Predigt vom 02. Februar 2014, Darstellung des Herrn
Tag des Geweihten Lebens
Liebe Schwestern und Brüder,
am Fest der Darstellung des Herrn feiern wir die Freiheit Israels: Durch das Heilshandeln Gottes wurde Israel aus Ägypten befreit und durch die Wüste ins Gelobte Land geführt. In Erinnerung an dieses befreiende Handeln Gottes wurde jede Erstgeburt, beim Menschen und beim Vieh, Gott dargeboten.
Maria und Josef handeln nach dem Gesetz. Während wir unter Gesetz häufig eine Einschränkung verstehen, erinnert hier das Gesetz an die Freiheit! Die Befolgung des Gesetzes erinnert an das befreiendes Handeln Gottes. „Wie das Gesetz es befahl“ – Erfüllung einer Vorschrift wird zur Erfahrung von Freiheit.
Da sind noch zwei andere Gestalten, Simeon und Hanna. Beide leben im Tempel, seit vielen Jahren, seit Jahrzehnten, voller Sehnsucht, voller Hoffnung, voller Wachsamkeit. Simeon: „Der Hörende“, Hanna: „Gott ist gnädig“. Diese beiden Menschen leben im Tempel, dem Zentrum des jüdischen Kultes, dem Zentrum der religiösen Macht. Und zugleich leben sie im Zentrum am Rande: Sie haben nichts zu sagen, nichts zu entscheiden, nichts zu verkünden. Aber: Sie sind da, sie sind da in ihrer Sehnsucht, in ihrem Hoffen, in ihrer Wachsamkeit. Sie sind gleichsam das Ohr des jüdischen Volkes, Menschen die von der Überzeugung geprägt sind: Gott ist gnädig. Sie sind im Zentrum am Rande, aber in der Herzmitte.
Menschen, die sich Gott ganz weihen, sei es in einem kirchlichen Beruf, sei es als Priester oder Ordensleute, als Mitglieder einer apostolischen Gemeinschaft, einer spirituellen Vereinigung: Diese Menschen bilden das Ohr der Kirche, in einer oft lauten und hektischen Welt, sie sind am Rande, nicht so sehr in den Schaltstellen von Entscheidungen und Macht. Es ist das „Prinzip“ von Maria und Josef, von Simeon und Hanna. Sie sind DA. Sie sind Hörende, Menschen voller Erwartung und Sehnsucht. Alles erwarten sie von Gott her. Das ist das wichtigste. Sie geben Zeugnis von der Hoffnung der Kirche auf das Kommen des Erlösers. So sehr Jesus Christus in unserer Zeit gewesen ist, so sehr erwarten wir ihn in unsere Zeit hinein. Menschen, die sich Gott weihen, leben vom Rande her im Herzen der Kirche.
Wenige Menschen weihen sich heute ganz und gar Gott. Wie kommt das? Wir sind alle Kinder unserer Zeit, auch wenn wir uns zum Gott geweihten Leben gerufen fühlen. Da sind Zweifel, ob der Ruf echt ist, da sind Fragen an das persönliche Durchhaltevermögen, da sind Fragen an die Gemeinschaften, an denen sie interessiert sind: Das sind auch keine Heiligen, nur ganz normale Menschen. Mit denen soll ich zusammen leben, beten, arbeiten?
Da sind Fragen an die Entscheidungsfähigkeit: Was muss ich lassen, was werde ich gewinnen? Entscheidungsfreudigkeit mit der Bereitschaft zum Risiko scheint in unserer Zeit, in der es für alles eine Versicherung gibt, nicht ausgeprägt zu sein. „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“, sagt das Sprichwort. Hundertprozentige Entscheidungen gibt es nichts. Perfektes ist nicht von Gott, sondern, so meine ich, vom Teufel – der sich gerade darin als „Spielverderber“ erweist. Wer nichts wagt, der könnte zu sehr auf sich selbst als auf Gott vertrauen.
Dann ist da die Frage nach der Dauer, nach dem „ewig“: In unserer Gesellschaft ist nur mehr weniges auf Dauer angelegt, alles ist zeitlich begrenzt: Der Beruf und der Arbeitsplatz, der Wohnort, die Partnerschaft. Wer weiß, was morgen ist? Halte ich aus, halte ich durch?
Simeon und Hanna waren da, sie fragten nicht nach „Erfolg“, sie fragten nicht danach wahrgenommen zu werden, sie fragten nicht, ob sie überhaupt bemerkt würden. Sie waren da, sie standen vor Gott, sie teilten mit ihm ihr Leben, vorbehaltlos, fraglos, weil sie ganz von Ihm, von ihrer Sehnsucht nach Ihm, von ihrer Hoffnung auf Ihn erfüllt waren. Das war ihr „Leben in Fülle“ –das Jesus uns verheißen hat.
Wenn heute die meisten Ordensleute nicht mehr in ihren Tätigkeitsfeldern von Erziehung, Schule, Krankenpflege tätig sind – eine Folge des mangelnden Nachwuchses und der Überalterung der Gemeinschaften (auch da sind Klöster Spiegel unserer Gesellschaft), dann sollte das nicht traurig sondern vielmehr zuversichtlich stimmen: Zeit zu haben für das Hören auf Gott, Zeugnis zu geben von der Hoffnung, die uns trägt, die Sehnsucht Gott hinhalten.
Und eines Tages, unverhofft, wird ER erfahren, so wie es Simeon und Hanna erfuhren, als sie ganz alltäglich ihre Hoffnung lebten. Gott gab sich ihnen zu erkennen in dem Kind, das in den Tempel gebracht wurde.
Leben wir Hingaben, weihen wir uns Gott, ein jeder auf seine Weise, seien wir aufmerksam darauf, wie Gott sich uns zeigen will. Seien wir mutig im Hören und im Befolgen des Rufes Gottes – dann werden wir erfahren, dass Er uns in seine Freiheit hinausführen wird. Amen.
2014-02-02
Abt Friedhelm Tissen OSB