Dietrich Bonhoeffer, Wer bin ich?
Eine Gedicht-Übersetzung
Bonhoeffer starb
vor 70 Jahren,
am 9. April 1945
Am 9. April 1945 wurde Dietrich Bonhoeffer im KZ Flossenbürg (bei Hof) gehängt. Bonhoeffer wurde im zivil-öffentlichen und im evangelisch-kirchlichen Raum Namensgeber von Straßen, Gebäuden, Einrichtungen. Sein Gedicht (es ist nicht sein bestes ...) "Von guten Mächten" ist als Lied in den Kirchen heiß geliebt. Ach ja, ... natürlich: ein Mann des Widerstands gegen das Nazi-Regime. Und im übrigen, ... nach 70 Jahren, ... "Geschichte", ...?
Die geistliche Herausforderung, die Bonhoeffer ist, wird kaum thematisiert. Die Popularität des Lieds "Von guten Mächten" seicht seine fordernde spirituelle Stärke eher ein, als dass sie sie fruchtbar macht. Herausragende Zeugnisse seiner bereichernden Kraft sind die Gedichte "Wer bin ich" (Juni 1944) und "Stationen auf dem Weg zur Freiheit"" (nach dem Hitlerattentat vom 20. Juli 1944).
Das Gedicht "Wer bin ich" zeigt einen zutiefst glaubenden Menschen, der, von Gott getragen, eine Ausstrahlung hat. Er weiß darum und bescheidet sie nicht in eine falsche Demut weg. Er sieht aber auch das andere: seine Fragen und Ungelöstheiten. Das macht ihn authentisch. Seine Freiheit ist es, sich weder in das eine noch in das andere zu verkrampfen, sondern sich los und fallen zu lassen: "Wer ich auch bin, dein bin ich, o Gott."
Dem Bonhoeffer-Gedicht habe ich eine "Übersetzung" angefügt, eine aktualisierende Interpretation in meine eigene Lebenswirklichkeit als Mönch, der unter Brüdern lebt. Vielleicht schmeckt dieser Versuch nicht. Vielleicht bringt er auf den Geschmack, eine eigene "Übersetzung" an- und durchzudenken..
Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich träte aus meiner Zelle
gelassen und heiter und fest
Wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.
Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar,
als hätte ich zu gebieten.
Wer bin ich? Sie sagen mir auch,
ich trüge die Tage des Unglücks
gleichmütig, lächelnd und stolz,
wie einer der Siegen gewohnt ist.
Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?
Oder bin ich nur, was ich selbst von mir weiß?
Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,
ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,
hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,
dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,
zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,
umgetrieben vom Warten auf große Dinge,
ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,
müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,
matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?
Wer bin ich? Der oder jener?
Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?
Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler
und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?
Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer,
das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?
Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott,
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott.
Dietrich Bonhoeffer
Die Übersetzung ins Eigene:
Wer sind wir? Sie sagen uns oft
wir seien als Gemeinschaft
freundlich, offen und warm –
ganz anders, als man Mönche sich denke.
Sie sagen uns oft
so viel Gutes,
dass unsere Herzen erröten
im Bad der Rückmeldungen.
Sind wir wirklich, was andere von uns sagen?
Oder sind wir, was wir selber von uns erfahren?
Lauernd und giftig, neidisch und störrisch,
jeder für sich, nichts vergessend und verzeihend,
launisch, murrend, tratschend,
lechzend nach gleißendem Lob,
routiniert in Worten, verdunkelt im Herzen,
müde und leer zum Beten, zum Lieben, zum Leben?
Sind wir diese oder jene?
Heute so und morgen ganz anders?
Oder gleicht, was in uns ist,
dem flüchtigen Heer nach Gottes schon gewonnenen Sieg?
Wer sind wir? Schenk uns deinen Blick auf uns,
dass wir mit deinem Erbarmen uns sehen.
Wer wir auch sind, dein sind wir, o Herr!
Albert Altenähr
(2014-03-05) 2015-04-08