In deine Hände …
Vom Loslassen am Abend –
und überhaupt
Unter den Allerwelt-Tag-Grüßen hat der einer „Gute(n)Nacht“ sicher noch am ehesten inhaltlichen Gehalt. Wir spüren das, wenn wir einem Kind am Bett diesen Gruß sagen und ihn dabei vielleicht noch mit einem Zeichen – einem Kreuzchen auf die Stirn oder einem Streicheln – begleiten. Der Gruß ist ein eigenes Loslassen des anderen und an Angesprochenen eine Einladung, den Tag und sich selbst loszulassen in die heilende Sphäre des Schlafes, der Nacht und – ausgesprochen oder auch nicht – in die Sphäre Gottes. Er möge vollenden, was wir unvollendet lassen mussten, und heilen, was uns aus dem Ruder gelaufen ist. Morgen ist Auferstehung in den neuen Tag, in ein Neues.
In deine Hände befehle ich meinen Geist,
Du hast mich erlöst, o Herr, du Gott der Treue.
(Ps 31,6)
Das große biblische Wort des Loslassens ist Ps 31,6 „In deine Hände befehle ich meinen Geist.“ F.-J. Hossfeld (Die neue Echterbibel) sagt zu diesem Vers: „Der Beter übereignet seinen Lebensgeist an JHWH – eine singuläre Aussage. JHWH wird damit zum verantwortlichen Hüter für das Leben.“ Bekannter ist uns der Vers wahrscheinlich als Wort Jesu am Kreuz aus der lukanischen Leidensgeschichte (Lk 23,45) bzw. - christologisch variiert – als Lebensschlusswort des Stephanus bei seiner Steinigung: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf“ (Apg 7,59).
Eine auch nur flüchtige Internet-Recherche zeigt, dass Ps 31,6 als Wort für Todesanzeigen oder als Thema für Traueransprachen bis heute große Bedeutung hat. Martin Luther hat den Vers auf seinem Sterbebett gebetet.
Bei der gerade genannten Recherche begegnete mir der Vers auch als Element des Abendgebetes. Den „großen Tod“ herunterzubrechen in die Alltagssituationen, zumal in die Stunde des abendlichen Tagesabschieds, ist nicht nur eine legitime Übung, sondern auch eine fruchtbare Hinübung zum großen Lebensabschied. Das „nunc dimittis“ des greisen Simeon im Tempel (Lk 2,29-32) macht uns in der Komplettradition des Stundengebets auf diese Verbindung aufmerksam.
Im übrigen sitzt nach wie vor Gott im Regiment
(Dietrich Bonhoeffer)
Das Wort Bonhoeffers hat sich mir als gedanklicher Solitär eingeprägt. Für den alten Lateinschüler spielt es mit dem Flair des „ceterum censeo“ Catos des Älteren (234-149 v.Chr.). Der fügte jeder seiner Reden im römischen Senat – zum jeweiligen Thema seiner Rede passend oder nicht – den abschließenden Satz an: „Ceterum censeo Carthaginem esse delendam – Und im übrigen bin ich der Auffassung: Carthago muss vernichtet werden.“ Dieses „ceterum censeo“ ist zu einem geflügelten Wort geworden, das eine Grundeinstellung des jeweiligen Sprechers wiedergeben soll.
Bonhoeffers Wort steht am Ende eines Absatzes eines Briefes vom 10. August 1944 an seinen Freund Eberhard Bethge. In dem Absatz geht es eingangs um die schwindende Kraft der Erinnerungen und die Voraussetzung der Dankbarkeit für kraftgebende gute Erinnerungen. Dann schreibt er: „Vor allem darf man sich nie vom Augenblicklichen auffressen lassen, sondern muß die Ruhe der großen Gedanken in sich bewahren und nach ihnen alles messen.“ Und am Ende schließlich unser Satz.
Das „Augenblickliche“ der Tage um den 10. August 1944 ist in den Satz Bonhoeffers ganz sicher sehr konkret einzubedenken. Da war das Attentat auf Hitler vom 20. Juli, das die Situation aller Häftlinge mit Widerstandsverdacht verschlechterte. Konkret war es die Hinrichtung des Berliner Stadtkommandanten, General Paul von Hase, eines Vetters von Bonhoeffers Mutter am 8. August. General von Hase hatte Bonhoeffer gelegentlich im Gefängnis besucht. Es ging auch das - falsche – Gerücht um, dass General Hans Oster, dem Bonhoeffer über die Arbeit für Admiral Canaris und insbesonders über seinen Schwager Hans von Dohnanyi sich das Leben genommen habe. Oster wurde mit Bonhoeffer und Canaris am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg hingerichtet.
Verdichtet und zugleich ausführlich findet sich die „augenblickliche“ Gefühlslage Bonhoeffers in seinem Gedicht „Stationen auf dem Wege zur Freiheit“ wieder. Ich datiere dieses Gedicht in die Tage um den 12. August 1944 (A. Altenähr, Dietrich Bonhoeffers Gedicht „Stationen auf dem Wege zur Freiheit“ als Theologie und Zeugnis, Studia Moralia XV, Rom 1977, 283-309). Für unseren Zusammenhang ist die dritte Strophe des Gedichtes mit der Überschrift „Leiden“ markant. Sie spricht vom Loslassen, von der Ergebung und der Übergabe der eigenen Vorstellungen an Gott.
Wunderbare Verwandlung. Die starken, tätigen Hände
sind dir gebunden. Ohnmächtig, einsam siehst du das Ende
deiner Tat. Doch atmest du auf und legst das Rechte
still und getrost in stärkere Hand und gibst dich zufrieden.
Nur einen Augenblick berührtest du selig die Freiheit,
dann übergabst du sie Gott, damit er sie herrlich vollende.
Bonhoeffers Wort ist kein Gebet. Nur indirekt ist es ein Wort des inneren Sich-Loslassens auf Gott hin. Es ist ein Versuch der Selbstvergewisserung und –bestärkung im Glauben an die Gottesherrschaft in schwieriger Zeit. Es ist Widerstand und Ergebung in einem und zwar in der Herbheit eines „ceterum censeo“.
Gott sitzt im Regimente / und führet alles wohl
(Paul Gerhardt)
Durch die Jahre verbindet sich mir Bonhoeffers „Im übrigen sitzt nach wie vor Gott im Regiment“ mit Ps 58,12: „Der Gerechte erhält seinen Lohn; es gibt einen Gott, der auf Erden Gericht hält.“ Der Gott, der Gericht hält, ist der, der im Regiment sitzt. Ps 58,12 scheint mir unter den möglichen Psalmworten besonders nah an Bonhoeffers Wort zu sein.
Diese vielleicht typisch benediktinische Psalmenkonzentration erweist sich insofern als Falle, als sie das Gewicht der protestantischen Lieddichtung für die sprachliche Verinnerlichung der Spiritualität im Protestantismus nicht hinreichend im Blick hat. Erst ganz frisch wurde mir bei einem Gespräch über Bonhoeffers Wort der wahrscheinliche Liedhintergrund der Formulierung vor Augen geführt. (Oder habe ich das früher durchaus einmal gewusst, aber dann ins Vergessen versinken lassen??)
Paul Gerhardts Lied von 1653 „Befiehl du deine Wege“ ein Akrostichon-Gedicht zu Ps 37,5 (Lutherübersetzung) - kommt am ehesten als unmittelbare Quelle für Bonhoeffers Wort infrage, genauer die siebte Strophe des Gedichtes Da ist zum einen das gemeinsame Stichwort von „Gott im Regiment“. Nicht der Mensch ist der Regent des Lebens und der Welt, sondern Gott. Zum andern ist der Kontext bei Paul Gerhardt das Loslassen von Schmerz, Sorgen, Tun erwähnenswert. Sehr schön ist dabei der Nachtgruß, der die Strophe einleitet und überhaupt der Abschied vom eigenen Regieren-Wollen, der Gott dann das Regiment überlässt. „Gib deinem Sorgen Gute Nacht.“
AUF, auf, gib deinem Schmerze
und Sorgen Gute Nacht!
Lass fahren, was das Herze
betrübt und traurig macht;
bist du doch nicht Regente,
der alles führen soll:
Gott sitzt im Regimente
und führet alles wohl.“
Und wenn die Welt voll Teufel wär
(Martin Luther)
Ob Bonhoeffer, ob Paul Gerhardt, beides ist „gut lutherisch“, bestens biblisch und darum – hoffentlich! – auch gut katholisch. Das „große“ Luther-Lied zu Psalm 46 „Ein feste Burg ist unser Gott“ hat die schöne Strophe:
Und wenn die Welt voll Teufel wär
und wollt uns gar verschlingen,
so fürchten wir uns nicht so sehr,
es soll uns doch gelingen.
Der Fürst dieser Welt,
wie sau’r er sich stellt,
tut er uns doch nicht;
das macht, er ist gericht’:
ein Wörtlein kann ihn fällen.
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Alsdann flugs und fröhlich geschlafen.
(aus Luthers Abendsegen)
Albert Altenähr
2014-01-13/16