Zu Psalm 51,17
„Herr, öffne meine Lippen …“
Jeden Morgen beginnt der klösterliche Tageslauf mit einer Gebetszeit und jeden Tag beginnt sie mit einem Schlüssel-Wort und einem Schlüssel-Zeichen. Alle Mönche zeichnen das Kreuz auf die Lippen, der Hebdomadar – der Vorbeter der jeweiligen Woche – stimmt dreimal an: „Herr, öffne meine Lippen ...“ und der Chor der Mönche fährt fort: „... so wird mein Mund dein Lob verkünden.“ Mit diesem Psalmvers (Ps 51,17) ist das „rote Band“ für den Tag zerschnitten. Der Tag – sein Beten, seine Arbeit, seine Begegnungen, seine Mühen und Freuden – beginnt.
Aller Anfang ist schwer -, das gilt sicher auch und vielleicht gerade für den Morgen, wo der Schlaf nicht weichen will. Aber wir wissen auch, wie wichtig ein guter Anfang ist. Wenn der Start verpatzt ist, dann ist das Rennen schon gelaufen. Wir rennen hinterher und haben größte Mühe, den vertanen Anfang einzuholen.
„Herr, öffne meine Lippen ...“ – das ist ein Schlüssel-Wort, - ein aufschließendes, ein öffnendes Wort.
Das allererste Wort dieses ersten Wortes ist zugleich Aus-Rede und An-Rede. Ich rede mich heraus aus meinen Versponnenheiten von Müdigkeit und Schlaf, - aus den Verspannungen in mich selbst. Es ist Hinaus-Rede meines verschlossenen Ich auf einen anderen hin. Ich ent-spanne mich, nehme Beziehung auf und stelle Kontakt her: „Herr ...“
„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde ...“ beginnt der Schöpfungsbericht der Bibel. „Am Anfang war das Wort ...“ beginnt Johannes sein Evangelium von Jesus Christus. Am Anfang unseres Tages steht Er, der Herr, als Angel-, Bezugs- und Zielpunkt des ganzen Tagesablaufs. Im Grunde reicht dieses eine Wort für den ganzen Tag. Es ist der Grund, auf dem ich bauen kann. In ihm ist alles enthalten. Alles Weitere kann nur noch Entfaltung dieses Einen sein.
„... öffne meine Lippen.“ Die Grundbitte für den Tag lautet: „öffne mich“. Konkret werden die Lippen, der Mund angesprochen. Der Mund und seine Lippen werden in unserem Psalmvers als nach außen tätiges, als „extro-vertiertes“ Organ gesehen. Er kann verkündigen. Er verkündigt imnmer, - im und zum Guten hin, wie auch zum katastrophal Schlechten hin. Mit einem, Zitat aus dem Buch der Sprichwörter weiß Benedikt: „Tod und Leben sind in den Händen der Zunge“ (Spr 18,21; RB 6,5).
Öffne mich, damit Gutes aus mir herauskommt, - damit das Gute, das doch auch in mir ist, nicht nur nicht gehemmt wird, sondern sich frei aus mir heraus in meine Umgebung entfaltet. Der Psalmvers sagt es in religiöser Sprache und Direktheit: „... damit mein Mund dein Lob verkünde.“ Wer Gutes tut, lobt immer auch Gott, der das Gute in uns hineingelegt hat.
„Herr, öffne meine Lippen ...“ – das ist ein gutes, Grund legendes Wort für den Tag: Herr, lass mich offen sein für den Tag, - und er wird gelingen.
Albert Altenähr OSB
2003-01-15