Zum Leviatan/Krokodil im Alten Testament
Jahwe, du Bezwinger aller Furchtmächte
In zahlreichen Varianten lese ich in den Psalmen die Bedrängnisse der alttestamentlichen Dichterbeter. Mal sind es die eher das Leben zerfressende Bilder kaum zu definierender Krankheiten, - mal als Frevler und Feinde vorgestellte Bedrängnisse, denen der Psalmist nur mit Beschwörungen, Verwünschungen und Verfluchungen zu begegnen weiß, -dann tiefste Tiefenängste, denen furchterregende Ur-Tiere - vielleicht darf man durchaus sagen: Ur-Viecher - Gesicht und Vorstellung zu geben versuchen. Eines dieser Ur-Tiere wird mit dem rätselhaften Wort ‚Leviatan’ bezeichnet. In den Übersetzungen finde ich verschiedene Übersetzungen dieses Namens. Neben dem nicht-übersetzten Leviatan tauchen in den Übersetzungen der Drache, die große Schlange, der Walfisch und das Krokodil auf.
Seit der Hinführung in die Welt der Bibel während meiner frühen Klosterjahre habe ich ein besonderes Vergnügen an der Beschreibung des Krokodils im Buch Ijob. Erst viel später ist mir aufgegangen, dass es im hebräischen Text ‚Leviatan’ genannt wird.
Ijob 40,25–32: „Kannst du das Krokodil am Angelhaken ziehen, mit der Leine seine Zunge niederdrücken? Legst du ein Binsenseil ihm in die Nase, durchbohrst du mit einem Haken seine Backe? Fleht es dich groß um Gnade an? Richtet es zärtliche Worte an dich? Schließt es einen Pakt mit dir, so dass du es dauernd nehmen kannst zum Knecht? Kannst du mit ihm wie mit einem Vogel spielen, bindest du es für deine Mädchen an? Feilschen darum die Jagdgenossen, verteilen sie es stückweise unter die Händler? Kannst du seine Haut mit Spießen spicken, mit einer Fischharpune seinen Kopf? Leg nur einmal deine Hand daran! Denk an den Kampf! Du tust es nie mehr.“
Ich spüre in dieser Beschreibung bei Ijob eine außerordentliche Bewunderung für die nicht zu bändigende Kraft, aber auch für die faszinierende Schönheit des Krokodils. Der Autor des Textes hat sich das Krokodil genau angesehen, - er hat sich viele Gedanken darüber gemacht, - er hätte es wohl liebend gerne gezähmt und seiner Freundin als Schoßtier geschenkt. Wenn ihm all das gelänge, dann wäre das „etwas“ und dann wäre er „wer“.
Zugleich weiß der Autor, dass solche Gedankenspiele irreale Träume von der eigenen Größe sind. Ihm ist die Bändigung des Krokodils unmöglich. Alle Bewunderung führt ihn nur zum Respekt vor seiner Unbezwingbarkeit. Es ist ein Groß- und Un-Tier, dem man am besten weit aus dem Weg geht. „Leg nur einmal deine Hand daran! Denk an den Kampf! Du tust es nie mehr.“
Das Kapitel 40 des Buches Ijob ist eine Rede Gottes an Ijob: Wenn du, Ijob, anerkennen musst, dass der Leviatan / das Krokodil, unendliche Nummern zu groß für dich ist, dann erkenne auch, dass ich, der Herr, durchaus zu dem fähig bin, was du nicht kannst. Ich bin der Schöpfer des Leviatan. Ich kann mit ihm spielen.
Der Leviatan taucht zweimal in unseren Psalmen auf. Einmal ist mit ihm das ins Bild gefasste Chaos des Uranfangs angesprochen, das Gott mit seinem machtvollen Wirken „aus der Welt“ schafft. Das andere Mal ist ein großes Seetier ins Bild gebracht, das für Gott nicht mehr als ein Spiel-Tier ist. Der Kontext ist beide Male das Meer. Das hindert uns Übersetzer, hier Leviatan mit ‚Krokodil’ zu übersetzen, da dieses nicht im Meer, sondern im Süßwasser der Flüsse beheimatet ist. Für die biblische Vorstellung ist es aber unproblematisch, das Meerungeheuer mit dem furchterregenden Krokodil zusammenzudenken.
Psalm 74,12–14: „Doch Gott ist mein König von alters her, Taten des Heils vollbringt er auf Erden. Mit deiner Macht hast du das Meer zerspalten, die Häupter der Drachen über den Wassern zerschmettert. Du hast die Köpfe des Leviatan zermalmt, ihn zum Fraß gegeben den Ungeheuern der See.“
Psalm 104,24–27: „Herr, wie zahlreich sind deine Werke! / Mit Weisheit hast du sie alle gemacht, die Erde ist voll von deinen Geschöpfen. Da ist das Meer, so groß und weit, darin ein Gewimmel ohne Zahl: kleine und große Tiere. Dort ziehen die Schiffe dahin, auch der Leviatan, den du geformt hast, um mit ihm zu spielen. Sie alle warten auf dich, daß du ihnen Speise gibst zur rechten Zeit.“
Die Schöpfungsdramatik mit dem Kampf gegen den Chaosdrachen sieht Jesaja sich wiederholen ‚an jenem Tag’, dem Tag des Endgerichtes, das die Schöpfungsordnung neu zur Geltung bringt. Wann immer ‚jener Tag’ in der Befreiung aus einer konkreten Not oder Angst sich im Kleinen ereignet, erweist sich Jahwe als Herr der Situationen. Der alttestamentliche Prophet, Beter, Mensch spricht sich mit dem Erzählen von Gottes Sieg über den Leviatan damals und künftig Zuversicht fürs Heute ein. Er spricht sich aus der Angst heraus und in die Gelassenheit hinein.
Jesaja 27,1: „An jenem Tag bestraft der Herr mit seinem harten, großen, starken Schwert den Leviatan, die schnelle Schlange, den Leviatan, die gewundene Schlange. Den Drachen im Meer wird er töten.“
Kehren wir noch einmal zum ‚Krokodil’ zurück. Beim Propheten Ezechiel hat sich ‚großes Krokodil’ als Titel des Pharao erhalten. Sich mit dem Krokodilstitel zu schmücken, erscheint dem Propheten als Anmaßung ohnegleichen. Im Blick auf den wahren Herrscher über das All, Jahwe, ist es zugleich lächerlich. Mit Haken und Netz ist es dem Jäger Gott ein leichtes, den Pharao, ‚das große Krokodil’, zu überwinden und ihn aus seinem Herrschaftsbereich zu vertreiben. Die Wüste, das freie Land, ist sein Verbannungsort.
Ezechiel 29,1–5: „Am zwölften Tag des zehnten Monats im zehnten Jahr erging das Wort des Herrn an mich: Menschensohn, richte dein Gesicht auf den Pharao, den König von Ägypten, tritt als Prophet auf gegen ihn und gegen ganz Ägypten, und sag: So spricht Gott, der Herr: Jetzt gehe ich gegen dich vor, Pharao, du König Ägyptens, du großes Krokodil, das zwischen den Armen des Nil liegt und sagt: Mir gehören die Arme des Nil, ich habe sie selber erschaffen. Aber ich schlage dir Haken durch die Kinnbacken und lasse die Fische deines Nil an deinen Schuppen kleben. Ich ziehe dich herauf aus deinem Nil samt all den Fischen deines Nil, die an deinen Schuppen kleben. Dann werfe ich dich in die Wüste hinaus, dich und all die Fische des Nil. Aufs trockene Land wirst du fallen.“
Ezechiel 32,2–4: „Menschensohn, stimm die Totenklage an über den Pharao, den König von Ägypten, und sag zu ihm: Löwe der Völker, jetzt bist du verstummt. Und doch warst du wie ein Krokodil in den Seen, hast die Flüsse aufgepeitscht, das Wasser mit deinen Füßen verschmutzt und die Fluten aufgewühlt. So spricht Gott, der Herr: Ich werfe über dich mein Netz, ein Heer von vielen Völkern, die ziehen dich herauf in meinem Schleppnetz. Dann werfe ich dich aufs Land, schleudere dich aufs freie Feld. Alle Vögel des Himmels sollen sich auf dich setzen, und ich sättige mit dir alle Tiere der Erde.“
Die Botschaft hat sich mir eingeprägt: Gott, der Schöpfer und Bezwinger des Leviatan/Krokodils wird mit jeder Bedrängnis fertig, die mich bestürmt. Ich brauche keine Angst zu haben; denn Gott ist größer als alle Not. In das Netz solchen Glaubens darf ich meine Angst fallen lassen.
Albert Altenähr OSB
2010-06-14