Gründonnerstag-Gedanken zu einem Glasfenster von Ernst Jansen-Winkeln
„Brot des Lebens“
Buntglasfenster gehören fast so selbstverständlich zu unseren Kirchen wie das berühmte „Amen“. Sie sind Ausdruck der Freude an der Farbigkeit der Welt und des Glaubens. In ihren Bild-Erzählungen sind sie Verkündigung des geglaubten Glaubens ihrer Auftraggeber und ihrer Schöpfer. Manche Fenster fallen durch ihre Klarheit und ihre Stellung im Kirchenraum ins Auge und irgendwann auch ins Bewusstsein. Andere führen mehr ein Leben im Verborgenen. Sie müssen ent-deckt werden, - sei es, dass ihre Erzählung dem heutigen Menschen nicht mehr geläufig ist, - sei es, dass sie an einer Stelle des Kirchraumes angebracht sind, wo man sie nicht im „Vorbei-Schauen“ anschaut. Man übersieht sie leicht. Und doch lohnen vielleicht gerade sie ein Ansehen, das uns zu neuer Einsicht führt.
Ein verborgener Fenster-Schatz in unserer Abteikirche ist das Christus-Fenster in der Sakramentskapelle. Die Weg- und Blickrichtung des Besuchers zielt klar und eindeutig auf den Tabernakel. Wer vom Sakraments-Querhaus in den Chorraum geht, muss sich nach links halten. Das Fenster aber ist rechts, - ganz vorne in der Kapelle, - hinter dem Bogen, der in den eigentlichen Sakramentsbereich führt, geschützt und „versteckt“.
Wenn man aber auf das Fenster aufmerksam wird, dann fällt es dem Betrachter als Solitär in der Reihe der anderen Fenster der Kirche auf. Dominieren in ihnen die Farben Rot und Blau, so sticht in diesem Fenster einmalig die Farbe Grün hervor.
Mit der Darstellung Marias in der Chor-Rosette und den Darstellungen Gottvaters und des priesterlichen Christus in den Fenstern der Eingangsfassade verbindet das Christusfenster der Sakramentskapelle eine hieratisch konzentrierte, nahezu steif wirkende Haltung des Abgebildeten. Sie fällt in unserem Fenster umso mehr auf, weil das Bild nicht von anderen Darstellungen und Fenstern umgeben ist und der Betrachter ganz nahe an das Fenster herantreten kann. In ikonenhafter Würde und Distanz thront Christus vor dem Besucher. Der Blick seiner großen Augen schaut hinaus in endlose Weite.
So weich die langen Haare fallen, - so weich das Gewand sich an den Körper schmiegen mögen, - so rund sich das Fußkissen präsentiert, - diagonale Linienführungen lassen Herbheit als Grundgefühl aus dem Bild heraustreten. Die Herrscherkrone ist in ihrem Stirnreif mit drei runden Gemmen in blau geschmückt und zentral mit den Rundungen eines Dreipasses gekrönt, aber der Seitenschmuck sind spitze Dornen. Dieser Christus schmeichelt sich nicht ein. Er biedert sich nicht gefühlig an.
Das Untergewand, die Tunika, des Christusherrschers ist in Brusthöhe und im Bereich der Unterschenkel mittig mit je zwei großen Medaillons geschmückt. Zwei einzelne Medaillons links und rechts außen der Bildmitte können als Kopfenden des Thronstuhls gedeutet werden.. Verbindet man diese Medaillons in der Senkrechten und Wagrechten so ergibt sich ein lateinisches Kreuz. In seinem Schnittpunkt – und genau in der diagonalen Mitte des Gesamtfensters - ruht die linke Hand Christi und hält ..., - ja, was hält diese Hand?
Das Christuskind der Marienrosette der Kirche trägt den Reichsapfel in seiner Hand. Das Königszepter ist in diesem Zentralfenster der Kirche Maria zugeteilt. Auf unserem Fensterbild ist es nicht der kreisrunde Reichsapfel, der in der Linken Jesu ruht. Die Rechte hält auch nicht das Zepter, sondern ist im klassischen Redegestus erhoben (... den wir oft als Segensgestus deuten). Dieser Christus lehrt etwas über die königliche Gabe in seiner Linken.
Die Form und die Einschnitte auf dem, was Christus recht handlich in der Hand liegt, deuten es als einen kleinen Brotlaib an. Da dieser Bereich der Kirche seit Planung und Bau als Sakramentsbereich genutzt wird, liegt ein thematischer Bezug der Fenstergestaltung zur Eucharistie nahe.
Die strenge Zurückhaltung der Gesamthaltung des Christus findet sich auch in der Hand, die das Brot hält, und damit im Brot selbst wieder. Es ist nicht das Letzte Abendmahl dargestellt, - nicht das Brotbrechen mit den Emmausjüngern, - Jesus reicht das Brot nicht dem Betrachter. Er hält das Brot, - fast schützend hält er es, - er hält es uns nicht leichthin hin, so dass wir nur zugreifen müssten. Gewissermaßen bevor er es mit den Worten „Nehmt und esset alle davon“ der Gemeinde reicht, spricht er mit dem Betrachter über dieses Brot.
Ich für mich deute das Fensterbild als sinnenhafte Verbildlichung des Anteils Christi in dem Dialog, den er mit mir über dieses Brot führen will. Bei aller objektiven Belehrung über die Eucharistie, die dieser Christus mir durch die Heilige Schrift und die Botschaft der Kirche zuteil werden lässt, stellt er hier darüber hinaus die ganz persönliche Frage: Wie hältst DU es mit der Eucharistie? Was bedeutet sie dir? Welche Wirkung traust du ihr zu und welche Wirkung lässt du durch sie an dich heran?
Der herbe Christus des Fensters in der Sakramentskapelle unserer Abteikirche erfragt meine ehrliche Antwort. Sie zu geben, ist nicht leicht. Sie zu suchen, führt in die Tiefe des Glaubens. Die Antwort wird nicht unverbindlich, gefällig schön sein. Sie ist ein Alphabet vieler kleiner Schritte. Sie trägt die herbe Kraft der Verwandlung in sich.
Abt Albert Altenähr OSB
2004-03-30