Zu Jesus Sirach 42-43
Ein Gebet um den rechten Augen-Blick
Sonntags beten wir immer wieder im Frühgebet einen Abschnitt aus dem Buch Jesus Sirach (42,15-25; 43,28-30). Jesus Sirach ist ein sehr spätes Buch des Alten Testamentes, etwa um 180 v. Chr. geschrieben. Thematisch gehört es zur sog. Weisheitsliteratur. In der lateinischen Tradition wird es auch „Liber Ecclesiasticus = kirchliches Buch“ genannt, weil seine Lehren und Sprüche gerne in der Vorbereitung der Taufbewerber auf das Sakrament der Christwerdung verwandt wurde. Gewissermaßen ist es somit als Lehrbuch des Christseins genutzt worden.
Die beiden Kapitel, aus denen unser sonntäglicher Gebetsabschnitt genommen ist, sind ein Spaziergang durch Gottes Schöpfung. Die weiteren Kapitel des Buches machen einen ganz ähnlichen Spaziergang durch die Geschichte Gottes mit den Menschen. Sie wollen die Augen und das Herz öffnen, um die Freude an Gott strömend fließen zu lassen. Sie sind ein Bekenntnis, dass es Quelle-Gründe zur Freude an Gott im Überfluss gibt.
Was aber beten wir Mönche am Sonntag da konkret? Nur einige Verse will ich herausgreifen.
Der Werke Gottes will ich gedenken, *
was ich gesehen habe, will ich erzählen.Jedes Ding ist vom anderen verschieden, *
und keins von denen, die er schuf, ist entbehrlich.Eines ergänzt das andere in seinem Wert.*
Wer kann sich satt sehen an ihrer Herrlichkeit.Die ihr den Herrn lobpreist, erhebt die Stimme, /
singt, so gut ihr nur könnte: *
es wird niemals genügen.Die ihr ihn erhebt, bietet alle Kraft auf, /
werdet nicht müde: *
ihr kommt nie an ein Ende.
Was fasziniert mich an diesen Versen? Es ist vor allem ein Wort, das nicht einfach ein Wort bleibt, sondern ein Tun wird: erzählen. Jesus Sirach will erzählen, … und dann erzählt und erzählt und erzählt er. Er erzählt mit ganz weit offenen Augen. Er erzählt, auf was sein Auge gefallen ist und woran es Gefallen gefunden hat. Er erzählt mit staunend offenem Mund und Herzen und sie wollen und können sich gar nicht wieder schließen vor lauter Staunen. Er kann und will gar nicht aufhören. Sein Erzählen ist Musik und Melodie. Er singt.
Wovon erzählt Jesus Sirach? Er lenkt unseren Blick auf die Einzigartigkeit von einem jeden. Jedes Ding ist verschieden von allem anderen. Jedes ist von der Schönheit eines Solitärs, - jedes ein wunderbares Wunder. Es ist eine bereichernde Kostbarkeit im Schatzhaus der Schöpfung.
Der Blick des Jesus Sirach malt den Blick des Schöpfers nach, der sieht, das gut ist, was er geschaffen hat. Es ist der Sabbatblick des Alten Testamentes und der Augen-Blick des Ostermorgens, den wir im Gebet am frühen Sonntag bekennen und erbitten.
In meinem persönlichen Beten dieser Verse des Jesus Sirach sind mir seit längerem in diesem Augenblick die Mitbrüder besonders präsent. Jeder ist anders. Jeder hat seine Identität und die ist nicht immer eine gefühlte Übereinstimmung mit mir, - vielleicht sogar in diesen Gebetsminuten nicht. Mit jedem habe ich meine Geschichte. Ich bete um den Augen-Blick für seinen Wert. Ich bete um das göttliche Geschenk der rechten Wertschätzung.
Mir hat Jesus Sirach geholfen, die Mitbrüder als Brüder zu erkennen. Jeder ist ein Schatz. Keiner ist entbehrlich. Jeder ergänzt etwas, was ich nicht habe. Jeder macht mich reicher. Jeder macht unsere Gemeinschaft reicher. Dieser ein Pilz im Laubwerk, jener eine Eichel in ihrem "Bett", - der eine eine kräftig blühende Hortensie, ein anderer ein bedächtig wachsender Gingkobaum.
Albert Altenähr OSB
2007-10-21