Ezechiel 33,7–9
Vorsicht: Gott!
„Du aber, Menschensohn, ich gebe dich dem Haus Israel als Wächter; wenn du ein Wort aus meinem Mund hörst, mußt du sie vor mir warnen. Wenn ich zu einem, der sich schuldig gemacht hat, sage: Du mußt sterben!, und wenn du nicht redest und den Schuldigen nicht warnst, um ihn von seinem Weg abzubringen, dann wird der Schuldige seiner Sünde wegen sterben. Von dir aber fordere ich Rechenschaft für sein Blut. Wenn du aber den Schuldigen vor seinem Weg gewarnt hast, damit er umkehrt, und wenn er dennoch auf seinem Weg nicht umkehrt, dann wird er seiner Sünde wegen sterben; du aber hast dein Leben gerettet.“ (Ez 33,7–9)
Dem Propheten Ezechiel wird in der alttestamentlichen Lesung des 23. Sonntags im Jahreskreis die Aufgabe zugewiesen, Wächter für das Haus Israel zu sein. Das Überraschende an dieser Aufgabe ist, dass er das Volk vor Gott warnen soll: „Wenn du aus meinem Mund ein Wort hörst, musst du sie vor mir warnen.“ Schauen wir ruhig noch einmal in den Text der Lesung selbst hinein, um uns zu vergewissern, dass wir nicht verkehrt gelesen haben. Ja, es heißt da nicht: „Du musst das Volk vor diesem oder jenem Fehltritt und Irrweg warnen.“ Es steht tatsächlich erschreckend eindeutig da: „Du musst das Volk vor mir, Gott, warnen.“ Das ist die Aufgabe, die dem alttestamentlichen Propheten zugemutet wird und die die Sonntagslesung unserer neutestamentlich-christlichen Liturgie uns zumutet. Wir müssen einander „vor Gott warnen“.
So ganz einfach schlucke ich diesen Satz und diese Aufgabe nicht. Ich erinnere mich an erhobene Zeigefinger und strenge Blicke in meiner Kindheit: „Der liebe Gott sieht alles!“ – und vor allem das, wo ich nicht „lieb“ war. Ich habe auch noch die eine oder andere „Kapuziner-Predigt“ gehört, in der Himmel und – vor allem – Hölle ins Bild gesetzt wurde, um zum guten Christsein zu bewegen. Ich habe meine Zeit gebraucht, das Christsein als helle und freundliche Botschaft zu entdecken und wirklich in mich hinein zu übersetzen. Die Botschaft von Gott ist keine Drohbotschaft, sondern Evangelium und das heißt frohe Botschaft.
In den 70-er Jahren erlebte ich dann in der Arbeit mit einem Jugend-Liturgiekreis die Schwierigkeit, Themen gottesdienstlich aufzubereiten, die nicht dick und deutlich von Gottes und Jesu Liebe sprechen. Das Sonntagsevangelium spricht ja auch davon, dass es Trennlinien geben kann, an denen der Bruder für dich „wie ein Heide und Zöllner“ werden soll. Die Frage lautete immer wieder: Das kann der liebende Jesus doch sooo nicht gesagt und gemeint haben. .. und ganz schnell versuchte man, auf angenehmere Texte und Themen auszuweichen.
Ich denke, nicht nur meine Jugendlichen von damals, sondern wir alle haben unsere Schwierigkeit, die froh machende Kraft der Gottesbotschaft und ihren gleichzeitigen Ernst so miteinander zu verbinden, dass uns beides immer im ausgewogenen Gleichgewicht vor Augen ist.
Mir will allerdings scheinen, dass wir in unseren Breiten heute eher in der Gefahr sind, unter dem Vorzeichen einer bürgerlichen Toleranz den Ernst der Botschaft von der Liebe Gottes „weich“ zu spülen. In dieser bürgerlichen Toleranz erscheint alles als gleich gültig und wir merken gar nicht, dass damit alles sehr schnell gleichgültig wird. Merken wir dabei wirklich nicht, dass wir in solcher Gleich-Gültigkeit von allem und jedem die Liebe selbst zu einer gleichgültigen Sache machen. Glauben wir wirklich, dass vor Gott alles so gleich gültig ist, dass es ihm gleichgültig ist, wie die Menschen leben? Liebe ist nicht kalt, - sie zelebriert nicht die Sparflamme, - sie ist Feuer. Wer liebt, der ist Feuer und Flamme, - und Gott ist ein Liebender. Vielleicht ist das unsere Sünde: dass wir gegen seine Liebe Feuerschutzwände errichtet haben, hinter denen wir gleichgültig und ohne Feuer leben können.
Vor mehr als 20 Jahren habe ich in meiner Heimatabtei Gerleve eine Predigt zu den heutigen Lesungstexten mit dem Satz geschlossen: „Ich warne Sie vor Gott“ ... und ging ohne „Amen“ wieder an meinen Platz. Etliche Jahre später war ich zu einem kurzen Besuch in meiner Heimatabtei. Ein Mitbruder begegnet mir, - kommt mit dem Zeigefinger auf mich zu und begrüßt mich: „Ich warne Sie vor Gott!“ Ich stutze, - erinnere mich ... und dann lachen wir beide.
Abt Albert Altenähr OSB
2002-08-15
Für KirchenZeitung Aachen 32/2002, 8. September 2002.