Das Karfreitagsbild vor meinem Schreibtisch
„Schweißtuch der Veronika“, ein Gemälde nach F. Ittenbach
Von meinem Schreibtisch blicke ich auf ein Ölgemälde aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert „Schweißtuch der Veronika“. Signiert ist es „nach Ittenbach“. Das Bild ist mir von meiner Patentante zur Priesterweihe geschenkt worden. Sie selbst hat es aus dem Erbe eines Bruders meiner Großmutter erhalten. „Onkel Josef“ war Priester in Münster und ist 1941 gestorben. Meine Mutter und meine Tante haben während des Studiums bei diesem Onkel gewohnt und manche Geschichte erzählt, wie das Leben unter der Autorität des gestrengen Onkels ablief und wie die jungen Damen diese Strenge gelegentlich mit Hilfe der verständnisvollen Haushälterin austricksten. Nach der Priesterweihe habe ich das Bild zunächst bei meiner Mutter gelassen und es erst recht spät nach Kornelimünster geholt. Natürlich ist das Bild ein Kunstwerk – man kann aber auch über seine Qualität trefflich streiten -, aber eigentlich ist es mir etwas ganz anderes: Teil meiner Familien- und Lebensgeschichte.
Franz Ittenbach wurde 1813 in Königswinter geboren und starb 1879 in Düsseldorf. Er zählt zu den namhaftesten Vertretern der Düsseldorfer Nazarener-Schule. Seine Motive sind ausschließlich religiösen Themen gewidmet. In seiner Zeit hat er hohe Anerkennung gefunden, weil er das damalige religiöse Fühlen in seinen Bildern offensichtlich kongenial spiegelte.
Das Bild vor meinen Augen malt in kräftigen Brauntönen den Christuskopf mit einer Dornenkrone. Der Kopf ist auf ein gefaltetes Tuch in hellen braunigen Erdtönen gemalt. Die vier Faltkanten des Tuches teilen es in neun Quadrate auf. In seiner Faltung erinnert dieses Tuch an ein Korporale, wie es der Priester als unmittelbare Unterlage für den Kelch und die Hostienschale bei der Messfeier braucht. Die Faltung ergibt darüber hinaus ein Kreuz, in dessen Mitte der Christuskopf positioniert ist.
Der Gesichtsausdruck des Dornengekrönten ist nicht so sehr durch äußere Qualen schmerzverzerrt, - der Schmerz liegt mehr in den Augen, die den Betrachter fragend und traurig anschauen. Es sind sehr sprechende Augen und ihre Worte sind in zwei Texten im oberen und unteren Drittel des Bildes auch ausformuliert. „Populus meus quid feci tibi? /aut in quo contristavi te?/ responde mihi. – Mein Volk, was habe ich dir getan, womit nur habe ich dich betrübt? Antworte mir.“ und „Ego dedi tibi sceptrum / regale et tu dedisti capiti / meo spineam coronam. – Ich habe dir ein Königszepter in die Hand gegeben, du aber hast mich gekrönt mit einer Krone von Dornen.”
Die beiden Texte sind den sogenannten Improperien zur Kreuzverehrung in der Karfreitagsliturgie entnommen, – sehr alten Gesängen, in denen Gott / Christus dem Volk Vorwürfe wegen seines Verhaltens macht. In der Vollform sind die Improperien seit 1474 belegt, – in den Ursprüngen gehen sie aber weit ins 1. Jahrtausend zurück. Der erste Vers auf unserem Bild ist in diesen Improperien die immer wiederkehrende Rahmen-Antiphon. Ist mit dem Thema des Schweißtuches das Bild schon in die Kreuzwegtradition eininterpretiert, so wird mit den Improperien-Versen sein Karfreitagscharakter noch einmal unterstrichen.
Nur wenn man nahe an das Bild heran geht - und dann eigentlich auch nur rechts vom Christushaupt - erkennt man die feine Zeichnung einer Henne (eines Pelikans?) mit einigen Küken. Während im Text der Improperien des Karfreitags auf die Gottestaten des Alten Testamentes zurückgegriffen wird, liegt hier eine neutestamentliche Bildvariante der Vorwürfe gegen das Volk vor, die nicht in den liturgischen Text eingeflossen ist. Im Matthäus- (23,37) und Lukas-Evangelium (13,34) hält Jesus Jerusalem vor: „Jerusalem, Jerusalem, du tötest die Propheten und steinigst die Boten, die zu dir gesandt sind. Wie oft wollte ich deine Kinder um mich sammeln, so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt; aber ihr habt nicht gewollt.“
Warum schreibe ich das alles und gebe es dazu noch anderen zum Lesen? Interessiert das überhaupt jemanden außer mich selbst? Und außerdem: das ist ja alles recht nett und vielleicht sogar interessant, aber ist es ein geistlicher Impuls zum Karfreitag?
Die Fragen sind nicht von der Hand zu weisen. Aber vielleicht nehmen Sie darin die Anregung wahr, Dinge, die Ihnen richtig Alltags-vertraut sind, noch einmal neu anzuschauen. Ich habe beim genauen Hinschauen das mir seit Urzeiten vertraute Bild neu entdeckt und es in diesem genauen Hinschauen als Karfreitagsbild dieses Jahres neu „gewonnen“. Das ist wirklich ein Gewinn, - und auch ein geistlicher Gewinn!
Ich wünsche Ihnen einen gewinnenden Blick auf das Vertraute, der ihm die Patina des Gewohnten nimmt. Das macht reich und erhält jung. Es bereitet Freude.
Abt Albert Altenähr OSB
2005-03-18