Der königliche Punkt: Wahr-Sein
Christusfenster, Abteikirche, Sakramentskapelle - Ausschnitt
Sein Predigen begann mit einem Satz, - mit fünf Worten: Das Reich Gottes ist nahe. So präzise brachte er es auf den Punkt. Das ist das Samenkorn, das in die Jahrhunderte hinein aufging und zum vielgestalten Baum heranwuchs, der sich Kirche nennt. Stürme zerrten daran. Aus den verschiedensten Wurzelsträngen sprossen Sondertriebe. Mancher Ast zerstarb ins Altern und in den Tod hinein. Doch immer wieder gab es neue Triebe, neue Äste, Blüten, Früchte.
Am Ende des Kirchenjahres feiern wir den Anfang der Botschaft von damals: das Reich Gottes ist nahe, um ihn ins Heute und Morgen hinein zu fördern. Wir schauen den Reichtum an, der aus den ersten fünf Worten gewachsen ist. Sie sind zu Büchern und Bibliotheken, zu theologischen Einzeldisplinen und zu großen Lehrgebäuden angeschwollen. Der Wanderprediger von damals, der ohne ein festes Zuhause war, darf sich heute als Hausherr von Pfarr-, Abtei- und Domkirchen, ja sogar als Herr von päpstlichen Basiliken verstehen. Er kann auf eine großartige Geschichte in seinem Namen zurückblicken, und zugleich auf sehr üble Geschichten, für die sein Name missbraucht wurde.
Die Scherben, die der Kirche heute um die Ohren fliegen, sind nicht die ersten, mit denen sie sich auseinandersetzen muss. Vielleicht müsste man das so Sicherheit-verheißende Wort Jesu: Du bist Petrus der Fels …, generell umdenken: Du bist Petrus der Zerbrechliche, und auf diesem Scherbenhaufen will ich meine Reich-Gottes-Gemeinde bauen.
Aus meinen römischen Studienjahren ist mir das Wort eines italienischen Professors in Erinnerung geblieben, der Garibaldi, den Zerstörer des Kirchenstaates und Einiger des neuen Italiens als größten Wohltäter der Kirche im 19. Jahrhundert bezeichnete. Meinem Unverständnis entgegnete er: Garibaldi hat die Kirche damals aus dem goldenen Käfig der Macht befreit und ihr so den Weg in ihren geistlichen Ursprung neu geebnet.
Darf man die Offenlegung der Missbrauchsskandale und die mutigen Wortmeldungen der Opfer vielleicht in ähnlicher Sicht als Geschenk Gottes an seine Kirche heute deuten -, als Ruf in die Umkehr zu den einfachen Worten des Anfangs: Das Reich Gottes ist nahe? Ihr Benediktiner und ihr Freunde des Heiligen und seiner Mönche, ihr Gottesdienstbesucher diese Stunde, sucht ihr wirklich Gott, oder doch nur euer eigenes Ego, seine Selbstherrlickeit, Genüsslichkeit und Gemütlichkeit?
Finde ich diese Gnaden-Chance, diese minikurze Anfangsbotschaft von der Nähe des Reiches in den biblischen Texten des heutigen Christkönigsfestes wieder?
Zunächst einmal hat mich stutzig gemacht, mit welcher Kürze sich das Wort Gottes heute begnügt. Jede der drei Lesungen ist kurz. Alle zusammen zählen sie nur 288 Wörter. Es ist, als wollte Gott uns auffordern: Redet nicht einfach so herum und drumherum. Entdeckt den Mitte-Punkt für das Gelingen des Lebens. Und bringt euer Leben auf den Punkt.
Der Punkt des Evangeliums könnte sein: Der Mensch -, du Mensch gehst nicht in der Welt auf, so dass du dich gedanken- und bedenkenlos durch sie hindurch genießen darfst. Du stehst in einer Verantwortung gegenüber einem Anderen. Du kommst von woanders her und gehst woanders hin. Jesus lebt dieses Andere und diesen Anderen als seinen Vater. Vor Pilatus nennt er es „die Wahrheit“. Ich lebe aus Gott, dem „Wahren“. Ich lebe mein Leben vor ihm. Ich lebe mein Leben auf ihn hin. Das gibt meinem Leben eine Stimmigkeit und Authentizität. Mein Leben hat eine Mitte, ein Zuhause. Das macht mich zu einem königlichen Menschen, zu einem König.
Das ruhige Bekenntnis Jesu, verwirrt den Pilatus. Es beunruhigt und verunsichert ihn. Er scheint die Frage nach seiner eigenen Authentizität zu hören, aber er stellt sich ihr nicht. Er verweigert sich ihr und geht nicht darauf ein.
Indem wir dieses Evangelium hören, tritt der Jesus von damals uns heute gegenüber. Er legt uns sein Bekenntnis der Wahrheit, das Bekenntnis des einen Gottes vor die Füße. Er lädt uns ein: Nehmt dieses Bekenntnis auf und werdet in meiner Nachfolge selbst ein königliches Geschlecht und königliche Menschen.
Albert Altenähr