Der Mönch und das Gedicht
Sie waren von weit her gekommen, um das berühmte Kloster kennenzulernen und um sein Geheimnis auch in ihrer Heimatabtei lehren zu können.
Sie staunten über die Treue zu der alten Regel, bewunderten die Disziplin und Askese des Alltags, die Genauigkeit der liturgischen Riten, den Glanz der lateinischen Gesänge und den Kunstreichtum der Gebäude und ihrer Einrichtung.
Sie befragten den Abt und lobten ihn und das Kloster über die Maßen. Der Abt lächelte ein wenig und schickte sie zu dem alten Bruder Imker.
Die fremden Mönche wunderten sich, denn der Bruder war ihnen aufgefallen, weil er nicht so ganz in das Glanzbild des Hauses passte, das sie so schätzten. Er war zwar nicht ganz außer der allgemeinen Ordnung, aber doch hier und da und dann auch da und dort, … und so an vielen Stellen. Er passte nicht so wirklich in das Bild, das man überall so pries. So wunderten sie sich, dass der Abt sie gerade an diesen doch etwas anderen Bruder verwies.
Der Bruder saß bei seinen Bienenstöcken und träumte vor sich hin, … so schien es.
„Warum arbeitest du nicht? Warum stehst du nicht im Chor der Brüder? Was ist mit der heiligen Lesung? Heißt es nicht ‚Müßiggang ist aller Laster Anfang?’“
Er lächelte nur. „Hört ihr das Summen? Es ist voll göttlicher Poesie.“
Die Brüder aus der Ferne schauten ihn fragend an.
„Hört nur,“ sagte er erneut, „er singt Gedichte, er schreibt Geschichte und Geschichten, … und ich bin mitten drin.“ Und er lächelte.
Kopfschüttelnd kehrten die Besucher zum Abt zurück. Und auch er lächelte, als sie ihm berichteten. Ja, er lächelte.
„Bruder Imker ist weiter als wir. Er ist wichtig für unsre Gemeinschaft, dass wir nicht im polierten Glanz des Mönchseins erstarren. Er lebt bereits hinter dem Vorhang. Manchmal hebt der sich – Gott sei Dank! – auch für den einen oder anderen von uns.“
Verwirrt machten sie sich auf den Heimweg. Der Abt schaute ihnen lange nach und lächelte.
„Gut so. Ihr habt einen weiten Weg vor euch. Der Herr singe euch sein Lied in Ohr und Herz.“
Albert Altenähr
2016-08-05