28. Sonntag im Jahreskreis C (2Könige 5,14-17)
Erde braucht der Mensch zum Glauben
2Könige 5,14-17: In jenen Tagen ging Naaman, der Syrer, zum Jordan hinab und tauchte siebenmal unter, wie ihm der Gottesmann befohlen hatte. Da wurde sein Leib gesund wie der Leib eines Kindes, und er war rein. Nun kehrte er mit seinem ganzen Gefolge zum Gottesmann zurück, trat vor ihn hin und sagte: Jetzt weiß ich, dass es nirgends auf der Erde einen Gott gibt außer in Israel. So nimm jetzt von deinem Knecht ein Dankgeschenk an! Elischa antwortete: So wahr der Herr lebt, in dessen Dienst ich stehe: Ich nehme nichts an. Auch als Naaman ihn dringend bat, es zu nehmen, lehnte er ab. Darauf sagte Naaman: Wenn es also nicht sein kann, dann gebe man deinem Knecht so viel Erde, wie zwei Maultiere tragen können; denn dein Knecht wird keinem andern Gott mehr Brand- und Schlachtopfer darbringen als Jahwe allein.
In meinen Leseerinnerungen taucht gelegentlich die Novelle von Leo Tolstoi auf „Wieviel Erde braucht der Mensch?“ Wenn ich mich recht erinnere, kommt die Erzählung zu dem bescheidenen Schluss: Der Mensch braucht nur so viel, dass es reicht, seinen Sarg in ihr zu bergen. Alle Größe und aller Großgrundbesitz reduziert sich im Tod auf ein solches Bisschen, das fast schon ein Nichts ist. Es ist eine sehr moralische Novelle,- ja, sie ist sozial-revolutionär. Wenigstens kann man sie so lesen.
Ganz anders stellt sich mir die Frage, wenn ich am Grab meiner Mutter stehe. Brauchte meine Mutter diese wenigen Quadratmeter Grabfläche oder brauche ich sie nicht viel mehr? Zumindest brauche ich dieses Stückchen Erde auch! Ich brauche es als Anknüpfungshilfe für meine Erinnerungen, - für ein kurzes Gespräch „über das Grab hinweg“. Ich brauche dieses Erdenstückchen als Bewußtseinsstütze für meine Verwurzelung im Leben meiner Familie und in meinem Heimatort. Ich weiß, wenn einmal die Situation eintreten sollte, dass ich glaubte, einen Kummer oder eine Sorge nirgendwo los werden zu können, - an diesem Grab wäre ich willkommen.
In der alttestamentlichen Lesung des Sonntags bittet der vom Aussatz geheilte Syrer Naaman, so viel Erde vom Ort seiner Heilung mitnehmen zu dürfen, wie zwei seiner Maultiere tragen können. Und er begründet diese Bitte mit dem Wunsch, nur noch Jahwe allein dienen und opfern zu wollen. Offensichtlich ist in der Vorstellung Naamans der Gott Israels ganz unmittelbar und äußerst griffig an das Land Israel gebunden oder - sagen wir es noch ein wenig konkreter - an Erde aus dem Land Israel.
Die biblischen Vorstellungen haben sich auch schon in der Zeit vor Jesus weiter entwickelt. Jahwe ist der Gott aller Völker und aller Länder. Ja, er ist Gott der ganzen Welt und darüber hinaus der Herrscher des Alls. Ein paar Sack Erde aus Israel, um in Syrien den wahren Gott verehren zu können, wirken da schon seltsam, wenn nicht gar komisch lächerlich. Lächeln wir aber die alte Vorstellung nicht einfach mit einem weiter entwickelten universalen Gottesverständnis weg. Versuchen wir im Gegenteil, uns ein wenig darin einzuspüren.
Ist in dieser alten Vorstellung, dass Gott an ein Stück Land und an Erdklumpen dieses Landes gebunden ist, vielleicht eine urmenschliche Sehnsucht nach griffiger Gotteserfahrung verborgen? Lassen Sie mich Naamans Gedanken als Gebet formulieren: „Gott, mein Gott, ich möchte dich greifbar erfahren! Mach dich mir erfahrbar! Zeig dich mir so deutlich, dass ich für meinen künftigen Lebensweg etwas in den Händen habe! Ich, Naaman, nehme ein paar Sack Erde mit in meine Heimat, damit mein Glaube an dich auch dort Boden unter den Füßen hat.“
Ein vermeintlich hochgeistiger und hochgeistlicher Glaube, der keine Zeichen braucht, geht nach meiner Überzeugung ziemlich am Menschen und seiner Wirklichkeit vorbei. Er traut dem Menschen eine reine Geistigkeit zu, die ihm so nicht gegeben ist. Meine Erfahrung hat mich einen bescheideneren Glauben gelehrt, der die Zeichen hoch schätzt. Ich brauche Orte, Zeiten, Menschen, und auch Andenken und sogar Reliquien, um den unendlich weiten Gott in meine Begrenztheiten eindenken und hineinleben zu können.
Ich stelle mir vor, Gott lächelt jetzt über mich und meinen ziemlich kleinen Glauben. Er lächelt, sendet sein Wort und lässt es in der Geburt Jesu Fleisch, Hand und Fuß werden. Jesus aus dem Dorf Nazareth in dem Provinzwinkel Galiläa ist Gottes großartige Antwort auf Naamans und mein eigenes Verlangen, Glaubensboden unter den Füßen zu bekommen.
Albert Altenähr OSB
2004-10-06