Der vergessene Advent
Eine (Nicht-) Pilgerstätte am Wegesrand
Der Pilgerbus fährt die Staatsstraße 60, die Hebron Road, zügig von Jerusalem nach Betlehem. Angespannt sieht man dem Checkpoint an Rachels Grab entgegen. Ein heißer Punkt, dieser Checkpoint. Vielleicht biegt man danach zu einem Besuch des Caritas Baby Hospitals ab, oder man fährt gleich weiter zur Geburtskirche.
Bei meinen Besuchen in Israel – sie sind inzwischen schon etliche Jahre her – hatte keiner der Guides auf eine Stelle aufmerksam gemacht, die es durchaus in sich hat. Rein zufällig hörte ich davon, als ich mit einer damaligen Pilgergruppe – es wahr wohl 1997 – im Kibbutz Ramat Rachel zwischen Jerusalem und Betlehem untergebracht war.
„Man hat da bei Arbeiten zum Ausbau der Straße die Fundamente einer achteckigen byzantinischen Basilika gefunden.“
Ich bin damals einmal dahin geschlendert, und sah … eigentlich nichts. Einige Mäuerchenreste, die kaum über die Ackernarbe herausragten, direkt neben der Straße. Die Umgebung eine ordentliche angelegte Olivenpflanzung.
Touristisch aufgepeppt oder als Pilgerrast einladend hergerichtet war da nichts. Halt ein archäologisch interessanter Punkt unter vielen, vielen anderen in Israel, … aber einen Pilger-Halt nicht wert.
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Eine achteckige Kirchenanlage etwa aus dem 5. Jhd. ..., das weist auf einen besonders beachteten Gedenkort hin, der Pilger anlockte und noch mehr Pilger anlocken wollte. In der Mitte der Anlage ist ein Felsenkopf zu erkennen. Auf ihm soll Maria auf dem Weg nach Betlehem Rast gehalten haben. „Hagion Katisma“ heißt der Ort, „Heilige Rast“, oder personalisiert „Maria Rast“.
Der literarische Hintergrund dieser Überlieferung ist das 17. und 18. Kapitel des Protoevangelium des Jakobus, einem Text aus der Mitte des 2. Jhd. Er malt die Kindheitsgeschichte Jesu aus dem Lukasevangelium weiter aus und bereichert unser „Wissen“ um den kleinen Jesus und seine Mutter über das hinaus, was wir aus den Evangelien erfahren.
Das Jakobusevangelium erzählt: „Ein Befehl aber ging aus von Augustus, dem König, dass alle Einwohner von Betlehem in Judäa sich eintragen lassen sollten. … Und er (Josef) sattelte seinen Esel und setzte sie (Maria) darauf. … Und sie hatten den halben Weg zurückgelegt, da sagte Maria: ‚Josef, heb mich vom Esel herab, denn das (Kind) in mir bedrängt mich und will herauskommen.‘ Und er hob sie dort herunter und sprach zu ihr: ‚Wo soll ich dich hinbringen und dich in dieser misslichen Lage beschützen? Denn dieser Ort ist einsam.‘ Und er fand dort eine Höhle und führte sie hinein, ließ seine Söhne bei ihr stehen und ging hinaus, eine hebräische Hebamme in der Gegend von Betlehem zu suchen.“
Wenn man den alten Text weiter liest, dann ist der Ort der Erzählung der der Geburt Jesu. Dass er damit in Konkurrenz zur Geburtskirche in Betlehem steht, löst die Ortstradition elegant mit der „Erfindung“ einer Rast-Statt auf dem Weg zur Geburts-Stätte. Pilger-Guides damals waren sicher genauso erfindungsreich-clever, wie sie es heute sind. Die Leute wollen peppig bedient werden -, also liefert man ihnen die wahre/Ware Geschichte „made in Irgendwo.“
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Irgendwie scheint mir der heutige Zustand der alten Pilgerstätte wie ein Symbol unseres Adventerlebens.
Das Hagion Katisma existiert nur noch als Fundamentrest. Sein reiches Fußbodenmosaik ist mit einer Sandschicht gesichert und abgedeckt. Daneben die sechsspurige Schnellstraße.
Unser Advent vollzieht sich zumeist auf der Schnellstraße. Man eilt durch die Geschäfte, stresst sich in (un-)adventlicher Geschäftigkeit besinnlicher Wünsche und betrieblicher Weihnachtsfeiern. … und die Rast wird links liegen gelassen, … als „da war einmal etwas“ oder „man müsste eigentlich mal ...“
Und plötzlich, viel zu schnell, nahezu unverhofft, ganz unerwartet ist schon Weihnachten.
Albert Altenähr / 2018-11-16
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