Zu Johannesevangelium 20,1–9
Sich abwenden vom Spalt der Grabkammer
Von Pfr. Wolfgang Acht, Aachen. Anlässlich der Heiligtumsfahrt 1986, die auch in Kornelimünster stattfand, entstand der Kartage- und Christuszyklus der Malerin Janet Brooks Gerloff, aus dem dieses Bild stammt. Der Zyklus hängt in den rechten Seitenkapellen der Abteikirche von Kornelimünster. Er weist in seiner Aussagekraft über die verehrten Heiligtümer hinaus (Tuch der Fußwaschung, Grabtuch und Schweißtuch aus dem Grab Jesu), weil er direkt auf die Passion Christi und ihre österliche Kraft hinweist. Das hier gezeigte Bild: „Schweißtuch Jesu aus dem Grab“, wird zur Deutung des heutigen Evangeliums.
Wir stehen mit dem Jünger direkt am leeren Grab. Ein Ritz gibt den Blick in eine Grabkammer und zu Tüchern frei. Man sieht einen hellen Stein vor der Grabkammer und das leuchtende Gewand des Jüngers. Nur die Hände und der Kopf sind farbig gefasst und werden zum eigentlichen Ausdrucksmittel. Ängstlich steht der Jünger da und versucht, den Spalt zur Grabkammer zu vergrößern, um mehr sehen zu können. Doch was sähe er, wenn er mehr Einblick hätte? Er sieht Tücher im leeren Grab liegen, den Leichnam des Herrn aber nicht. Es bleibt die erschreckende Leere, die die traumatische Erinnerung an Sterben und Tod des Meisters noch verstärkt.
Welcher Betrachter könnte nicht die Angst des Jüngers im Anblick des leeren Grabes verstehen? Der Gedanke an einen Raub ist verständlicher als der Glaube an ein neues Leben oder an Auferstehung. Die Hände des Jüngers sprechen Bände. Die eine will den Spalt vergrößern, um einen besseren Einblick zu gewinnen. Die andere scheint sich eher abwehrend am Stein festzuhalten. Was sollte er mehr als Leere und Schrecken über den doppelten Verlust durch Tod und Raub erwarten?
Umso verblüffender ist, dass in diesem Bild die Grabplatte und das Gewand des Jüngers in ein so helles Licht getaucht sind. Woher kommt dieses Licht? Das Gesicht scheint den hellen Schein der Umgebung noch nicht widerzuspiegeln. Die Entdeckung des leeren Grabes lässt eher an dunkle Machenschaften denken.
Mir ist, als sähe ich hier den Petrus. Das Evangelium sagt, dass er zum Grab geeilt ist, nachdem Maria aus Magdala betroffen erzählt hatte, man habe den Herrn aus dem Grab genommen und wisse nicht, wohin man ihn gelegt habe. Am Grab sieht Petrus alles bestätigt. Vom Jünger, der ihn begleitete, ist nichts zu sehen. Petrus ist dem Grab und Dunkel zugewandt, steht aber zugleich an der hellen Grabwand und ist mit einem leuchtenden Gewand bekleidet. Sein Blick ist dem Dunkel des Grabes zugewandt, doch es umgibt ihn helles Licht. Wird er es schaffen, sich vom Grab zu lösen und dem Licht, das auch das Grab- und Schweißtuch hell erscheinen lässt, zuzuwenden? Wird er dann mit dem anderen Jünger, der ihn begleitete, sagen können: „Ich sehe und glaube“?
Den neuen Blick gewinnt er nur, wenn er den Worten der Schrift Glauben schenkt. Sie sagt uns, dass im Kreuz Heil ist und der Gekreuzigte auferstehen wird. Wer das glaubt, dessen Blick fixiert sich nicht auf die Leere, sondern lässt sich vom Licht der Osterbotschaft anziehen.
Mich berührt daher das Bild. Es macht mir bewusst, wie sehr ich selbst noch auf das Sichtbare des Vergänglichen fixiert bin und wie wenig ich auf das Licht achte, das mir in vielen Begegnungen, neuen Einsichten, vor allem aber in der Osterbotschaft sichtbar wird. Wann löse ich mich vom Spalt des Todes und wende mich um, um das Licht Christi wahrzunehmen? Wann löse ich meine Hand vom Spalt der Grabkammer, um sie zu öffnen für den, der mir seine Hand reicht? Wann wende ich mich den Worten der Schrift zu, um in ihr zu entdecken, dass Gott von Anfang an auf das Leben gesetzt hat und es nie aufgibt, also auch an uns treu festhält?
Das Bild aus dem Bildzyklus von Janet Brooks Gerloff in der Abteikirche von Kornelimünster motiviert mich, diese erlösende, österliche Wende zu vollziehen und mich dem Licht, das Christus für uns geworden ist, zuzuwenden. Es gibt mir einen wichtigen österlichen Impuls, der mich dankbar macht.
Kirchenzeitung Aachen
Ostern 2006
2006-04-13
© Einhard-Verlag