„Ich möchte beten lernen!“
Die Sehnsucht nach mehr geistlichem Leben und nach wirklichem Gebet beschäftigt die Menschen, die über den Horizont der Welt hinaus denken, wohl in jeder Religion und Kultur. Das nagende Gewissen, da nicht zu genügen, ist wieder-und-wiederkehrende Klage in geistlichen Gesprächen und fixer Anklagepunkt im persönlichen Bekenntnis. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eine breite Kluft. Je bewusster die Kluft wird, - je mehr der Frust über das Nicht-Gelingen wächst, desto mehr schwindet die Lust, es zu versuchen. Die Praxis lockert sich, - sie verdunstet, - sie erliegt der Schwindsucht. Und schließlich wird Gebet gar nicht mehr geübt und getan. Und wenn dann irgendwann doch in extremer Situation ein Gebet versucht wird, merkt man, dass man buchstäblich „aus der Übung“ ist. Man ist nicht mehr „drin“ und findet nichts mehr „dran“.
Die Kluft, - ja, die Kluft ist es, die das Beten so schwer macht. Die Kluft zwischen Mensch und Gott. Eine Hinüber-Sehnsucht von mir zu Ihm ist wohl da, aber ist sie schon Brücke, Hinüber-Weg und –Schritt? Ich bin ich und Er ist Er. Und: ich bin hier, - Er ist da, - ... dort, nicht hier. So scheint es mir immer wieder.
Vielleicht kann eine Geschichte unsere Gebetsfragen und Gebetsnot ein wenig klären helfen.
Meister, lehre mich den Bogen führen.
Vergiss das Ziel,
mache den Pfeil fliegen.Wie das?
Spanne die Sehne,
halte sie nicht.Aber …
Spiele die Sehne,
lasse sie los.Die Sehne tanzt,
der Pfeil fliegt.
Ein Lehrer des Bogenschießens hat mir einmal gesagt, dass die meisten seiner Schüler anfangs vor allem „treffen“ wollen. Der Treffer ins Schwarze gilt als Kriterium des Erfolgs. Was sie meist nicht könnten, sei die gespannte Sehne loslassen. Sie verspannten sich darin, den Bogen zu spannen, und seien zu gespannt auf den Treffer ins Schwarze. So gehe der Schuss „daneben“, selbst wenn er die Scheibe trifft.
Ist das Beten vielleicht so etwas wie ein Bogenschießen des Geistes? … die Gebetsgedanken und –worte so etwas wie die Pfeile?
Mache die Worte fliegen. Verspanne dich nicht darin, ob es denn alles „richtig“ sei, - ob es „tief“ genug und wirklich „authentisch“ sei. Tu und spiel deine Sehnsucht und ihre Worte. Sei Lehrling.
Ein Gedicht von Hilde Domin – in einer kleinen Variante – mag dazu ermutigen, unsere oft spröde und scheinbar so unvollkommene Gebetspraxis neu zu werten und trotz aller Fragezeichen nicht aufzugeben. Die Chancen des Gewinns sind allemal größer als das Risiko, „daneben“ zu liegen.
Das Gefieder der Sprache wagen
Worte sind Vögel
mit ihnen
davonfliegen
Albert Altenähr OSB
2010-02-10