Zu Philipperbrief 2,1-11
Eine „Summe“ der Benediktregel
Das Wort ist sicher nicht unbekannt: „Der Zweite in einem Wettkampf ist der erste Verlierer.“ Und wer gar nur Vierter wird ist ganz arm dran. Er ist eben nur Vierter und nicht einmal eine Bronzemedaille wartet auf ihn. „Oben stehen“ steht in vielen Lebensbereichen an. Alles andere zählt wenig oder gar nichts. Wenn ich mir dieses Zählprinzip durchdenke, dann wird mir angst. Es fordert fast notwendig dazu auf, sich nach vorne und oben zu kämpfen und die anderen zu überholen, sie hinter sich zu lassen und sie gegebenenfalls auch links und rechts liegen zu lassen. Hauptsache ich bin vorneweg und Spitze. Die Apostelbrüder Jakobus und Johannes zeigen, dass auch die herausragend Berufenen nicht frei von solcher Versuchung sind. Die beiden verlangt es im Reich Christi nach den Ehrenplätzen rechts und links neben ihrem Meister.
Das zweite Kapitel des Philipperbriefes verkündet in einem Hymnus ein sehr anderes Modell des Christseins. Da wird uns Jesus Christus vor Augen gestellt, dessen Karriere nicht die Stufenleiter nach oben ist. Seine Karriere ist eine Karriere „nach unten“. Er hält das Gottgleichsein nicht „auf Teufel komm heraus“ fest, sondern entäußert sich, wird Mensch, - wie ein Sklave, - gehorsam, - und scheut sich nicht, in den Augen der Welt als Gescheiterter am Schandholz des Kreuzes dazuhängen. Das ist das Modell lebendigen Christseins. Es ist unendlich, - ja, in höchstem Maß erschreckend groß. Es muss darum in unsere Alltage herunterbuchstabiert werden.
Nur zwei Beispiele aus den Evangelien mögen genügen, um zu zeigen, dass Jesus selbst um diese Übersetzungsaufgabe weiß. Beim Abendmahl wäscht er den Seinen nicht den Kopf, sondern die Füße. Er ist sich einfach nicht zu schade für diese Aufgabe, die im damaligen Sozialgefüge von Sklaven getan wurde. An anderer Stelle stellt er sich als den heraus, der sich nicht bedienen lässt, sondern der bedient. In beiden Beispielen stellt er irdisches Fühlen und Denken auf den Kopf und gibt seinen Jüngern Lehrstunden, dass und auch wie die große Botschaft in den kleinen Alltag übersetzt werden muss.
Im Vorauswort zum Philipper-Hymnus buchstabiert Paulus das Gebot und die Praxis brüderlicher Liebe an. Er mahnt eine Haltung an, die den Bruder positiv würdigt. Ich werde nicht größer, wenn ich den anderen klein rede und klein zu kriegen versuche. Ich werde nicht reicher, wenn ich alles für mich allein haben will. Paulus spricht von der Demut, die die eigene Grenze erkennt und die Größe des Bruders anerkennt. Er spricht vom Bruder, wo es um das eigene Wachsen geht. Ich werde reich, wenn ich bei allem Streben im Blick behalte, dass auch der andere zu seinem Recht kommt. „In Demut schätze einer den anderen höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen“ (Phil 2,3f). Das Auge, Ohr und Herz füreinander sind die Grundlage für gelingende Gemeinschaft.
Der heilige Benedikt hat in seiner Klosterregel vor 1500 Jahren am Ende ein Kapitel geschrieben über den guten Eifer, den die Mönche haben sollen. Dieses Regelkapitel 72 ist so etwas wie eine zusammenfassende Summe für das, was Benedikt sich als Lebensperspektive gelingenden Christseins vorstellt und in vielen Einzelkapiteln der Regel im Detail betrachtet hat. Benedikt schreibt da: „Sie (= die Mönche) sollen einander in gegenseitiger Achtung zuvorkommen; ihre körperlichen und charakterlichen Schwächen sollen sie mit unerschöpflicher Geduld ertragen; im gegenseitigen Gehorsam sollen sie miteinander wetteifern; keiner achte auf das eigene Wohl, sondern mehr auf das des anderen; die Bruderliebe sollen sie einander selbstlos erweisen; in Liebe sollen sie Gott fürchten; ihrem Abt seien sie in aufrichtiger und demütiger Liebe zugetan. Christus sollen sie überhaupt nichts vorziehen“ (RB72,3-11).
Benedikt scheint zu wissen, dass er indem zitierten Regelkapitel ein Idealbild zeichnet. Im Alltag des Klosters erfahren wir die Spannung von Ideal und Wirklichkeit täglich. Als Zielperspektive hat das Bild aber seine Gültigkeit. Und in großer Gelassenheit, Zuversicht und Sehnsucht schließt Benedikt sein Kapitel über den guten Eifer: „Er führe uns gemeinsam zum ewigen Leben“ (RB 72,12).
Albert Altenähr OSB
2005-09-09
Für die Kirchenzeitung Aachen.