Zu Johannesevangelium 11,44
„Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen.“
In der Erzählung von der Auferstehung des Lazarus heißt es am Ende: "Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen" (Joh 11,44). Auferstehung, Auferweckung kann so verstanden werden als ein Gelöst-Werden, als ein mich Lösen-Lassen. So sehr die Evangelien auf Jesus hin das Wort von der Auferstehung kennen, so wird ebenso das Wort von der Auferweckung verwendet. D. h. Ostern ist nicht so sehr ein aktives Tun, es ist ein Geschehen-Lassen. Geschehen-Lassen an Jesus, ebenso Geschehen - Lassen an mir! Aus der Passivität des Leidens und Sterbens in die Passivität des neuen Lebens hinein.
Neues Leben, österliches Leben wird geschenkt, wird an jedem, der glaubt, gewirkt werden. Im Sinne von Geschehen - Lassen ist Ostern unserer Zeit und unserem Empfinden eher fremd. Ich möchte selber bestimmen, was geschieht, ich möchte Herr über Raum und Zeit sein, ich will die Fäden in der Hand halten.
"Die Fäden in der Hand halten". Jesu Wort auf Lazarus hin: "Löst ihm die Binden." Ich soll die Fäden loslassen, ich soll das Heft aus der Hand geben, ich soll hinnehmen, dass neues Leben an mir geschieht. Loslassen, zulassen, geschehen lassen. Ein anderer handelt, ein anderer bestimmt, ein anderer gibt die Richtung vor.
Einem anderen, christlich gesprochen DEM anderen Raum in meinem Leben geben, dazu bedarf es neu des Mutes. Es bedarf der Zeit und des Raumes, in denen Christus in und an mir wirken kann. Wir Mönche versuchen im Chorgebet und in persönlicher Meditation dem Raum zu geben, Ihm Raum zu geben, Ihm Zeit zu schenken. Nicht irgendeine Zeit, sondern die besten Zeiten an den Eckpunkten des Tages. Es ist eine Freude zu erfahren, dass nicht nur Ordenschristen, sondern immer mehr Menschen "in der Welt" versuchen, Raum und Zeit zu verschenken an den Gott des Lebens, der seinerseits Raum, Zeit und Leben schenkt. Da wird erfahrbar, da wird erlebt, was wir in einem Lied aus dem Gotteslob singen: "Hilf Herr meiner Stunden, dass ich nicht gebunden an mich selber bin" (GL 622,3).
Nicht an mich gebunden sein ist eine kleine alltägliche Erfahrung von Ostern, mich heraus nehmen, mich lösen zu lassen aus der Vielfalt der Geschäftigkeiten, Verpflichtungen und Aktivitäten beruflicher sowie privater Natur. Die Fastenzeit war eine solche Zeit des Sich - Lösens, zu schauen, was wirklich bindend, notwendig und wichtig war. Die Osterzeit wird eine Fortsetzung dieser Erfahrung mit sich bringen. Gelöst von vielem Ballast in die Freiheit der Kinder Gottes immer tiefer hinein zu wachsen. Lassen wir uns lösen - und so erlösen.
Abt Friedhelm Tissen OSB
2009-04-06