Sr. Ruth Lazar OSB, Abtei Alexanderdorf
Referat am "Tag der Freunde 2014" der Abtei Kornelimünster
7. September 2014
„Eine arme Kirche für die Armen“? Die benediktinische Variante
„Ach, wie sehr möchte ich eine arme Kirche und eine Kirche der Armen!“
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde der Abtei Kornelimünster!
Eine heilsame Verunsicherung
Diese Worte aus den ersten Stunden des Pontifikats von Papst Franziskus ließen die Welt aufhorchen. Seither sind sie uns längst vertraut geworden aus Ansprachen und Interviews des Papstes, vorgetragen in immer neuen Variationen und mit immer gleicher Eindringlichkeit.
Es ist ja noch gar nicht so lange her – erinnern Sie sich noch, wie Sie reagiert haben, als dieser Appel Sie zum ersten Mal erreicht hat?
Vielleicht sprach und spricht er Ihnen – bis heute – aus dem Herzen, vielleicht waren Sie hocherfreut, empfanden Bestätigung: Das war schon lange fällig. Vielleicht haben Sie aber auch erlebt, dass Sie sich fragten: Was meint er denn damit?
Diese Frage beschäftigt inzwischen zahllose Autoren, die sie durchbuchstabieren, Antworten versuchen. Denn: Wir in unserem westlichen, vom Wohlstand geprägten Kulturkreis sind aufgeschreckt. Welche Konsquenzen kann das haben für die Kirche und das kirchliche Leben? Vielleicht fühlen wir uns selbst angesprochen: Was bedeutet das für mich? Muß das etwas für mich bedeuten?
Lob der Armut?
Lassen Sie es mich ganz einfach, aber mit allem Nachdruck sagen: Armut an sich ist kein Wert.
Armut gehört abgeschafft. Sie ist eine Wirklichkeit, ein Mangel, der die Unvollkommenheit der Welt sichtbar macht, das Unvermögen der Menschen, Glück und erfülltes Leben selbst zu schaffen. Das gelingt uns schon für uns selbst nicht, wir sind auf viele und vieles angewiesen. Das gelingt erst recht nicht in den großen Zusammenhängen, weil der Mensch zunächst immer sich selbst der Nächste ist. Dabei ist Eigentum an sich nichts Schlechtes, und ein Reicher ist nicht unbesehen ein Schuft. Umgekehrt ist ein Armer nicht von vornherein ein guter Mensch.
Wie kommt es nun, dass seit den Tagen des Franziskus von Assisi das Lob der Armut gesungen wird, und nie gänzlich an Attraktivität verloren hat? Der Bettler Franziskus, aus gutem Hause wohlgemerkt und deshalb sehr öffentlichkeitswirksam mit seiner Absage an die Welt, war für seine Zeitgenossen Protest und Provokation. Er hat an sich selbst den Widerspruch erlebt, der zwischen dem Reichtum seiner Familie und seiner Kreise, ja der Klöster und Kirchen und den Worten Jesu bestand. Davon gibt es viele: „Was sorgt ihr euch? Euer Vater weiß, dass ihr das alles braucht“, sagt er, „Wem wird all das gehören, was du angehäuft hast?“ – „Gib das Geld den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben“.
Es geht um diesen Schatz. Es ist nicht so, dass man Gott alles gibt – für nichts. Im Gegenteil, die Vergänglichkeit der irdischen Güter ist nichts im Vergleich mit dem Glück des Lebens mit Gott. Franziskus hat diesen Vorrang Gottes in seinem Leben auf seine Weise verwirklicht, er ist geradezu vernarrt in Gott und steht damit in der unzähligen Menge der Menschen, die ernst gemacht haben mit der Suche nach dem Himmelreich.
Benedikt und seine Klostergemeinde
Einer von denen ist viele hundert Jahre vor Franziskus der Abt von Montecassino – Benedikt. Auch er ist auf der Suche, und er gibt sich mit nichts weniger zufrieden als mit der Herrlichkeit Gottes.
„Unsagbares Glück“ stellt er in Aussicht für den, der im Glauben Fortschritte macht. Für die Mönche in seinem Kloster hat dieser Glaube die konkrete Gestalt der für alle geltenden Klosterregel. Bekanntlich hat Benedikt sein Mönchsleben als Einsiedler begonnen. Seine Lebensbeschreibung erzählt, dass er in dieser Zeit mit Lebensmitteln versorgt wurde. Auch er, aus gutem Hause stammend, läßt die Möglichkeiten, die sich ihm durch seine Herkunft boten, zurück. Wir können jetzt nicht die ganze Geschichte Benedikts erzählen, am Ende finden wir ihn in einem wohlgeordneten Kloster wieder. Die Benediktsregel, die dieser Ordnung zugrunde liegt, kümmert sich um das geistliche Leben der Mönche, um Fragen des Zusammenlebens und nicht zuletzt um wirtschaftliche Belange.
Woran orientiert der Verfasser sich dabei? Natürlich an der Bibel. Er findet sein Vorbild in der ersten christlichen Gemeinde, die sich nach der Auferstehung Jesu in seinem Geist in Jerusalem sammelt. Über die Verhältnisse dort berichtet im Neuen Testament sehr ausführlich die Apostelgeschichte. Dort lesen wir: „Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele. Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam.“ Und: „Es gab auch keinen unter ihnen, der Not litt. Denn alle, die Grundstücke oder Häuser besaßen, verkauften ihren Besitz, brachten den Erlös und legten ihn den Aposteln zu Füßen. Jedem wurde davon so viel zugeteilt, wie er nötig hatte.“ Beides hat Benedikt als Grundsätze in seine Regel übernommen.
Es gibt die Realität des Notleidens in der Welt – aber in der christlichen Gemeinde soll es einen Ausgleich geben, damit keiner Notwendiges entbehren muß. Die Mönche dürfen das alles vom „Vater des Klosters“, vom Abt erwarten.
Nicht Armut, sondern Gütergemeinschaft
Wir suchen vergeblich nach einem Armutsideal in der Benediktsregel. Es kann wohl – als Ausnahme − sein, dass das Kloster arm ist und deshalb die Mönche keine auswärtigen Arbeiter für die Ernte bezahlen können. Deshalb müssen sie dann selbst auf’s Feld und Sklavenarbeit verrichten. Benedikt ermuntert sie – nicht mit einem Hinweis auf die Schönheit der Frau Armut, wie Franziskus es später tut – sondern mit dem Hinweis auf die Apostel, die von ihrer Hände Arbeit lebten. Müßiggang ist für ihn „der Seele Feind“. Christen leben nicht in den Tag hinein auf Kosten anderer, weil sie es sich vielleicht leisten können. Sie stellen sich nicht über die anderen, sondern nehmen, auf ihre je eigene Weise, teil am Erbringen des Lebensnotwendigen, an der Gestaltung der Welt im Auftrag und im Verbund mit Gott, dem Schöpfer und Erhalter von allem. Dadurch werden Werte geschaffen, wird Besitz erworben. In benediktinischen Klöstern wird viel und meist auch effektiv gearbeitet. Wer sich in ihnen bewegt, stellt fest, dass sie Orte von Kultur und Ästhetik sind, gute Lebensräume. Das ist wichtig, eins der bendiktinischen Gelübde ist das der Beständigkeit. Man bleibt, soll Wurzeln schlagen, wie ein Baum, der in den Himmel wächst.
„Allen alles gemeinsam“ – diese Vorstellung hat in der Weltgeschichte schon viele in Bann gezogen. Der alte Traum von der Gleichheit aller, von umfassender Solidarität, vom Ende des Raffens und Übervorteilens scheint geradezu ur-menschlich zu sein. Ein faszinierendes Ideal. Wir haben es in der Urgemeinde von Jerusalem gefunden, und nicht nur Benedikt greift es auf, sondern bis heute gibt es Gruppen, die es – im großen oder kleineren Rahmen − damit versuchen.
Utopie und Realität
„Versuchen“ ist hier das richtige Wort. Es gibt Gefahren, wo Gütergemeinschaft praktiziert wird.
Ich bin in dem Teil Deutschlands aufgewachsen, wo es das „Volkseigentum“ gab. Dahinter stand ja die Idee, dass alles, was produziert wird, auch allen zugute kommt. Damit das funktionierte, gab es die Planwirtschaft. Was wird gebraucht im Land, was muss in welcher Menge hergestellt werden? Wohin das geführt hat, haben wir erlebt: Versorgungsengpässe, Verschuldung, Staatsbankrott. Weiterführende Bildung wurde nach den Erfordernissen des Staatsplans gelenkt, Eigeninitiative und Kreativität in Forschung und Lehre waren eingeschränkt. Wenn alle für das Gemeinwohl arbeiten, dann kann der einzelne sich wohl ein wenig zurücklehnen, die anderen werden es schon machen. Der Ertrag der Arbeit sinkt, es gibt für alle weniger.
Und: Wenn allen alles gehört, fühlt sich keiner verantwortlich. Es ist eine ganz alltägliche Erfahrung: Man behandelt die Dinge, die einem selbst gehören, anders, als das, was allen gehört. Was man sich erarbeitet hat, was man gegebenenfalls ersetzen muss, wenn es verloren wird oder kaputt geht, wird viel mehr gehegt und gepflegt. Das bezieht sich nicht nur auf Sachen, sondern auch auf Wohnraum und Gemeinschaftsräume oder den öffentlichen Raum, auf Arbeitsgeräte und -materialien.
Dazu kommt, dass sich erweist: Es liegt in der Natur des Menschen, Eigenes haben und verwirklichen zu wollen. Uniformität und Gleichheit ist nicht bis ins Letzte durchzuhalten.
Entschiedenes Nein zu Eigenbesitz im Kloster Benedikts
Wir können davon ausgehen, dass alle Ermahnungen, die in der Benediktsregel zu finden sind, sich auf Dinge beziehen, die es im Kloster von Montecassino wirklich gab. Das bezieht sich auch auf Missstände hinsichtlich der geltenden Gütergemeinschaft, zu der sich alle Mönche in der Profess verpflichtet haben.
Zwei Regelkapitel geben Auskunft: Im Kapitel 33 „Ob die Mönche etwas zu eigen haben dürfen“ wird sehr eindeutig eingeschärft: Gar nichts! Nicht die kleinste Kleinigkeit! − Ist das nicht hart, geht das nicht doch zu weit? Wie kann man so eine Forderung stellen?
Vergessen wir nicht: Es geht nicht um Armut im Sinn von Not leiden. Es geht darum, dass die Brüder im Kloster einüben, sich zu verlassen – auf den Abt, der für sie die Stelle Christi vertritt. „Sorgt euch nicht!“ Der Einzelne gibt seine Sicherungen auf, lässt keine Hintertür offen, sondern lässt sich ganz darauf ein, dass er von Gott, der im Oberen wirkt, alles Nötige erhält.
Und doch – es gibt sie, die Versuchung, für sich selbst zu sorgen. Da kommen Gäste, die einem eine kleine Freude machen möchten, da behält man etwas vom Zugeteilten zurück und sammelt sich einen nur kleinen Vorrat für die berühmten „schlechten Zeiten“, da ist es nur eben einfacher, Dinge selbst zu organisieren, die man erbitten soll, auf die man warten muss. Das Ideal „Allen alles gemeinsam“ wankt.
Die Benediktsregel gilt im Vergleich mit anderen Mönchsregeln als moderat, ausgewogen und maßvoll. Benedikt will alle im Boot haben, deshalb soll niemand über- oder auch unterfordert werden. In zwei Dingen ist er absolut kompromisslos: Eigenbesitz bei seinen Brüdern und „Murren“ – oft genug eben auch über so Alltägliches wie Essen und Trinken – gehen bei ihm überhaupt nicht. Beides sind für ihn Fehlhaltungen, „schlimme Laster“, von denen die Mönche ferngehalten werden müssen, wenn nötig auch mit Kontrolle und Strafen. Es geht um die Gemeinschaft: Für sich selbst sorgen und schlechte Stimmung machen, stören das Zusammenleben. Die Atmosphäre wird vergiftet. Der Bruder kommt aus dem Blick, und die Ausrichtung auf Gott wird behindert. Das, wozu man eigentlich im Kloster angetreten ist, wird zweitrangig. Also wird ein Riegel vorgeschoben. Der Grundsatz wird unmissverständlich dargestellt: Allen alles gemeinsam und keinem etwas Eigenes, was die anderen ausschließt.
Allen gerecht werden
Damit fällt aber nicht eine schwere Tür zu, sondern es schließt sich nach diesem 33. Kapitel im folgenden das Kapitel an „Ob alle in gleicher Weise das Notwendige erhalten müssen“. Auf den ersten Blick könnte das als das Einfachste erscheinen. Es gibt keine Unterschiede, jeder weiß was ihm zusteht, kann sich darauf einrichten und eine Strategie entwickeln, damit klarzukommen. Ist das gerecht? Oder arbeitet bei solcher Verfahrensweise nicht ein sehr unpersönlicher, herzloser Verwaltungsapparat? Dann wären die Empfänger nicht viel mehr als „Fälle“ oder Nummern, die man eben immer wieder abarbeiten muss. Wir haben es geradezu im Ohr – ein gelangweiltes, genervtes: „Der Nächste!“
Benedikt will nicht, dass es so im Kloster zugeht, weil er weiß: So handelt Gott nicht. Jeder und jede ist für Gott einmalig und kostbar, ist wert, als Person mit den je eigenen Fähigkeiten, Begabungen und auch Bedürfnissen wahrgenommen und bedient! zu werden.
Deshalb soll der Grundsatz gelten: „Jedem so viel, wie er nötig hat“. Auch dies hat, wie schon gesagt, sein Vorbild in der Urkirche. Was in der Apostelgeschichte als Bericht überliefert wird, soll sich im Kloster im Leben der Gemeinschaft verwirklichen. Deshalb muss der Verfasser der Regel es erklären und eine Ausführungsbestimmung geben. Und die ist wirklich genial und soll deshalb wörtlich zitiert werden: Wir sagen nicht, „dass jemand wegen seines Ansehens bevorzugt werden soll, was ferne sei. Wohl aber nehme man Rücksicht auf Schwächen. Wer weniger braucht, danke Gott und sei nicht traurig. Wer mehr braucht, werde demütig wegen seiner Schwäche und nicht überheblich wegen der ihm erwiesenen Barmherzigkeit.“
Welche Menschenkenntnis und Lebensweisheit steht hinter diesen Sätzen! Meine Damen und Herrn – so geht kann es im Kloster zugehen! So kann es kommen, wenn man sich angewiesen gemacht hat im Verzicht auf eigenen Besitz und die Möglichkeiten, die er bietet: Die eine Tugend ist gewonnen – und schon lauern neue Versuchungen − Neid, Hochmut, resignierte Traurigkeit, das gefürchtete Murren. Das kennen Sie vermutlich auch, es ist unter Geschwistern so, unter Arbeitskollegen, das geht bei allem so, wofür es mehr Bewerber als Plätze gibt und reicht hin bis zu der Frage nach der Vergabe von Organspenden an Schwerkranke. Es gibt viele Gelegenheiten, sich zurückgesetzt zu fühlen, wenn andere Entscheidungen treffen. Deshalb gebraucht Benedikt geradezu werbende Worte. Was er für alle will, ist, dass alle im Frieden sein können, sich nicht aufreiben müssen mit Grübeln und Fragen: Warum er oder sie und ich nicht? „Niemand soll verwirrt und traurig werden im Hause Gottes“, schreibt Benedikt. Das Notwendige soll im richtigen Maß und zur richtigen Zeit zur Verfügung sein. Die Bedürfnisse und Begrenzungen der Einzelnen werden nicht abgetan, man soll rücksicht nehmen. Und irgendwo sind doch auch wir alle irgendwo stark und brauchen irgendwo anders Ausnahmen und besondere Zuwendung.
Bei all dem ist klar: Es geht um das Notwendige, nicht um Luxus und ein üppiges Leben. Was über das Erforderliche hinausgeht, ist Überfluß und muß entfernt werden. Übersteigerte Ansprüche werden zurückgewiesen, wobei die Würde der Bittenden gewahrt bleibt. Sie werden nicht kleingemacht, weil sie diesen oder jenen Wunsch haben, der über das Normale hinausgeht.
Gewählte Armut als Alternative
Wer arm ist, hat nicht genug zum Leben. Das ist nicht erstrebenswert. Alles ist darauf ausgerichtet, wie das Notwendige beschafft werden kann. Davon werden alle Lebenskräfte in Anspruch genommen. Gaben und Talente bleiben unentdeckt und können sich nicht entwickeln, weil alles eingesetzt wird für die Beschaffung eines schmalen Lebensunterhalts.
Jesus sieht solche Armut nicht als Ideal an. Er fordert auf, mit den Armen zu teilen, damit sie ihrer Misere entkommen können. Er selbst hat als einfacher Wanderprediger gelebt. Dabei bekam er Unterstützung von verschiedenen Seiten. Wohlhabende Leute luden ihn und seine Jünger zum Essen ein, vermögende Frauen begleiteten ihn und versorgten ihn und die Seinen aus eigener Tasche. Ein Bankkonto legte niemand für ihn an. Am Beispiel Jesu sehen wir: Es reicht, es ist genug da, deshalb sind Rücklagen und Versicherungen, Anhäufung von Vermögen nicht wichtig.
Die erste der acht Seligpreisungen spricht es aus: „Selig, die arm sind vor Gott“. Das meint wohl: Gut dran sind diejenigen, die nach Gott Ausschau halten und alles von ihm erwarten. Hier erscheint eine Sicherheit und ein Vertrauen ins Leben, das in der Folge ermöglicht, in großer Freiheit auf materiellen Besitz zu verzichten. In der Geschichte der Kirche gibt es beeindruckende Beispiele dafür: Antonius in der ägyptischen Wüste, der am Anfang des Mönchtums steht, Franziskus, Klara, Ignatius von Loyola, Charles de Foucauld, den wir wieder in der Wüste finden. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie aus wohl situierten Elternhäusern kamen, dass ihnen die Türen der Gesellschaft offenstanden. Sie haben in Kindheit und Jugend eine grundlegende Sicherheit erfahren, waren gut gebildet und sind starke Persönlichkeiten geworden. So ausgestattet, war es ihnen möglich, in selbstgewählter Armut für Gott und die Mitmenschen da zu sein.
Und wenn Sie sich umschauen, ist das heute nicht viel anders. Wer geht denn in die Ashrams nach Indien? Wer engagiert sich in der Gemeinschaft von S. Egidio für die Menschen am Rand der Gesellschaft? Woher kommen die jungen Frauen, die bei den Schwestern von Mutter Teresa die einfachsten Dienste für die Ärmsten der Armen tun? Dafür braucht es eine Lebenskraft, die in der Sicherheit behüteter Verhältnisse heranwächst.
Einfacher Lebensstil als Chance
Anscheinend haben wir alle nicht diese besondere Berufung selbstgewählter Armut, sonst wären wir heute nicht hier. Ein schlechtes Gewissen wäre nicht angebracht. „Jeder hat seine Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so“ weiß Benedikt, als er das Maß des Tischweins für die Brüder festsetzt, mit einigem Zögern, wie er schreibt. Er gesteht den Wein, den er selbst als nicht passend für Mönche empfindet, den Brüdern zu, weil sie ihn eben gewohnt sind als das normale Tischgetränk des mediterranen Raums. Übersättigung oder gar Trunkenheit schließt er jedoch aus. Die Brüder sollen sich bescheiden, Maß halten. Gerade beim Wein wird deutlich, was ein Übermaß anrichten kann: „Wein bringt sogar die Weisen zu Fall.“ Und jeder von uns, der schon mal gegen die eigene Einsicht viel mehr gegessen hat, als er brauchte, weiß dass das einige körperliche Beschwerden und Unwohlsein verursacht.
Das richtige Maß, die weise Maßhaltung ist ein Markenzeichen der Benediktsregel. In unserer Welt, die uns Tag für Tag via Werbung das Glück verheißt im Mehr und Sofort und Besser und Größer und Schneller und Sicherer – und das alles in Superlativen! – da kostet das Maßhalten schon einige Mühe. Da ist es geradezu alternativ, mit dem zufrieden zu sein, was man hat, was noch funktioniert, was seinen Zweck erfüllt, auch wenn es nicht der letzte Schrei ist.
Einfachheit im Lebensstil meint nicht Bedürfnislosigkeit. Es geht vielmehr darum zu prüfen, was wirklich sinnvoll ist und gebraucht wird. Und wir alle, selbst im Kloster wissen spätestens im Hinblick auf Computertechnik, was es heißt, im Bann von den ständigen Neuentwicklungen zu sein. Vielleicht gehören wir nicht zu den Leuten, die beim Erscheinen eines neuen Telefons mit Schlafsack und Isomatte vor dem Eingang von Mediamarkt einen nächtlichen Schlafplatz belegen. Viele von uns wissen aber Bescheid, müssen sich positionieren: Ich brauche das nicht.
Alternativ sein in diesem Sinn ist lebensnah und hat dann nichts mit gemachter Einfachheit zu tun, die vielleicht gerade als chic gilt. Die kann recht teuer werden. Wieder ist das gute, das richtige Maß gefragt und die maßvolle Unterscheidung, in der Benedikt „die Mutter aller Tugenden“ sieht. Das braucht Übung, aber es lohnt sich. Bewusstes Sich-Nicht-Binden an die Dinge der Welt kann Freiheit schenken im Blick auf die wirklichen Chancen und Möglichkeiten des Lebens.
Kaufen macht nicht glücklich. Es kann sogar zur Sucht werden. Im Einkaufscenter mit Klimaanlage und Dauerbeschallung verbringt man viel Zeit, wobei man neben dem geplanten Einkauf noch für das eine und andere eigentlich Überflüssige Geld ausgibt. Diese Zeit kann man auch für einen Spaziergang im Park mit Bewegung und frischer Luft nutzen, für das Spielen mit den Kindern, für einen Besuch bei Freunden mit einem guten Gespräch, mit einem spannenden oder lehrreichen Buch, mit Musik oder was auch immer.
Sich Zeit nehmen für das sogenannte zweckfreie Tun macht zufriedener als die Jagd nach dem noch günstigeren Schnäppchen. Was vielleicht wie ein Verzicht aussieht, erweist sich in Wahrheit als Potential für Lebendigkeit und Freude.
„Eine arme Kirche für die Armen“
Kehren wir zur Ausgangsfrage zurück: Was ist damit gemeint?
Wenn wir uns diesen Wunsch des Papstes zu eigen machen und die arme Kirche fordern, dann sollten wir uns nicht damit aufhalten, andere zu beobachten, zu konstatieren, dass „sich“ etwas ändern muß. Wir dürfen uns selbst mit ins Spiel bringen, können selbst anfangen, z.B. damit, ab und zu das richtige Maß in den Blick zu nehmen. Denn alle Getauften sind Kirche und können „arme Kirche“ verwirklichen. Sie sind beteiligt an der Sendung Jesu, der gekommen ist, damit alle das Leben – in Fülle – haben. Hier kommt das „für die Armen“ zum Tragen. Mein / unser Lebensstil soll nicht auf die Kosten anderer gehen, etwa der Textilarbeiter in den maroden Fabriken auf dem indischen Subkontinent.
Das Bewusstsein, wie reich wir beschenkt sind vom Leben, bewahrt uns vor zerfressendem Neid auf andere und führt uns vor Augen, dass so viele in der Welt in so miserablen Verhältnissen leben und Hilfe brauchen. „Für die Armen“ das realisiert sich in ganz verschiedenen Weisen des Engagements.
Der unvergessene frühere Generalobere des Jesuitenordens, Pedro Arrupe, der auch der Obere unseres jetzigen Papstes war und ihn als solcher geprägt hat, sprach immer wieder ausdrücklich über die Option für die Armen. Im Hinblick auf die Verschiedenheit den Engagements formulierte er für seine Ordensbrüder folgendes:
- Alle Jesuiten müssen für die Armen arbeiten.
- Viele Jesuiten müssen mit den Armen arbeiten.
- Wenige Jesuiten (von Gott berufen und aus Gehorsam) müssen wie die Armen leben.
Setzen wir für „Jesuiten“ „Christen“ ein: Für die Armen, mit den Armen, wie die Armen. Da eröffnen sich unzählige Möglichkeiten.
Ich meine, eine Synthese von benediktinischer Maßhaltung mit allem, was damit verbunden ist, und ignatianischem Engagement im genannten Sinn wäre eine sehr gelungene Verwirklichung einer armen Kirche für die Armen.