Apostolin für die Apostel
Maria von Magdala
Am Ostermorgen gehen die Frauen zum Grab und finden es geöffnet und leer vor. Ein Engel deutet ihnen die Situation mit der überraschenden Botschaft: er ist nicht hier, - er ist auferstanden, - sagt das den Jüngern und sagt ihnen auch, sie sollen nach Galiläa gehen: dort werden sie ihn sehen.
Im Johannesevangelium wird diese Erzählung des Ostermorgen-Schreckens und seiner (Er-) Lösung in die Osterfreude hinein ausdifferenziert und hineinkristallisiert in eine ganz und gar persönlich-intime Christusbegegnung. Maria von Magdala bleibt in der Nähe des Grabes. Sie ist hineingebannt in die Leere, die das Grab ausstrahlt. Das leere Grab breitet sich als innere Leere mehr und mehr in ihr selbst aus. Man hatte ihr den lebendigen Halt und Inhalt ihres Lebens genommen und ihn gekreuzigt. Nun hat man ihr auch noch den Toten genommen. Wer sich von einem vertrauten Toten nicht verabschieden kann, weiß wie belastend das ist. Er weiß, wie schwer damit der Abschied von dem Lebenden wird. Gräber sind wichtig. Sie gewähren dem Schmerz des Verlustes Ort und Raum. Nicht zu wissen, wo unsere Toten sind, das ist ... „tödlich“.
Maria von Magdala läuft nicht weg. Sie hält das leere Grab aus. Sie hält ihre eigene Leere aus. Sie spricht sie vor den Engeln aus und schreit sie in den Himmel hinein: „Man hat mir meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wohin man ihn gelegt hat.“ Und als sie jemanden trifft, der ihre Tränen sieht, hält sie ihm ihre Not hin: „Wenn du ihn weggebracht hast, dann sage mir, wohin du ihn gelegt hast. Dann will ich ihn holen.“
Maria hat sich in ihrem Schmerz nicht verschlossen. Sie ist nicht zu. Und wenn sich doch alles in ihr zugeschnürt hatte, so hat sich der Schmerz in den Tränen und in den Worten Bahn gebrochen und ist ins Licht getreten. Ihre Tränen und Worte kommen ganz von innen heraus. Ein Haufen tröstender Worte wäre in dieser Situation wie ein Stochern in offener Wunde. Nur eines kann ihr helfen: ein weites, - ein „offenes Wort“, in das die Tränen und und der Schmerz sich ergießen können und aufgefangen werden. Der Gärtner vom Golgata-Garten findet dieses eine Wort: er spricht sie mit ihrem Namen an: „Maria“.
Ich habe mich oft gefragt und frage mich immer noch und immer wieder, was das Geheimnis dieses Namens-Wortes in dieser Szene ist. Warum brachte es eine Saite ins lebendig-neue Klingen, die erstorben war? Es kann nicht die Buchstabenfolge und der Allerweltsklang des Rufnamens sein, der Maria ansprach. Es muss der Klang des Ernst-genommen-Werdens, - des Dasein-Dürfens in ungebändigtem Schmerz und unbändiger Sehnsucht, - der Klang einer wortlosen, aber wertvollen Umarmung gewesen sein, - etwas in dieser Richtung. Weil und indem Maria sie selbst sein durfte und konnte, füllte sich ihre Leere mit ihm. Sie erkennt ihn: „Rabbuni“.
Sie will den Licht-Blitz, ihn gefunden zu haben, festhalten, aber sie muss erfahren, dass das nicht geht. Sie war mit ihm gegangen, durch Galiläa, Samarien und Judäa, - von Magdala am See Genesaret nach Jerusalem. Aber Jerusalem mit seinem Tempel, dem Garten Getsemani und Golgata waren nicht sein Ziel. Sein Ziel war es, die Menschen zum Vater zu führen. Sein Ziel waren die verlorenen Schafe Israels, die einen Hirten und Vater suchen. Nur wenn Maria seinen Weg weitergeht, erhält sie dauerhaft, was sie nicht festhalten kann.
So macht sie sich denn auf den Weg zu denen, die Weg und Ziel verloren haben – wie sie selbst. Sie geht zu den Jüngern und wird ihre Seelsorgerin und – nach einem Wort des Augustinus – Apostolin der Apostel. Sie bringt ihnen in ihre Dunkelheit das Blitz-Licht, das sie getroffen, aufgeschreckt und auf den Weg zu ihnen gebracht hat: So geht Leben im Glauben! So geht Leben mit Christus! So geht es: ... wenn wir von dem erzählen, was uns berührt hat, - von dem, der uns bewegt. -
Der Evangelist Johannes, der uns die Szene im Garten Golgata erzählt, erzählt noch eine Reihe anderer Begebenheiten, wie den Jüngern ein Licht – oder besser das Licht neuen Lebens aufgeht. Er erzählt nicht, wie es dann weitergeht. Oder doch ...? Er lebt aus dem Licht, - er erlebt das Leben in neuem Licht, - er lebt das neue Leben. Sein Leben muss eine einzige Erzählung gewesen sein. Und an seinem Lebensende rafft er sich auf und schreibt auf, wie alles angefangen hatte. „Im Anfang war das Wort ...“ – und als alles unwiderruflich zu Ende zu sein schien, da durfte er durch die Botschaft der Maria von Magdala „Ich habe den Herrn gesehen“ die Geburtsstunde neuen Lebens erfahren.
Abt Albert Altenähr
2002-02-20