Denke in Visionen – Handle in Schritten
Impuls beim Evensong 2019-09-29
1. Lesung : Offenbarung 21,2-5. 10-11. 18-19. 21-25
2. Lesung : 1 Könige 19,2-9. 11. 15-19
Ein Pilger ging eine Straße entlang und er kam an jemandem vorbei, der aussah wie ein Mönch und auf einem Acker saß. In der Nähe arbeiteten Männer an einem Gebäude.
„Du siehst wie ein Mönch aus“, sagte der Pilger. „Ich bin einer“, sagte der Mönch.
„Wer ist das, der an dieser Abtei arbeitet?“
„Meine Mönche,“ sagte der Mann; „ich bin der Abt.“
„Oh, das ist wunderbar“, sagte der Pilger. „Es ist so gut, eine neue Abtei wachsen zu sehen.“
„Wir reißen sie nieder“, sagte der Abt.
„Niederreißen,“ rief der Pilger, „warum das denn?“
„Damit wir die Sonne aufgehen sehen können“, sagte der Abt.
Die Steine fliegen, und der Diakon Stephanus singt: Ich sehe den Himmel offen, und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen.
Die Verfolgung des Diokletian wütet, und die Offenbarung malt: Ich sehe die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen; sie war bereit wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat.
Der Kirche fliegen die Brocken von Macht und Missbrauch, von offenen Fragen und Wunschträumen, von Maria 2.0, synodalem-Prozess-Streit in Deutschland, Heute-bei-dir-Zweifel im Bistum Aachen und was sonst noch immer um die Ohren, ... und der Blick nach vorn und nach oben ist verhangen. Hochrechnungen der Negatvtrends zeichnen ein düsteres Bild der Kirche 2060 in Deutschland und Europa. Und was wird mit Kornelioktav und Heiligtumsfahrt sein? … und mit unserer Klostergemeinschaft, ihren Gottesdiensten und Angeboten, dem Evensong-Erfolgsrezept, das auch heute die Kirche füllt?
Eine leise Botschaft flüstert aus dem Off: Elija, steck den Kopf nicht in den Sand. Du hast nicht nichts; einen Krug Wasser und einen Bissen Brot. Das ist zwar wenig, aber eben doch nicht nichts. Das ist etwas. Aus diesem Wenigen kann etwas, kann mehr werden. … und: träume den Traum, den Berg, den Gottesberg, Brotvermehrungen und das Weinwunder von Kana in Galiläa.
Elija tut, was die Botschaft ihm anregt. … den ersten Schritt, einen weiteren, ein Wegstück und noch eins, 40 Tage, 40 Nächte, bis die Nacht zu schwer wird und er sich in der Höhle verkriecht, Die Nacht der Zweifel und Mutlosigkeit hat ihn noch einmal eingeholt. Lohnt sich der ganze Weg überhaupt?
Und wie damals: die Stimme aus dem Off: Elija, der Berg! Das ist doch nicht die Höhle unten. Der Gipfel oben! Das war doch dein Sehnsuchtsziel.
Nimm noch einmal einen Bissen, einen Schluck Wegermutigung: Brot und Wein.
Und dann: Auf! Hinauf! Du wirst sehen.
Und bereits mit dem nächsten ersten Schritt, am Eingang der Höhle, die jetzt ein Ausgang ist, geschieht es ihm.
Es geschieht ihm eine poetische Gedankenrevolution.
Eine poetische Gedankenrevolution? Ja, es ist eine Revolution und sie ist Poesie.
Nicht der stolze Prachtbau des Petersdoms in Rom mit seiner stolzen Erbauer-Inschrift “Paul Borghese, der Römer”, nicht die großartigen Prachttheologien der wie-auch-immer-sich-verfestigten Kirchen sind das Reich Gottes. Das Reich Gottes lebt im Hauch des Windes, im Funkeln des allerersten Sonnenglitzerns am Morgen, im Funken deines Verlangens nach einem “Mehr als alles”.
Elija, atme diesen Hauch. Du wirst sehen: Dich durchatmet Er, der Herr, Reich Gottes.
Und Elija ging, … durch die Wüste zurück, … mit kräftigem Schritt, … mit poetisch weiter Perspektive., … mit dem Salböl der Zukunft im Herzen.
1552, 77-jährig begann der Bildhauer Michelangelo ((...heute wäre sein Namenstag…)) die Arbeit an einer Pietà für sein eigenes Grabmal. Er ließ im Laufe des Werdens die Arbeit liegen. Zum Ende seines Lebens griff er wieder zu dem angefangenen Marmorblock und suchte offensichtlich etwas ganz anderes daraus zu gestalten. Bis 10 Tage vor seinem Tod, 1564, hat er nachweislich daran gearbeitet.
Die Pietà Rondanini blieb unvollendet. Das macht ihre besondere Faszination aus. Sie spricht vom Abschied und vom Anfang. Sie weckt die Phantasie, daran weiter zu arbeiten. In ihrer Nicht-Vollendung lockt sie in die Frage, wie sie vollendet aussehen könnte. Sie spricht von mir und Gott.
Albert Altenähr