„Weltverantwortung in benediktinischer Sicht gestern und heute“. Referat auf der Zisterzienserakademie Langwaden, 20.4.2002
Sapere Benedictum. Oder: Die Würze des Mönchtums
Jeder Arbeitstitel eines Referats hat seine Vorzüge und seine Nachteile. Im weiten Vorfeld der jeweiligen Tagung formuliert, verändern sich die Überschriftfarben im Laufe des Nachdenkens über das gewählte und formulierte Thema. Und ganz zum Schluss verändert sich der Arbeitstitel zu einer – hoffentlich lockenden – Überschrift. Aus der Larve des Arbeitstitels meines Referates über „Weltverantwortung in benediktinischer Sicht gestern und heute“ entpuppte sich so der bunte Schmetterling der neuen Überschrift: „Sapere Benedictum – oder: Die Würze des Mönchtums. Ein An-Denken über das Salz der Erde.“
Mich ermutigte in dem Arbeitstitel des Vortrags die Ansage einer „benediktinischen Sicht“. Da ist einerseits durchaus präzise der Horizont angezeichnet, aus dem heraus die Frage nach der Weltverantwortung beleuchtet werden soll. Andererseits ist die Formel „benediktinische Sicht“ offen genug, meiner ganz persönlichen benediktinischen Perspektive Raum zu gewähren. Ich spreche zu Ihnen als Benediktiner, aber nicht mit dem Anspruch, für die benediktinische Konfoederation insgesamt, geschweige denn für den Großraum des Geltungsbereiches der Benediktsregel zu sprechen. Das schenkt meinen Gedanken hoffentlich die Freiheit des Angreifbaren und vielleicht sogar gelegentlich des griffig Verkürzenden und Pointierenden.
Mir haben sich zum anderen das „gestern und heute“ unserer Themenformulierung farblich zur Frage nach dem „morgen“ benediktinischen Ordens-, Lebens- und Weltverständnisses gewandelt. Wie könnte und müsste unser benediktinische Botschaft dieses „morgen“ mitgestalten helfen. Nicht eine Bestandsaufnahme vergangener oder auch heutiger Weltdeutung und Weltzuwendung, sondern eher eine Zielperspektive des Benediktinischen für die Welt von morgen steht mir in den weiteren Gedanken vor Augen. Das Nachdenken darüber kann nicht mit einem Vortrag abgehakt werden, sondern sucht nach einer Auseinandersetzung in Widerspruch, Ergänzung und – wenn es denn fruchtbar werden sollte – nach einer Er-Innerung.
Und dann ist da in unserer Themenformulierung schließlich der Begriff „Weltverantwortung“. Um dieses Wort und seinen Inhalt soll es ja eigentlich gehen. Ich erlaube mir die gefährliche Frage, ob „Weltverantwortung“ – so wie sie wahrscheinlich auf die Schnelle verstanden wird – überhaupt eine benediktinische Kategorie ist. Weltverantwortung ist ein moderner Begriff. Wenn ich es recht sehe, dann lese ich eigentlich nirgends in der Regel Benedikts etwas von einer Verantwortung des Mönches gegenüber der Welt. Die Instanz, vor der sich der Abt – als Modell eines jeden seiner Mönche – verantworten muss, ist nicht die Welt, sondern Gott, vor dem er Rechenschaft ablegen muss.
Ich halte diese Blickpräzisierung und –variierung nicht für ein akademisches Glasperlenspiel, sondern sie ist für das benediktinische Lebensverständnis grundlegend. Nicht die Welt ist die Instanz, vor der Benedikt sich rechtfertigen muss, sondern Gott ist das Ziel, vor dem der Weltmensch und Weltmönch Benedikt sich gestellt sieht. Die in unserer Themenüberschrift leichthin genannte Weltverantwortung möchte ich als „Gottverantwortung der Welt“ neu umschreiben. Für den Mönch benediktinischer Prägung heißt das: Wie kann er diese Welt, die nicht einfachhin vor dem Tor seines Klosters beginnt, sondern die er selbst ist, auf Gott hin leben.
Wenn ich noch einmal unsere Arbeitsüberschrift anschaue und meine eigenen ersten Assoziationen dazu in den Blick nehme, was ist mir da in den Sinn gekommen? Was ist Ihnen, meinen Zuhörern, in den Sinn gekommen?
Papst Paul VI. hat 1964 Benedikt zum Patron Europas erhoben. Als taufrischer römischer Student war ich in Montecassino dabei, als er anlässlich der Wieder-Konsekration der Abteikirche diesen Titel unserm Ordensgründer verlieh. Inzwischen haben die Päpste die Europa-Patronate der Heiligen vervielfacht, was mich einerseits in die Bescheidenheit beglückt, mir aber andererseits die Frage nach dem Wert eines solchen Titels stellt. Wie dem auch sei: es ist die kirchen- oder liturgie-offizielle Anerkennung, dass Benedikt Europa – der Welt – etwas gegeben hat.
Was hat Benedikt der Welt gegeben? Zählen wir es – zumindest ansatzweise – auf. Da sind die Skriptorien, die die antiken Schriftsteller kopierten und wunderbare Handschriften schrieben und illuminierten. Da sind die Baumeister, die Kirchen und Klöster mit goldenem Blick für Gottes Herrlichkeit und menschliche Notwendigkeit schufen und mit reichem Bildwerk in Stein, Holz und Malerei schmückten. Da wurde gerodet und kultiviert, das Geheimnis der Kräuter und Essenzen entschlüsselt und für Heilkunst und Gaumenlust neu durchmischt, - die Lagen der Weinberge wurden durchschmeckt und bis ins Heute hinein mit dem Bonus „Klosterprodukt“ etikettiert. Die Kräuter-Mönche waren exzellente Destillier- und Braumeister. Sie waren die Apotheker und Ärzte des Mittelalters, - die Krankenstationen der Klöster Keimzellen des Krankenhauswesens. Da wurde Gebet in Liturgie hinein strukturiert und zelebriert, - nicht zu vergessen den zugleich herb-irdenen als auch esoterisch-schwebenden gregorianischen Choral. Die Klöster waren Schulen des Abendlandes und gaben als solche und in Schulen ihre Erfahrung und ihr Wissen in die Welt hinein. Die Aufzählung könnte und müsste verlängert werden. Sie könnte und müsste zugleich in die verschiedenen Jahrhunderte und Regionen Europas detailliert hinein buchstabiert werden
Ob glaubens- und kirchenintensiver Christ, - ob Kirchensteuerzahler, der nur noch ein Kultur-und gelegentliches Service-Christentum praktiziert, - ob bekennender Atheist, ... keiner, der durch Europa wandert, kann an diesen Zeugnissen benediktinischer Weltgestaltung vorbeigehen. Und wenn er es denn tut, dann geht er nicht an der Welt von gestern, sondern an der Welt heute vorbei, die ohne diese monastische Spur um mehr als eine Spur ärmer wäre.
Und wie geht es weiter? Zunächst: vieles geht weiter. Vieles lebt auch heute sehr lebendig. Die Welt darf dankbar dafür sein und wir sollen und wollen es weiter pflegen. Und doch: wie geht es weiter? Oder anders gefragt: Beantwortet das, was ich aufgezählt habe und vergaß aufzuzählen, die Frage nach der Weltverantwortung aus benediktinischer Sicht? Hat es das je beantwortet und beantwortet es die Frage der Weltverantworung der Benediktiner heute?
In der Mitte der 70-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gab es die Würzburger Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, die in vielen Punkte wegweisende Gedanken äußerte und leider nur in wenigen Punkten wirklich aufgegriffen und (v)erarbeitet wurde. In dem Beschluss „Orden“ hieß es damals:
„Geistliche Gemeinschaften erfüllen ihren Auftrag nicht schon dort, wo sie diesen oder jenen konkreten Dienst leisten. Was sie den Menschen vor allem schulden, ist ein geistlicher Dienst: Erhellung des Lebenssinnes, Glaubensermutigung, Zeugnis für Gottes Dasein und Liebe, eine Haltung der Selbstlosigkeit und Hilfsbereitschaft, des Vertrauens und der Hoffnung, ein Beitrag zur Achtung der Menschenwürde und zur Menschlichkeit des Lebens. ... Nur dort, wo die Gemeinschaften mehr sind als bloße Zweckverbände, können sie ein Ferment christlicher Menschlichkeit sein in einer Gesellschaft, die den Menschen immer einseitiger nach Leistung und Bedürfnissen beurteilt und verplant. Damit ist nicht einer Zweigleisigkeit, nämlich der Abtrennung des Grundauftrags von den Aufgaben der Zeit und vom Dienst am Mitmenschen das Wort geredet. Der Grundauftrag muss vielmehr in diesen selbst verwirklicht werden und erfahrbar sein. Das verbietet die Flucht in eine weltlose Innerlichkeit“ (Die Orden und andere geistliche Gemeinschaften. Auftrag und pastorale Dienste heute, 2.2.1 – 2.2.3).
Kritisch sei an den Schluss des Zitates die Frage gestellt, warum man eigentlich immer sehr schnell von einer „Flucht in eine weltlose Innerlichkeit“ spricht? Selten bis nie höre ich im kirchlichen Milieu die Warnung vor einer „Flucht der ‚Geistlichen’ in die geistlose Weltlichkeit“. „Geistlose Weltlichkeit“ wird zumeist nur der Welt angelastet. Man sollte m.E. genauso kritisch auf eine „geistlose Kirchlichkeit“ achten und vor der „Flucht in einen geistlosen Verkündigungs- und Sendungsaktionismus“ warnen.
Mein Akzent des Zitates aus der Würzburger Synode will aber betont die Notwendigkeit in den Blick rücken, den Grundauftrag nicht als selbstverständlich vorauszusetzen. Wenn man ihn nicht immer wieder in den Blick nimmt, dann verliert man ihn eines schönen Tages aus dem Blick. Worüber man weniger und weniger spricht, das ist irgendwann nicht mehr der Rede wert. Es wird zu einer quantité négligeable. In der Konsequenz eines vernachlässigten Grundauftrags und der vernachlässigten Innerlichkeit liegt die Aussage, die mir vor kurzem knallhart begegnete: „Den Sinn der Kirchen heute sehe ich lediglich in ihrem sozialen und caritativem Engagement.“ Wenn das so stimmen sollte, dann hätten wir Jesus Christus zu einem nützlichen Idioten zur Flickschusterei an der kaputten Welt herabgestuft. Mönche der benediktinischen Regelfamilie, die sich auf diese Nützlichkeitsschiene scheinbarer Weltverantwortung setzen ließen, würden untoten Wiedergängern gleichen, die vielleicht hervorragend funktionieren, die aber ohne Herz und Herzblut daher kämen.
Lassen Sie mich das Gesagte noch einmal – vielleicht etwas freundlicher – mit einer Geschichte sagen. Diese Geschichte will nicht dazu auffordern, alle Werke, in denen wir Mönche großes gewirkt haben und wirken, aufzugeben. Sie will uns aber einladen, uns immer wieder einen reformatorischen Perspektivenwechsel zuzumuten, damit wir nicht die Quelle verlieren, aus der der Strom fruchtbaren Wirkens gespeist wird.
Ein Pilger ging eine Straße entlang und er kam an jemandem vorbei, der aussah wie ein Mönch und auf einem Acker saß. In der Nähe arbeiteten Männer an einem Gebäude. „Du siehst wie ein Mönch aus“, sagte der Pilger. „Ich bin einer“, sagte der Mönch. „Wer ist das, der an dieser Abtei arbeitet?“ „Meine Mönche“, sagte der Mann; „ich bin der Abt.“ „Oh, das ist wunderbar“, sagte der Pilger, „es ist so gut, eine neue Abtei wachsen zu sehen.“ „Wir reißen sie nieder“, sagte der Abt. „Niederreißen“, rief der Pilger, warum das denn?“ „Damit wir die Sonne aufgehen sehen können“, sagte der Abt.
Wenn ich es recht sehe, dann war Benedikt kein Prophet schneller Weltzuwendung und vordergründiger Weltverantwortung. Er ging aus Rom weg, er suchte die Zurückgezogenheit des Sacro Speco oberhalb Subiacos und „habitavit secum – er war ganz er selbst, ganz bei sich“. Er war Weltflüchtling, ... aber die Menschen fanden ihn, der einen Schatz gefunden hatte, und er entzog sich ihnen nicht.
Wenn ich die Regel Benedikts recht lese, dann propagiert Benedikt durchaus nicht das Ausschwärmen seiner Mönche in die Welt. Ihr Ort sind die „claustra monasterii“ (RB 4,78) und im Kloster soll es alles Notwendige geben: „So brauchen die Mönche nicht draußen herumlaufen, was ihren Seelen ja durchaus nicht zuträglich wäre“ (RB 66,7).
Wo hat da die Weltverantwortung ihren Platz?
Eine erste, einerseits weit vor-benediktinische, aber zugleich durch und durch benediktinische Antwort so lauten: So weit sich der Mönch auch aus der äußeren Welt zurückzieht, die Welt begleitet ihn bis in den letzten Fluchtwinkel hinein, denn er selbst ist und bleibt Welt. Wenn das stimmt, dann darf auch wohl der Umkehrschluss gelten. Indem der Mönch einen anderen Weg sucht, verändert er das Kräfteparallelogramm der Welt, - ... der ganzen Welt! Wenn wir die Botschaft Jesu von der kleinen Zahl ernst nehmen, dann ist dieser eine nicht nur nicht wenig, sondern als Salz der Erde und Licht auf dem Berg sehr viel. Wir brauchen weder viele Mönche noch große Klöster, das einzige, was wir brauchen sind gute Mönche und Mönchsgemeinschaften. Wir brauchen Mönche, die Mönche sind. Sie allein haben Strahlkraft, ein Licht in die Welt auszusenden.
Aus dem benediktinischen Regelschatz möchte ich in diesem Vortrag nur zwei Gedanken in die „Weltverantwortung“ unserer Arbeitsüberschrift hinüberbuchstabieren.
(1) Im Prolog der Regel heißt es: „So wirst du durch die Mühe des Gehorsams zu dem zurückkehren, von dem du dich in der Trägheit des Ungehorsams entfernt hast“ (RB Prolog 2). Es ist hier von Gott und der Sünde die Rede, von Gehorsam und Ungehorsam. Das klingt fromm, ist fromm und damit sehr schnell von sehr vielen mit dem Stempel des Obsoleten ad acta gelegt. Aber ist in diesem frommen Kontext nicht eine Meta-Botschaft verborgen, die ich fast als ur-menschlich und in diesem weiten Rückblick als ur-religiös bezeichnen möchte. Wenn ich nur einige Worte aus dem Zitat auslasse, dann klingt es gar nicht mehr „fromm“, geschweige denn „kirchen-fromm“ oder gar frömmelnd: „... zurückkehren zu dem, von dem du dich entfernt hast.“ Mir scheint, das ist eine durchaus weltnahe Sprache und der angebotener Inhalt will mir keineswegs weltfern erscheinen.
Was hier angeboten wird, ist ein Paradigemenwechsel weg vom immer schnelleren Fortschritt in das Halt der Besinnung und in die Um- und Rückorientierung auf die tragenden Werte. Es ist ein Paradigmenwechsel von der Ideologie, das jeweilige Heute als den höchsten Stand der Offenbarung anzubeten, zur radikalen Anfrage, ob wir nicht ganz anders denken und leben müssten, um auf der Höhe des Heute zu sein und an der Schwelle der Zukunft zu stehen. Es ist ein Paradigmenwechsel von der Mode zur Moderne.
Ich bin mir bewusst, dass es wohlfeil ist, den Fortschritt an Komplizierungen des Lebens zu beklagen und zu verteufeln und dass es unendlich schwer ist, sich als Kind des Heute sich aus diesen Kompliziertheiten auszuklinken. Aber es ist nicht zu leugnen, dass die Welt auseinandergefallen ist in ein Durcheinander von Mikadostäbchen, denen die zusammenbindende Hand genommen ist. Und wir leiden unter diesem Mikado-Durcheinander, das wir nicht in den Griff bekommen.
Ein globales Beklagen der nicht mehr greifbaren Komplexität und ein globales Einklagen eines Paradigmenwechsels ist eine Sache. Die Konsequenz daraus zu ziehen, ist eine andere. Sie wird und kann nur eine Sache der Individuen, konkreter Einzelner sein. Das setzt eine mutige Einfalt („simplicitas“) voraus, gegen den Strom zu schwimmen. Es ist ein Ausdruck der Lebenssehnsucht und der Lebenskraft. Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom, sagt ein chinesisches Sprichwort. Wo das gewagt und nicht im geheimen Kämmerchen versteckt wird, da wird bei Begegnungen eine Lebensfrage geweckt und Anschluss gesucht. Das ist keine These und keine Behauptung, sondern eine Erfahrung. Ein biblisches Bild für die Fruchtbarkeit des gelebten Einzelzeugnisses ist die Prise Salz und die kleine Menge Sauerteig, die weite Wirkungen zeigen.
Benedikt konkretisiert den Paradigmenwechsel im programmatischen Eingangswort seiner Regel: „Höre!“ Das lateinische „obsculta“ oder „ausculta“ lässt deutlich erkennen, dass Benedikts Anliegen eine „auris cultivatio“ ist, - eine Kultivierung des Ohres und eine Kultur des Hörens. Erhellend für das Gemeinte ist die biblische Erzählung vom Traumwunsch des jungen Königs Salomo. Im Traum hat der junge König einen Wunsch frei und er bittet um ein hörendes Herz, damit er sein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht (1 Kön 3). Salomo ist sprichwörtlich geworden. Weil er um solches Hören gebeten hat, ist er „salomonisch“, - ist er er selbst geworden.
Wie im Traum des Salomo ist auch bei Benedikt das Herz das Organ des Hörens. „Neige das Ohr deines Herzens“ fordert der Prolog der Regel. Inzwischen klingt es fast billig als Kalenderblatt-Weisheit, wenn man Saint-Exupéry variiert: „... man hört nur mit dem Herzen gut“. Vielleicht sollte man es darum ein wenig weniger „schmalzig“ sagen. Das Hören wird dort zu seiner vollen Wirklichkeit gelangen, wo die Wurzel der Sehnsucht und der Nöte erreicht wird. Diese Wurzel wird im gelungenen Hören auf die Chance der Zukunft, - des positiv Entwicklungsfähigen abgehorcht.
Ein weiter vertiefender Hinweis des Regelprologs zur Hörkultur ist das Wort aus dem Psalm 95 „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht“ (RB Prolog 10). Seit den Zeiten der Abfassung des Hebräerbriefes (Hebr 3 u. 4) ist das Wort „Spiritualitäts-notorisch“. Es geleitet den Beter des kirchlichen Stundengebets als Impuls, wirklich mit Gott zu rechnen, in jeden Tag hinein. Eine jüdische Frage, wann denn „heute“ sei, öffnet dem Wort eine noch einmal neue, eine meta-temporale Tiefe. Die Antwort auf die Frage lautet: Heute ist, wenn ihr seine Stimme hört. Das heißt in meiner Lesweise: der Mensch ist dann ganz da, - auf der Höhe der Zeit, - auf der Höhe seiner selbst, wenn er im Hier und Jetzt die Ansprache / den Anspruch Gottes wahrnimmt. Die Regel Benedikts und die religiöse Tradition überhaupt nennt das „Leben in der Gegenwart Gottes.“ In nicht-religiöse Sprache übersetzt würde das in etwa heißen: ein Fundament finden, auf dem ein Standpunkt eingenommen werden kann. Oder in die Sprache der Musik übersetzt: die Sicherheit des Kammertons entdecken, von dem aus das Spiel der Lebensmelodien sich entfaltet.
(2) Der zweite Regelgedanke, den ich ins Blickfeld rücken möchte, ist die Kehrseite des gerade ein wenig ausgefalteten über die Hörkultur. Ich nenne ihn der kontrastierenden Einfachheit halber in diesem Zusammenhang: Redekultur. Wer einen Lese-Streifzug durch die Regel Benedikts macht, wird an den verschiedensten Stellen Hinweise auf das Wort und seinen Gebrauch finden. Einige Zitate aus der biblischen und monastischen Weisheitsliteratur in der Regel Benedikts sind mir persönlich besonders lieb geworden. „In multiloquio non effugies peccatum – Bei vielem Reden entgehst du der Sünde nicht“ (Spr 10,19; RB 6,4; 7,57). „Vir linguosus non dirigitur super terram – Der Schwätzer hat auf Erden keine Richtung“ (Ps 140,12; RB 7,58). Und schließlich „Sapiens verbis innotescit paucis – Den Weisen erkennt man an der Kürze seiner Rede“ (Sextus, Enchiridion 145; vgl. Sir 20,5.7; RB 7,61).
Die alte Vätertradition kennt die Kurzverkündigung. Die Menschen kamen zu den Altvätern und baten sie: „Gib mir ein Wort“. Und die Väter antworteten mit der Würze der Kürze. Ihre kurze Rede sagte etwas, denn sie hatten etwas zu sagen. Ein Rhetorik-Trainer sagte mir vor kurzem: „Ob Sie etwas rüberbringen, entscheidet sich in den ersten 15 Sekunden ihrer Ansprache. Die Botschaft sind Sie selbst. Alles was Sie dann noch sagen, ist nur noch Ausdeutung dessen, was Sie in diesen Eingangssekunden rübergebracht haben oder auch nicht.“ Wenn ich diese moderne These mit der Praxis der Alten zusammendenke, dann übersetzt sich mir die Bitte der frühen Christen an die ersten Mönche in die Formel: „Abba, du bist überzeugend. Was ist dein Lebensgeheimnis? Zeige auch mir den Schlüssel, damit ich zu mir selbst finde.“ Pascal hat diese Verkündigungspastoral in das griffige Wort gefasst: „Rede nicht, wenn du nicht gefragt wirst, aber lebe so, dass man dich fragt.“
Mein Thema lautete: „Weltverantwortung in benediktinischer Sicht gestern und heute.“ Meine Antwort: Ich warne davor, sich – auf Teufel komm heraus! – durch dieses und jenes, ein Drittes und Viertes sich das Wohlwollen der Welt erschleichen zu wollen. Ich plädiere dafür: Mönche seid Mönche, ... und alles übrige wird sich ergeben, - ... wird euch dazu gegeben.
Ich möchte meine Ausführungen nicht mit einem moralischen Imperativ schließen, sondern Sie mit einem Schmunzeln in die Nachdenklichkeit entlassen und Sie damit ermutigen, meine Gedanken auf ihre Tragfähigkeit und mich selbst auf meine Glaubwürdigkeit zu befragen.
„Es war einmal ein weiser, alter Mann, der hatte viel vom Leben gesehen und manch gute und hilfreiche Antwort gefunden, die er hätte weiter geben können. Es kamen auch Menschen zu ihm, um ihn wegen seines hohen Alters und seines ehrwürdigen Aussehens zu bestaunen. Sie stellten ihm viele Fragen, aber er konnte ihnen nicht antworten. Denn es war keine Frage darunter, die zu seinen Antworten passte.“
Es ist sehr wohl möglich, dass Ihnen in diesem Referat der „weise, alte Mann“ der Geschichte begegnet ist. Allerdings bin ich erst 60 und der Weisheit letzter Schluss ist mir auch noch nicht gekommen. So hoffe ich, dass ich wenigstens in etwa Ihre Frage nach der Weltverantwortung in benediktinischer Sicht verstanden habe und meine Antwort ein wenig Ihrer Frage gerecht wurde. Wenn meine Antwort Sie mit mehr Fragen entlässt, als Sie vorher hatten, wäre das ein großer Erfolg. Es wäre mir ein Hinweis, dass ich Sie in ein neues Nachdenken über Ihre alten Gedanken geführt hätte.
Abt Albert Altenähr OSB
2002-04-08