Tagen. Das sind zunächst einmal Allerweltsziele, denen jeder zustimmen kann. Im Jesusgespräch und in Benedikts Sicht des monastischen Lebens leuchtet aber Tieferes auf.
Jesus selbst ist das Leben und er ist der Tag. Er ist das Licht des Lebens, der ewige, bleibende Tag. In den Worten des Prologs seiner Regel fragt Benedikt in diesem Sinn nach der Christussehnsucht. Benedikts Aktualisierung spricht unmittelbarer den Leser seiner Regel an. Die Frage richtet sich an „dich“. Ich, der Leser, bin angefragt. Wie reagiere also ich auf die Frage.
Eigentlich ist die Frage, wie sie da steht, eine rhetorische Frage ist, die nur mit „Ich!“ beantwortet werden kann. In ihrem tieferen Verständnis bleibt sie aber nicht im rhetorisch allgemeinen Raum, sondern wird eine echte, eine sehr persönliche Frage, die eine unbedachte Antwort nicht zulässt.
Der Prophet Jeremia suchte, sich der Berufung durch Gott zu entziehen: „Ich bin noch so jung. Ich kann nicht reden“ (Jer 1). So können auch wir reagieren oder auch mit dem Anderen: „Ich bin schon so / zu alt. Such dir einen anderen. Nicht schon wieder ich!“
Jesaja sagte ganz anders: „Hier bin ich. Sende mich!“ (Jes 6).
Wir alle haben das einmal als Mönche gesagt: „Hier bin ich!“ Unsere Antwort von damals will aber jeden Tag neu eingeholt werden. Die Anfrage wird in den konkreten kleinen Dingen des Alltags lebendig. So wächst sie zu einem ganzheitlichen „Hier bin ich!“ heran.
Bin ich da, wenn Hilfe gebraucht oder erbeten wird? Kann ich Eigenes hintanstellen, um für einen anderen da zu sein? Manchmal ist es eng, aber ist nicht gerade da meine Weitherzigkeit gefragt, die meine Engstirnigkeit überwinden will.
Jesus liebte die Kleinen und fragt uns im Kleinen an. Das sind die Buchstaben der großen Worte „Geschwisterlichkeit“ und „Liebe“.
Abt Friedhelm Tissen OSB
2008-09-03