Zu Genesis 28
Der Traum des Jakob
Im Jahr 1963 hielt der amerikanische Baptistenpfarrer und Bürgerrechtler Martin Luther King eine Rede, die als Anstoß und Durchbruch zur Gleichberechtigung der schwarzen Bevölkerung in den USA Geschichte gemacht hat. Diese Rede ist unter der Überschrift eines ihrer markanten Sätze bekannt geworden: „Ich habe einen Traum.“ Martin Luther King stellt seine Vorstellung von einer gerechten Eingliederung der Schwarzen in die Gesellschaft unter diesen Titel: „Traum“. Es ist ein Traum von einer guten, - einer traumhaft guten Zukunft. Bei klarem Bewusstsein und voller Engagement träumt er diesen Traum. Er reißt viele mit und gemeinsam erreichen sie ihr Ziel.
Wenn wir von unseren Träumen sprechen, dann können das solche Zukunftsbilder sein wie bei Martin Luther King, aber auch ganz andere, in denen uns der gestrige Tag in den Schlaf hinein begleitet und dort weiter verarbeitet wird. Sie sind oft geprägt von Sorgen, Ängsten und auch von Sehnsucht. Es sind vor allem solche Träume, von denen uns die Bibel erzählt. Die Menschen der Bibel wussten, dass man die Botschaften der Träume nicht vernachlässigen darf. Sie wussten auch, dass sie nicht leicht zu entschlüsseln sind.
Einer der „großen“ Träume der Bibel ist der des alttestamentlichen Patriarchen Jakob. Jakob ist auf der Flucht vor seinem Bruder Esau, den er um sein Erstgeburtsrecht betrogen hat. Als er in einer Nacht seinen Kopf auf einen Stein gebettet hat, träumt er von einer Leiter, die bis zum Himmel reicht und auf der Engel auf- und absteigen.
Genesis 28
11 Jakob kam an einen bestimmten Ort, wo er übernachtete, denn die Sonne war untergegangen. Er nahm einen von den Steinen dieses Ortes, legte ihn unter seinen Kopf und schlief dort ein.
12 Da hatte er einen Traum: Er sah eine Treppe, die auf der Erde stand und bis zum Himmel reichte. Auf ihr stiegen Engel Gottes auf und nieder.
13 Und siehe, der Herr stand oben und sprach: Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham und der Gott Isaaks. Das Land, auf dem du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben.
14 Deine Nachkommen werden zahlreich sein wie der Staub auf der Erde. Du wirst dich unaufhaltsam ausbreiten nach Westen und Osten, nach Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen werden alle Geschlechter der Erde Segen erlangen.
15 Ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst, und bringe dich zurück in dieses Land. Denn ich verlasse dich nicht, bis ich vollbringe, was ich dir versprochen habe.
16 Jakob erwachte aus seinem Schlaf und sagte: Wirklich, der Herr ist an diesem Ort, und ich wußte es nicht.
17 Furcht überkam ihn, und er sagte: Wie ehrfurchtgebietend ist doch dieser Ort! Hier ist nichts anderes als das Haus Gottes und das Tor des Himmels.
18 Jakob stand früh am Morgen auf, nahm den Stein, den er unter seinen Kopf gelegt hatte, stellte ihn als Steinmal auf und goß Öl darauf.
19 Dann gab er dem Ort den Namen Bet-El (Gotteshaus).
Wir müssen die ganze problematische Beziehungsgeschichte zwischen Jakob und Esau und ihren aktuellen Streit in die Erzählung hineindenken. Es ist eine steinige Geschichte und der Stein, auf den Jakob seinen Kopf bettet, darf durchaus als der Stein gedeutet werden, der auf ihm lastet.
Und außerdem ist es - so die Erzählung - ein nächtlicher Traum. Er geschieht in der Nacht, die eine dunkle Stimmungslage nahe legt, in der man die Welt und die persönliche Situation eher schwarz sieht als in bunten Farben.
Dann ist da aber auch das ganz andere Bild: die Leiter, die von diesem Steinplatz zum Himmel aufwärts geht. Der Stein zieht Jakob also nicht in die Tiefe, - nein, er ist Fundament für einen Aufstieg. Es geht aufwärts, - es geht nach oben.
Und auf einmal ist Jakob hellwach. Er hat eine Erkenntnis gewonnen: Das ist buchstäblich und übertragen eine himmlische und göttliche Botschaft. Er nimmt den Stein, der ihm ein so hartes Kopfkissen war, und baut mit ihm und anderen Steinen einen Altar zu Ehren Gottes. Und er nennt den Ort Bet-El, d.h. Haus Gottes.
Ich entdecke in dieser Erzählung die Botschaft, dass das Steinige und Dunkle unseres Lebens nicht einfach nur steinig und dunkel ist. Jakob nimmt den Stein in die Hand und er macht etwas Neues und Positives daraus. Er baut ihn in einen Altar für den Gott einer guten Zukunft ein.
Mit der Botschaft dieser guten Zukunft im Herzen geht Jakob seinen weiteren Weg. Diese Botschaft entfaltet sich mehr und mehr in ihm und es öffnen sich so Chancen, die er bisher gar nicht in den Blick gewinnen konnte.
Ob Jakob das alles in einem kurzen Nachttraum zugeflogen ist oder ob sich in unserer Erzählung ein längerer und bewusster Prozess der Auseinandersetzung verdichtet hat, ist für mich nicht so wichtig. Die Erzählung konzentriert und verkürzt die Auseinandersetzung Jakobs mit sich selbst auf den Punkt des Durchbruchs aus der Enge und Angst in die Weite und Zuversicht. Der Flüchtling Jakob entdeckt eine Zukunft für sich!
Abt Albert Altenähr OSB
2006-07-28
Für die Patientenzeitschrift des Alexianer-Krankenhauses Aachen.
Bild: Rembrandt, Jakobs Traum (Federzeichnung)