Warten
Eine Erinnerung an das erste oder zweite Schuljahr: Die Lehrerin fragte, warum der Adventskranz vier Kerzen haben. Meine Antwort: "Weil die Israeliten in Ägypten viertausend Jahre gefangen waren." Mit strahlenden Augen sagte die Lehrerin: "Richtig!" Nun, mittlerweile weiß ich, dass die Zahl nicht stimmte; aber darauf kommt es nicht an. Wichtig ist mir die Haltung des Volkes Israel einen langen Atem zu haben und warten zu können.
Worauf warten wir? Kinder warten darauf groß zu werden, große Kinder warten darauf das Elternhaus verlassen zu können, wir warten auf einen Arbeitsplatz, einen Ehepartner, auf Kinder und Enkel und nicht zuletzt warten alte Menschen auf den Tod, den letzten Advent. Wir warten so viel in unserem Leben: An Ampeln, im Wartezimmer, auf einen Telefonanruf, auf einen Brief, auf... Wie viel Zeit verbringen wir im Leben mit Warten. Nicht wenige sagen: Ich "vertue" meine Zeit mit Warten. Dabei kann Warten eine zutiefst aktive Haltung sein, eine Haltung des Ausgerichtet - Seins.
Wer kleine Kinder hat oder Enkel, der bekommt die Freude mit, mit der darauf gewartet wird, dass eine weitere Kerze am Adventskranz angezündet wird, dass endlich Heilig Abend wird, dass endlich die Geschenke ausgepackt werden dürfen. Im Psalm sagt der Beter: "Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die Wächter auf das Morgenrot. Mehr als die Wächter auf den Morgen soll Israel harren auf den Herrn" (Ps 130,6)
Warten bedeutet ausgerichtet sein, gespannt sein, bereit sein. Warten als "Spannkraft" der Seele, wie es die Alten sagten, ausgespannt auf Den hin Der kommen will, ausgespannt sein auf Den, nach Dem wir uns sehnen. Heute muss vieles schnell gehen: Die Arbeit, die Freude, ein Event nach dem anderen, eine Verabredung jagt die andere. Im Warten kann ich Verschnaufen, im Warten kann ich mich besinnen, ausrichten und neu aufrichten, im Warten gewinne ich Abstand zu Menschen und Dingen und kann neu Ausschau halten nach dem, was wirklich wichtig ist. Warten als christliche Lebenskunst.
Warten aufs Christkind, warten auf den Heiland, warten auf das Leben. In das Warten hinein ragt das Leben. Warten sollte eine Haltung aller Christen sein - nicht als Vertröstung, sondern als Haltung, die zur Er - Wartung wird. Ich erwarte etwas von mir, von anderen, vom Leben, von Gott. Ein Leben des Wartens und der Erwartung auf das je größere.
Ein kleiner Text von Eva Zeller zum Abschluss:
Kassiber
Dem Schweigen des Jawort geben.
Im Asyl bitten für eine Stunde.
Verabredungen treffen mit dem Unverhofften.
Viel zu wünschen übrig lassen.
Abt Friedhelm Tissen OSB