13. Sonntag im Jahreskreis A (Matthäusevangelium 10,37-42)
Entschiedenheit
Matthäus 10: 37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig. 38 Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig. 39 Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen. 40 Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat. 41 Wer einen Propheten aufnimmt, weil es ein Prophet ist, wird den Lohn eines Propheten erhalten. Wer einen Gerechten aufnimmt, weil es ein Gerechter ist, wird den Lohn eines Gerechten erhalten. 42 Und wer einem von diesen Kleinen auch nur einen Becher frisches Wasser zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist - amen, ich sage euch: Er wird gewiß nicht um seinen Lohn kommen.
Ich muss es gestehen: Gerne predige ich über diesen Evangelienabschnitt nicht. Schon bei der Vorbereitung ahne und spüre ich den Widerstand der Gemeinde gegen die harschen Worte Jesu, - gegen die Radikalität, mit der er sich über die natürlichsten und tiefsten Liebesbeziehungen der Menschen hinwegsetzt: Wer die Eltern mehr liebt als mich ... Wer seine Kinder mehr liebt als mich ....! Das ist nicht nur herausfordernd stark und gewaltig. Das ist mehr noch! Es verlangt „Vergewaltigung“ wesentlicher Lebensgrundlagen. Ist nicht die stabile Beziehung zwischen den Eltern und dem Kind der Mutterboden für ein gelingendes Leben? Und diese Grundlage stellt Jesus infrage? Ich spüre den Widerstand der Gemeinde. Und mehr noch spüre ich den eigenen Widerstand. Ich hätte Christsein und auch Nachfolge als Ordensmann und Priester lieber ein wenig leichter und weicher.
In all meinem Widerstand gegen Jesu Wort spüre ich aber auch, dass Jesus mich in seiner so unangenehm konkreten Bildsprache mit einem Grundproblem des Lebens konfrontiert. Er führt mich an die Grenze meiner Träume. Träume sind sind schön und gut, - ja, sie sind sogar notwendig, denn sie öffnen neue Perspektiven. Aber irgendwann bringen sie mich an den Punkt der Entscheidung, wo sie den kleinen, aber entscheidenden Schritt in die Realisierung einfordern.
Sich in bloße Träume zu verstricken, scheint mir im Glaubensleben eine besondere Gefahr zu sein. Man merkt es nicht sofort und nicht so leicht, wenn man eine Chance verpasst, - wenn man vom Weg abkommt, - wenn man einen „Glaubensunfall“ erleidet. Der Schaden ist nicht so unmittelbar sichtbar. Die Konsequenzen scheinen nicht so weh zu tun.
Vor Jahren hat mir eine Ordensschwester die Grenzsituation einmal so umschrieben: „Ich möchte ja wohl eine Heilige sein, aber ich will nicht!“ Das hört sich fast köstlich an, aber ist es nicht doch eine sehr genaue Beschreibung unserer Träume und der Aufgabe, einen Schritt der Entscheidung zu tun? Es reicht nicht zu träumen; ich muss wollen! Wenn ich wirklich etwas will, dann suche und finde ich auch einen Weg.
Mir kommt die Erzählung des Alten Testamentes von Jakob in den Sinn, der an der Schwelle des Gelobten Landes mit dem Engel Gottes ringt. Er hat die Sehnsucht der Heimat in sich und er kämpft sich durch die Nacht seiner Ängste hindurch. Er gibt nicht auf, bis er den Segen Jahwes erhalten hat. Dieser Kampf hat bei Jakob Spuren hinterlassen: er hinkt an seiner Hüfte. Aber vor ihm tut sich neues Land und über ihm geht die Sonne auf.
In seinen Worten macht Jesus deutlich, dass eine positive Entscheidung nicht ohne Verzicht auf andere Möglichkeiten zu fällen ist. Zu solcher Klarheit gehört zweifellos auch Engagiertheit, damit es eine ganze Entscheidung wird und keine halbe Sache bleibt. Vielleicht wird sich der entscheidende Schritt zuerst nur in der kleinen Münze eines Bechers Wasser äußern, aber von diesem einen Becher aus kann sich ein ganzer Strom neuer Lebendigkeit entfalten.
Wir mögen vielleicht sagen, eine Entscheidung trägt ihren Lohn in sich selbst. Wenn nach langem Zögern eine Entscheidung gefällt ist, dann kann ich durchatmen und mit ihr leben. Das stimmt und Jesus würde dem bestimmt nicht widersprechen. Aber er deutet darüber hinaus an, dass der, der sich für ihn entscheidet und konsequent sein Christsein lebt, Gottes Lohn erhält. Und in dieser Ansage schwingt für mich unendliche Fülle des Lebens mit. Will ich mehr? Kann ich überhaupt mehr wollen als Fülle des Lebens?
Albert Altenähr OSB
2002-05-29