… gib uns die Kraft zu christlicher Zucht
zur Aschermittwoch-Predigt 2019 von Abt Friedhelm
In seiner Predigt an Aschermittwoch hat Abt Friedhelm das Wort aus dem Tagesgebet beleuchtet: „… gib uns die Kraft zu christlicher Zucht.“ Das Wort von der Zucht ist heute weitgehend mit negativem Empfinden besetzt. Es ist von daher eher in die Schublade „von gestern“ abgeschoben und wird einer überwundenen patriarchalistischen Herrschaftsordnung zugeordnet.
Abt Friedhelm wies auf das zugehörige Tätigkeitswort hin: „ziehen“ und suchte von dort mit einer Reihe durchaus gängiger Redewendungen den positiven Aspekt von Zucht ins Nachdenken zu bringen.
Wohin zieht es mich?
Was zieht mich an?
Wenn der Sohn / die Tochter auszieht, dann steht ihnen die Freiheit (… und die Eigen-Verantwortung des Erwachsenseins) im Horizont.
Dass Abt Friedhelm in diesem Zusammenhang Psalm 18,20 zitierte – lange Jahre mein absoluter Lieblingsvers – hat mich natürlich besonders gefreut: „Er führte mich hinaus ins Weite, denn er hat an mir Gefallen.“ Dass es kurz vor diesem Vers heißt: „Er griff aus der Höhe herab und fasste mich, zog mich heraus aus gewaltigen Wassern” (Ps 18,17), sei nur nebenbei erwähnt.
Benedikt als Zuchtmeister des Schweigens
Gravur auf dem Gründungskelch der Abtei (1906)
Mir persönlich hat sich das Wort von der „Zucht“ markant aus einem Gedicht von Dietrich Bonhoeffer eingeprägt, d.h. zeitlich aus der Arbeit an meiner Dissertation vor 50 Jahren. In den vier Strophen seines Gedichtes „Stationen auf dem Wege zur Freiheit“ widmet er die erste Strophe genau diesem Begriff. „Zucht“ ist die Überschrift der Strophe.
Zucht
Ziehst du aus, die Freiheit zu suchen, so lerne vor allem
Zucht der Sinne und deiner Seele, dass die Begierden
und deine Glieder dich nicht bald hierhin, bald dorthin führen.
Keusch sei dein Geist und dein Leib, gänzlich dir selbst unterworfen
und gehorsam, das Ziel zu suchen, das ihm gesetzt ist.
Niemand erfährt das Geheimnis der Freiheit, es sei denn durch Zucht.
Bonhoeffer hat das Gedicht kurz nach dem Attentat auf Hitler vom 20 Juli 1944 geschrieben. Es ist ein Echo seiner damals aktuellen Empfindungen.Das Gedicht und zumal die erste Strophe war „‘68“ - 24 Jahre später - und danach absolut nicht auf der Höhe der Zeit. Zucht, Keuschheit, Gehorsam, … das waren keine Leitworte der Studentenbewegung. Der junge Mönch in seiner Kloster-Sozialisation sah das vielleicht etwas weniger allergisch, aber einfach immun war er als Zeitgefährte ja auch nicht gegen das, was die Studenten „draußen“ bewegte. „Niemand erfährt das Geheimnis der Freiheit, es sei denn durch Zucht.“ Das war ein Wort, das zu knabbern und zu denken gab (und gibt).
Abt Friedhelms Gedanken ließen mich noch einmal zu einem etymologischen Wörterbuch greifen, um Erinnerungen aufzufrischen. Da finde ich das Substantiv zunächst als Ausdruck einer „urtümlichen Geburtshilfe“ für Haustiere. „Zucht“ ist da das Tun der Hebamme, die bei der Geburt ins Leben hilft. Der Begriff weitete sich in die begleitende „Auf-Zucht“ ins Leben hinein und dann noch einmal weiter in das Züchten von Tieren und Pflanzen. Da geht es also um Veredelung und Steigerung von Qualität.
Es ist schade, dass diese Hintergründe des Wortes „Zucht“ heute kaum noch gekannt und bedacht werden. Sie ins Bewusstsein zu heben bereichert. Vielleicht hilft solches Nachdenken (… und auch Nachforschen / Nachschlagen) auch allgemein, bunte Begriffe nicht in einfaches Schlagwort-Grau zu versimpeln. Das Hineinhorchen in die Sprache sollte in Diskussionen recht und billig sein.
Albert Altenähr
2029-03-08