„Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht“ (Bonhoeffer)
Vom Kerngeschäft des Christseins
Das Wort Bonhoeffers aus seinen Haftbriefen „Widerstand und Ergebung“ ist mir seit meinen Studienjahren bekannt, vertraut und einsichtig. Es ist zu wenig zu bekennen: „Es gibt (einen) Gott“. Unser Glaubensbekenntnis formuliert nicht: „Ich glaube, dass es (einen) Gott gibt“. Es bekennt sich zu einem Weg auf Gott zu und zu einer Beziehung zwischen mir und Gott: „Ich glaube an Gott …“
Was Bonhoeffer noch relativ vorsichtig zu Wort bringt, formuliert Karl Rahner mit dem - heute wohl provozierenden - Stichwort „Mystik“: „Der Christ von morgen wird ein Mystiker sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein.“ Ohne einen Abstrich von der Herausforderung dieses Satzes machen zu wollen, möchte die Aussage „der etwas erfahren hat“ umspielen.
Der Christ kann nur ein Morgen finden, wenn in ihm ein Feuer brennt und er nicht ständig mit einem Feuerlöscher herumläuft, um es zu löschen oder zumindest klein zu halten. „Der etwas erfahren hat“, sagt nichts darüber aus, wie viel der Mensch erfahren haben muss, um morgen bestehen zu können. Dieses „Etwas“ kann sehr wenig und doch zündend sein und sehr weit in die Zukunft tragen, wenn es mich im richtigen Moment an der richtigen Stelle richtig getroffen hat.
Mir will scheinen, dass den Mystiker sogar weniger das auszeichnet, was er in der Vergangenheit erfahren hat, als das Wegziel, zu dem er sich von dieser Erfahrung her aufgemacht hat. Diese Sehnsucht, die voller Verlangen nach einer je und je größeren Erfüllung auslangt, ist die Triebkraft lebendigen Glaubens. So großartig vielleicht auch der Anfang - die „Geburt“ - gewesen sein mag, es reicht nicht, die „Geburt“ als den unübertreffbaren Höhepunkt zu betrachten. Glaube, dem die Sehnsucht fremd geworden ist, lebt nicht mehr.
Die Formeln mögen wiederholt und wiederholt werden, aber ohne das Feuer der Sehnsucht sind sie erkaltet und der Glaubende ist in Gefahr an einer geistlichen Lungenembolie zu sterben.
In jüngster Zeit konzentriert sich mir das Glaubenssuchen in ein einziges Wort hinein, - in die Gottesanrede „DU“. In diesem „DU“ bergen und verbergen sich Erfahrungen dem Bereich des zwischenmenschlichen „du“. Aus „kleinen ‚du’s“ mit ihren Geschenken, Grenzen und Enttäuschungen ist das Langen nach einem -, nach d e m großen „DU“ gewachsen. Das Viele der theoretischen Glaubensarbeit fällt in das Eine der erlebten und ersehnten Beziehung zusammen.
Hier setzt meine Übersetzungs-„Arbeit“ der biblischen Botschaft an. Mein Ziel ist es nicht, sie in Verkündigung an andere zu übersetzen. Ich suche mich selbst als Adressaten zu entdecken und den Briefkasten des eigenen Herzens zu beschicken. Wenn dort etwas angekommen ist, dann habe ich etwas, - dann habe ich auch etwas zu sagen: „DU“. Das „DU“, das in mir Melodie ist, ist auch die Melodie, die nach draußen klingt.
Am Fest der Gertrud von Helfta, der großen Mystikerin des 13. Jahrhunderts (17. November), versuchte ich ihre Aktualität präsent zu machen. „Mystiker - das sind keine abgehobenen 'Typen'. Das sind Menschen, die Gott an sich heran- und in sich hereinlassen. Sie trauen sich, mit Gott auf DU zu stehen. Sie bekennen sich zu Gott und zu sich selbst. Sie sagen: 'DU, ich liebe dich.' Dazu, - zu solcher Mystik ist jeder Christ berufen - ohne Ausnahme.“
Eine solche Haltung macht verletzlich. Sie verzichtet auf äußere Rüstungen, die erlauben, alles aus nüchterner Distanz zu betrachten. Auf der anderen Seite schenkt sie die Freiheit vom aufgeblasenen „Drumherum“, das oft nur verbergen soll, dass „nichts drin“ ist.
Mir sind immer wieder einmal Menschen begegnet, von denen ich sagen würde, sie sind in diesem Sinn Mystiker. Ich habe sie als Reichtum und Schatz erfahren, weil sie durchsichtig auf Gott waren. Von ihnen kann es in der Kirche Gottes gar nicht genug geben. Sie sind ihre Zukunft.
Wenn unser Glaubenssuchen
in die Anrede „DU“ hinein
implodiert,
sind wir
angekommen.
Abt Albert Altenähr OSB
2006-11-18