zu Psalm 1,6b
„Der Eine“ gegen „das Nichts“
In Martin Bubers Bibelübersetzung – und damit auch in seiner Übersetzung der Psalmen – fallen mir immer wieder die „Docken“ auf, - ein Wort, das weder zu meinem aktiven noch meinem passiven Wortschatz gehört. Der Vergleich mit anderen Bibelübersetzungen sagt mir, dass er damit die uns sprachlich vertrauteren „Götzen“ meint. Eine Wort-Recherche belehrt, dass es sich um ein altes, gelegentlich noch in einigen Dialekten bekanntes Wort für „Puppen“ handelt. Das Unechte, der bloße Abbild-Charakter und auch das Verspielte und Nicht-ernst-zu-Nehmende der Götzen kommt in Bubers „Docken“ treffend zum Ausdruck, wenn man sich denn mit dem fremden Wort erst einmal ein wenig bekannt gemacht hat. Für Buber ist es ein Wort voller Verachtung, das seiner Gottes-Hochachtung konträr gegenübersteht.
Zumindest einmal übersetzt Buber mit einem anderen Wort: „Beschämt werden alle Diener des Meißelwerks, / die um die Gottnichtse sich preisen“. In der glatten Einheitsübersetzung lautet der Vers: „Alle, die Bildern dienen, werden zuschanden, / alle, die sich der Götzen rühmen“ (Ps 97,7). Wenngleich die „Gottnichtse“ dem Sprachfreund nicht ganz so unverständlich sind, wie es zunächst die „Docken“ sind, fremd und Aufmerksamkeit heischend ist auch dieses Wort. Vielleicht spüren wir in dem Wort „Gottnichtse“ die innere Widersprüchlichkeit der Götzen. Der Gottesanspruch, der Eine und der Ein-und-Alles (vgl. Dtn 6,4) zu sein, wird zusammengebunden mit dem Urteil, dass die Götzen „nichts“ sind. Das „Gottnichtse“ ist eine Wortkreation, die voll explodierender Sprengkraft ist.
In Psalm 1 werden die Wege des Gottesfürchtigen und des Gottlosen gegenübergestellt. Götzen werden nicht, - oder doch nur sehr indirekt durch die Gestalt der Gottlosen ins Spiel gebracht. Da sind sie aber durchaus zumindest mitzubedenken. Vielleicht weisen die folgenden Gedanken eine Spur auf.
Der Weg mit Gott wird im Bild des fruchttragenden Baums an Wasserbächen ausgemalt. Der Weg des gottfernen Menschen führt ... - ja, wohin führt er?
Die verschiedensten Übersetzungen des Psalmenschlusses ins Deutsche und in anderen Sprachen versuchen alle, ausdrucksstarke Worte zu finden, um die Ziel-, Frucht-, Ergebnislosigkeit des Weges ohne Gott ins Bild zu rücken. Es ist richtig spannend, verschiedene Übersetzungen nachzusehen und sie assoziativ in sich spielen zu lassen:
- Der Weg der Frevler führt in den Abgrund (Einheitsübersetzung).
- Der Gesetzlosen Weg wird vergehen (Elberfelder Ü. 1905).
- Der Gottlosen Weg vergeht (Luther 1984).
- Der Gottlosen Weg führt ins Verderben (Schlachter 1951).
- Der Weg der Frevler verliert sich (Buber).
- The end of the sinner is destruction (Basic English 1949/1964).
- The way of the ungodly shall perish (King James 1611/1769).
- The way of the wicked leads to ruin (New American Bible).
- The path of the wicked is doomed (New Jerusalem Bible).
- The way of the wicked is lost (Young’s Literal Translation 1862/1898).
- La conduite des gens sans foi ni loi mène au désastre (Bible en francais courant 1997)
- La voie des pécheurs mène à la ruine (Louis Second 1910).
- La voie des impies se perd (Bible de Jerusalème).
Es bereichert, die einzelnen Übersetzungsvorschläge nachzuschmecken. Jede der Möglichkeiten hat ihr ganz eigenes „Aroma“. Sie sagen alle dasselbe, aber jede sagt es anders. Der Weg ohne Gott ist für den Psalmisten „destruktiv“, „desaströs“, „ruinös“, um nur einige der englischen und französischen Wörter ins Deutsche herüberzuholen. Und klingt bei der englischen Version „The path of the wicked is doomed“ nicht der „doomsday“, der Tag des Jüngsten Gerichtes an?
In meiner persönlichen, freien Bibellese identifiziere ich „Gott“ mit der „Mitte“ oder dem „Halt“. Die Schlussworte von Psalm 1 kristallisieren sich mir dabei in eine Übersetzung hinein, die – zumindest assoziativ – einen Bogen zu Bubers „Gottnichtsen“ schlägt: „Der Weg der Halt- / Mittelosen führt zu nichts.“ Dabei gewichtet sich mir das „nichts“ spielerisch leicht zu einem Hauptwort: „... zu Nichts.“ Die Mittelosen verlieren sich in Nichtigkeiten und am Ende steht ...nichts / (das) Nichts.
... und weiter geht mein Gedankenspiel. Wenn ich eine Mitte habe, dann bin ich wer. Ohne Mitte bin ich ein Niemand. Ohne Mitte verliere ich mich, - ... habe ich verloren, – ... bin ich verloren. Der Mittelose vergeht / verirrt sich. Er vergeht sich gegen sich selbst. Er vergeht. Er geht in die Irre. Er endet im Chaos. Er bleibt – um Bubers Wort von den „Gottnichtsen“ zu variieren – ein „Menschennichts“.
Bin ich überhaupt, wenn ich mich der Mitte verweigere? Umgekehrt: Wo ich die Mitte wage, gewinne ich dann nicht Anteil an dem, dessen Name „Ich bin“ ist (vgl. Ex 3,14)? Das ist auch die Verheißung des Schlussgedankens des Prophetenbuches Hosea, wo der Prophet Jahwe sagen lässt: "Ich bin wie der grünende Wacholder, / an mir findest du reiche Frucht" (Hos 14,9).
In einem Gedicht reflektiert M. W. Bruners über den Tag, der vor ihm liegt. Er wird viele Belanglosigkeiten mit sich bringen, die sich aber fürchterlich aufplustern. Indem Bruners ein heute gängiges Klassifikationsmodell aufgreift, spricht er von dem „fünfsternigen Nichts“. Ein „Fünfsterne-Nichts“ ist und bleibt ... nichts / ein Nichts. Daran ändern auch fünf Sterne nichts. Ob wir mutig und ehrlich genug sind, unseren heutigen Tag, - den morgigen, - und vielleicht unser Leben überhaupt auf die Nichtigkeiten hin zu durchforsten, die ins Kraut schießen, ohne dass wir es wollen und merken? Bruners gibt einen Rat, der fromm klingt und auch fromm ist, der aber gerade darin zur Mitte des Menschseins vorstößt.
Verabschiede die Nacht
mit dem Sonnenhymnus
auch bei Nebelhol dir die ersten
Informationen aus den
Liedern Davidsdann höre die
Nachrichten und lies
die Zeitungbeachte die Reihenfolge
wenn du die Kraft
behalten willst
die Verhältnisse zu ändernbete gegen das
fünfsternige Nichts
das dir aus jedem
Kanal entgegentönt.
Abt Albert Altenähr OSB
2004-08-18
Abbildung aus: O. Keel: Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Zürich, Neukirchen-Vluyn 1972, 331.