Gottes Dienst an den Menschen
Gebet und Gottesdienst der Menschen
zum "Heute-bei-dir"-Prozess im Bistum Aachen
Ich bin Benediktiner – seit 58 Jahren.
In der Regel des Ordensgründers findet man den weit bekannten Satz, dass dem Gottesdienst nichts vorgezogen werden soll (RB 43,3). Über seinen unmittelbaren Kontext hinaus – es geht um die Pünklichkeit bei den Gottesdiensten -, gilt der Satz als eine Kernaussage zum Charisma des Ordens: Benediktiner pflegen die Liturgie in ihrer hohen Form. Dieses Kerncharisma klingt auch in dem Motto auf, das man allgemein dem Orden zuschreibt: „Ora et labora – Bete und arbeite“. Die Erwartung, dass die Benediktiner aus diesem Kern heraus vor allem den Gregorianischen Choral pflegen (sollten), gehört ebenfalls zum verbreiteten Verständnis der Menschen, die sich eine Vorstellung von uns machen, … und wir Benediktiner haben uns mehr oder weniger ja auch selbst stark mit den genannten Punkten identifiziert.
Seit gut einem ¾ Jahr arbeite ich in der Teilprozessgruppe „Gebet und Gottesdienst“ des „Heute-bei-dir“-Prozesses des Bistums Aachen mit.
Die Gruppe war vom Erfahrungshintergrund, vom fachlichen Wissen, vom Alter, von den Zielvorstellungen etc. sehr heterogen zusammengestellt, ohne dass sie in ihrer Vielfalt – in qualifiziertem Sinn – als repräsentativ für die Bistumsvielfalt genannt werden könnte. Der Auftrag, den „Ist-Zustand“ für Gebet und Gottesdienst zu erheben, war eine Grenze, die zu bedenken ist, wenn man den Ergebnissen der Gespräche gerecht werden will. Lösungsvorschläge zu erstellen oder gar Beschlüsse zu fassen, gehörte nicht zum Auftrag. Eine quasi-wissenschaftliche Erhebung des „Ist-Zustandes“ war vom vorgegebenen Zeitrahmen und von der Zusammensetzung der Gruppe realistisch nicht zu erwarten. Bei allem offenen Blick für das weite diözesane Umfeld sind die Ergebnisse weitgehend sehr persönliche Akzente und Blitzlichter auf dies und das im Themenfeld „Gebet und Gottesdienst“. Ob die Gruppe den Kern der Frage getroffen hat, oder sich in Randfragen verheddert hat, wird sich jeder Teilnehmer und die Gruppe selbst fragen müssen. Entsprechende Fragen von außen an die Gruppe sind berechtigt, ohne dass eine eindeutige Antwort gegeben werden könnte.
Mir persönlich fallen drei Punkte auf, die ich als Fragen mit in die Arbeit der Teilprozessgruppe nahm, und von denen zumindest zwei auch während der Arbeit dort eher verstärkt als ausgeräumt wurden.
Die Frage nach „Gebet und Gottesdienst“ wird anscheinend vorwiegend als Frage gestellt: was kommt wie bei den Menschen an? Gott kommt in der Fragestellung praktisch nicht vor oder wird als so selbstverständlich vorausgesetzt, dass man darüber gar nicht weiter nachdenkt, geschweige denn, dass man ihn zur Sprache bringt.
Welche Rolle spielt Gott in Gebet und Gottesdienst? Lassen wir ihn selbst als Akteur dabei zu? Spricht er zu uns? Hat er gar das erste Wort, dem wir nur antworten? Oder ist er ein „passiv“ Hörender, vor den wir ausschütten, was uns gerade auf dem Herzen liegt?
Ist die Frage von Gebet und Gottesdienst wirklich dann gelöst, wenn wir Formen finden, die bei den Menschen ankommen? Müsste die Gottesfrage nicht viel deutlicher gestellt werden, … und zwar an die „Akteure“ auf allen Ebenen von Kirche und eines jeden Gottesdienstes? Es kann nicht in erster Linie und nahezu ausschließlich darum gehen, wie ich Gott „verkaufe“, sondern wer ist dieser Gott, den ich im Gottesdienst feiere, für mich?
Aus meiner frühen Arbeit mit Jugend-Gottesdienstkreisen begleitet mich die Erinnerung, dass ganz oft als erstes gefragt wurde: welches Thema soll der Gottesdienst haben, und bei dem dies und das der weiteren Arbeit wurde irgendwann auch gefragt, ob es dazu vielleicht eine passende Bibelstelle gebe. Die Bibel war nicht Ausgangspunkt der Überlegungen, sondern Schatztruhe für Belege eigener Thesen. Bis heute erlebe ich eine große Freiheit in Gottesdienst-Vorbereitungen, einen Bibeltext zugunsten eines „ansprechenderen“ modernen Textes zu opfern. „… muss denn wirklich ein Evangeliumsabschnitt drin sein?“
Die Bibel als Lehr- und Lernbuch für Gott, Gebet und Gottesdienst ist möglicherweise/anscheinend für den Christen ebenso über-selbstverständlich wie die Gottesfrage. Praktisch fällt sie in dieser Selbstverständlichkeit aber mehr und mehr aus dem Blick, reduziert sich nach und nach zu einigen religiös verbrämten Humanitätssätzen, und verfällt zum Steinbruch für mehr oder weniger passende Zitat-Garnierungen eigener Weltrettungsphantasien.
Größere Resonanz erfahre ich in meinem (klösterlichen) Gottesdienstumfeld und erlebte ich auch in unserer Teilprozessgruppe für das Desiderat von Ruhe und Stille. Ob dabei immer der Unterschied zwischen einzelnen „Stille-Aktionen“ und einer still-ruhigen Gesamtatmosphäre der Gottesdienste bewusst gewesen ist, muss man wohl offen lassen. Eine ruhige Gottesdienstfeier wird offensichtlich als positiver Gegenpol zur hektischen Alltagswelt gesehen. Zitat: „Von einer ganz normalen ruhigen Alltagsmesse ohne jedes Brimborium habe ich mehr als von groß inszenierten Feiern mit allem möglichen Schnick-Schnack.“
Im Rahmen ihrer Meister-Klasse bei den Richard-Strauss-Tagen in Garmisch-Partenkirchen (23-28.6.2019) gab die Sopranistin Dame Felicity Lott1 der FAZ (1.7.2019) ein Interview, in dem sie über ihre Arbeit formulierte, was – variiert – auch für die hier verhandelte Frage nach Gebet und Gottesdienst bedenkenswert ist: „Mit den jungen Sängerinnen beim Meisterkurs des Richard-Strauss-Festivals habe sie besonders an einem gearbeitet: ‚Text, Text, Text! Wenn man das Gedicht nicht versteht, begreift man das ganze Lied nicht. Alle Nuancen, alle Doppelbödigkeit ... sind bezogen auf den Text. Unsere Zeit ist aber so klangfixiert. Klang und Lautstärke – darauf kommt es den meisten an. Poesie entsteht jedoch im Leisen, in den Zwischentönen‘“2.
… „Klang und Lautstärke – darauf kommt es den meisten an. Poesie entsteht jedoch im Leisen, in den Zwischentönen.“ ...
Ruhe und Stille, die Botschaft der Heiligen Schrift, der dreifaltige Gott sind die Poesie von Gebet und Gottesdienst. Solche Poesie ist einerseits Arbeit, dann aber auch Lust-volles Vergnügen. Diesen Satz mag man belächeln, … man könnte ihm aber auch nachschmecken, … und so an Gott, Bibel, Gebet und Gottesdienst Geschmack finden.
Ich danke den Mitgliedern unserer Arbeitsgruppe, dass und wie sie mir in ihrer Unterschiedlichkeit ein guter Lernort waren.
Albert Altenähr
2019-07-04
2>> https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/richard-strauss-fest-16263378.html?fbclid=IwAR1wUFV8IFmGOt9eeR2BMghFEDo6s6VzARFSgqvw-ZJc7cSoQXJwB1MoWMQ
PS: Auslöser für die obige Reflexion war ein Echo zur Einladung zum Themenforum 2 des Hbd-Prozesses am 29.6.2019 auf der Facebook-Seite des Bistum. Der Kommentator fragte, ob denn wirklich so wenig bei den vielen Gesprächen der Arbeitsgruppen herausgekommen sei, wie ihn die Zusammenfassung vermuten ließ. Die kurze Zusammenfassung bekommt mit einer verkürzenden Wahrnehmung eine weitere Zuspitzung. Meine Überlegungen sind keine "große" Antwort, sondern eine persönliche Teilantwort, ... und das auch nur ansatzweise.