zu Psalm 1
Von der Lust an den Psalmen
Selig der Mensch, der nicht dem Rat der Frevler folgt,
der nicht betritt den Weg der Sünder,
nicht sitzt im Kreise der Spötter,der vielmehr seine Lust hat an der Weisung des Herrn,
der bei Tag und bei Nacht über seine Weisung nachsinnt.Er gleicht dem Baum, der an Wasserbächen gepflanzt ist,
der zur rechten Zeit seine Frucht bringt
und dessen Blätter nicht welken.Was immer er tut,
es wird ihm gelingen.Nicht so die Frevler!
Sie sind wie Spreu, die der Wind vor sich hertreibt.Darum werden Frevler im Gericht nicht bestehen,
noch Sünder in der Gemeinde der Gerechten.Denn der Herr weiß um den Weg der Gerechten,aber der Weg der Frevler verliert sich.
Der Psalm schildert einen Menschen in seiner Beziehung zur Weisung des Herrn. Er sinnt beständig – bei Tag und bei Nacht – über die Weisung des Herrn nach. Das gezeichnete Bild trägt keine individuellen Züge. Die Stellung des Psalms am Anfang des Buchs der Psalmen legt nahe, an einen idealen Menschen zu denken, der über die Psalmen nachsinnt. Während wir damit ein vor allem intellektuelles Tun verbinden, gehörte es lange Zeit auch in der christlichen Tradition dazu, den Text halblaut zu murmeln, als würde man ihn immer wieder kauen, um ihn sich nach und nach einzuverleiben.
Wie ein besonders leckeres Essen kann auch diese Speise Lust wecken. Häufig wird der Beter dazu länger an einem Psalm kauen müssen, bis er ihm zum Wohlgeschmack wird. Beim regelmäßigen Beten kann auch die Vorfreude wachsen, einem bestimmten Psalm oder einem Gedanken daraus im Rhythmus der Psalmenordnung wieder zu begegnen. Um auf den Geschmack zu kommen, mag die Erinnerung daran hilfreich sein, dass es sich bei den Psalmen um eine erlesene Auswahl aus einer großen Zahl von Gebeten handelt. Schon viele Generationen vor uns haben die Psalmen verkostet. Die frühe Kirche war sich in einer eigenen Dichtung noch so unsicher, dass die sich bald für etwa dreihundert Jahre auf diese bewährten Texte beschränkt hat. Darin konnte sie gesicherte Zeugnisse der Begegnung mit dem Herrn erkennen. Im Letzten hilft es natürlich nicht, wenn uns andere sagen, die Psalmen seien eine Delikatesse. Dies kann uns nur bewegen, sie selbst immer wieder zu verkosten, um nach und nach auf den Geschmack zu kommen.
Lust gründet in einer sehr tiefen Schicht in uns. Wir können sie nicht direkt steuern. Wir können mehr oder weniger darauf achten, was in uns Lust weckt. Dabei wird es nicht einmal gelingen, Dinge zu meiden, von denen wir nicht wollen, dass sie Lust wecken. Gerade das, was wir uns verbieten, gewinnt seinen eigenen Reiz. Wir können wohl eine Umgebung suchen, die uns gut tut. Viel wichtiger als Böses zu vermeiden, ist es, den Sinn auf den zu richten, von dem alles Gute kommt. Dann verliert das, was uns nicht gut tut, seinen Reiz.
Die Bildwelt der Psalmen stammt aus einer uns fremden Welt. Dennoch haben diese Bilder auch heute noch die Kraft, uns anzusprechen. Wir können uns in den geschilderten Erfahrungen wiederfinden und uns mit ihrer Hilfe in Beziehung zu Gott bringen. Die Psalmen können uns lehren, Gott nichts vorzuenthalten. Jede Gefühlslage findet in ihnen Ausdruck. Was uns an uns selbst aufstößt, können wir mit Worten der Psalmen bereuen und der Barmherzigkeit Gottes empfehlen; was uns Sorgen bereitet, können wir bittend oder klagend, was uns freut, in Lob und Dank vor ihm kundtun. Deshalb ist es wichtig, den gesamten Psalter im Blick zu behalten, statt sich nur einige Lieblingsstellen herauszusuchen oder unbequeme Texte auszublenden. Es birgt die Gefahr in sich, dass wir Gott auch nur auf die Seiten in uns schauen lassen wollen, die uns selbst angenehm sind. Wir würden zu Heuchlern, die sich selbst zu schmeichelhaft sehen. Gedanken, die uns besonders lieb geworden sind, können uns Geschmack auf mehr machen. Was uns nicht eingeht, können wir vorrätig halten für Situationen, in denen wir uns vielleicht gerade in solchen Worten wiederfinden.
Gegenüber den anderen Büchern der Heiligen Schrift zeichnet sich der Psalter dadurch aus, dass die Psalmen fast immer Gott direkt ansprechen. Wer sich von den Psalmen in die Beziehung zu Gott führen lässt, dem können sich auch die übrigen Schriften tiefer erschließen. Er kann sich in den dargestellten Personen wiederfinden oder sich auch von ihnen abgrenzen. In beidem kann er sich selbst näher kennenlernen und sein Leben in Beziehung Gott bringen. Hier gilt ebenfalls, die gesamte Heilige Schrift im Blick zu halten, auch wenn unangenehme Seiten des menschlichen Lebens geschildert werden. Sonst würden wir den Eindruck gewinnen, Gott existiere allein in einer Idealwelt, die mit unserer sehr gemischten Erfahrung von Gut und Böse nichts zu tun hat.
Von dem selig gepriesenen Menschen hebt der Psalm Frevler, Spötter und Sünder ab. Sie werden nicht eigens beschrieben. Wir können sie als die verstehen, die nicht beständig über die Weisung des Herrn nachsinnen. Es fällt auf, dass sie immer in der Mehrzahl genannt werden. Rat der Frevler und Kreis der Spötter deuten an, dass sie den Zusammenhalt untereinander suchen. Er ersetzt ihnen die Beziehung zum Herrn.
Ist der Mensch, der in der Beziehung zum Herrn lebt, wie ein gut verwurzelter fruchtbringender Baum, so sind die übrigen fruchtlos und leicht wie Spreu. Sie haben keinen Anteil an der Herrlichkeit des Herrn. Das hebräische Wort kabod kann ebenso Herrlichkeit wie Gewicht meinen. Ohne das rechte Gewicht ist der Mensch ein Spielball der Mächte, hin und her getrieben vom Wind. Er kann im Letzen keinen Bestand haben. Sein Weg verliert sich, weil er sich der Weisung des Herrn verweigert. Er hat kein Ziel, nach dem er sich ausstreckt, und deshalb auch nicht wirklich einen Weg, auf dem er geht.
Am Ende spricht der Psalm von der Gemeinde der Gerechten. Die gemeinsame Beziehung zum Herrn stiftet eine Gemeinschaft anderer Art als der Kreis der Spötter, der in einer gemeinsamen Gegnerschaft gründet. In der Gemeinde derer, die mit Gott verbunden sind, können wir uns gegenseitig helfen, auf dem Weg zu bleiben, den Gott uns weist. Weil die Gerechten sich vom Herrn anschauen lassen, kennt er ihren Weg. In diesem Kennen schwingt seine liebevolle Zuwendung mit. Es ist seine Lust, bei diesen Menschen zu sein (vgl. Spr 8, 31), die für ihn offen sind. Dies macht letztlich das Glück derer aus, die an der Weisung des Herrn ihre Lust haben.
P. Oliver J. Kaftan OSB
2009-09-13
Fotos: König David, Padua, Abtei Santa Giustina, Portal-Fragment, um 1000; König David, Santiago de Compostela.
Möchten Sie mir eine Rückmeldung geben?
Pater Oliver · Mailen Sie mir