Mönchtum für die Kirche
Überspitzt formuliere ich manchmal: unsere normalen Klostergäste sind weniger die sog. „guten Katholiken“, sondern mehr die mit der Kirche Unzufriedenen, die Distanzierten, die Fernstehenden und sie alle sowohl aus dem katholischen Raum als auch aus dem weiten Feld der protestantischen Kirchen und Freikirchen.
Vor kurzem wurde ich aus diesem Gästekreis auf einen Beitrag der US-evangelikalen Zeitschrift „Christianity Today“ aufmerksam gemacht: „Remonking the Church“. Wörtlich möchte ich das übersetzen: „Die Kirche rückmönchen“, etwas freier will ich es formulieren: „Das Mönchtum für die Kirche wiederentdecken.“ Das englische „remonk“ hat allerdings etwas, das mir in seiner Spitzigkeit und Präzision so gefällt, dass ich es in meinen aktiven Wortschatz aufnehmen will.
Bei all dem erinnere ich mich an die in jungen Weltklerus-Kreisen der Nach-68-er verbreitete Ablehnung der Vermönchung der Diözesanpriester. Diese Ablehnung ist mir – mit abnehmender Tendenz – bis in die 90-er Jahre hinein begegnet. Die „Emanzipation“ ging einher mit einer Ghettoisierung des Mönchtums. Frei nach F.W. Webers „Dreizehnlinden“ des 19. Jahrunderts hätte man damals formulieren können: „Geh ins Kloster armer Knabe, die Kirche braucht ganz andere Farbe.“
Der amerikanische Artikel ist evangelikal-freikirchlich. So wenig er expressis verbis gegen die Großkirche spricht, so sehr umgeht er die Tradition ihres Mönchtums und greift ins Alte Testament zurück, um bei den sog. Nasiräern Anknüpfungspunkte für die Vision des „Remonking“ der Kirche auszumachen - ... eine aus meiner Sicht bedauerliche Ausklammerung einerseits und eine recht dünne historische Anknüpfung andererseits. Dass ich selbst aus der Tradition des großkirchlichen Mönchtums komme, lässt mich andere Akzente setzen.
Die kirchliche Situation in meinem westeuropäischen Umfeld bis hinein in die Mikroklimazone der unmittelbaren Klosterumgebung, - die innerklösterlichen Fragen nach Sinn und Aufgabe unseres Dasein und die Begegnung mit den „Weltleuten“, die zu uns kommen, lassen Antworten suchen, formulieren und in der Praxis einüben. Das mir zugetragene faszinierende Wort vom „Remonking“ der Kirche ist dabei der aktuelle Auslöser für den folgenden Versuch.
Wie der heilige Benedikt seine Regel aus der Erfahrung vieler Klosterjahre geschrieben hat, so ist auch meine Antwort mehr eine Erfahrungsreflexion als eine Theorie. Die Botschaft des Mönchtums in der Kirche öffnet sich mir im benediktinischen Horizont und in der sehr persönlichen Weite und Enge des Verstehens und Deutens der Benediktregel, der Zeit heute und des Ortes Westeuropa.
Alltag und Alltäglichkeit
Anders als Benedikt selbst möchte ich nicht mit einem / dem „Programmwort“ der Regel beginnen, sondern mit einer diagonalen Lese der Regel, die die reale Klosterwirklichkeit Benedikts spiegelt.
Die Kirche müsste doch eigentlich ... Ein Kloster müsste eigentlich ... Ein Mönch müsste eigentlich ... Die Aussage, was denn eigentlich so oder so sein sollte, verstellt vor lauter Idealisierung oftmals das Wahrnehmen und Würdigen dessen was ist. Benedikt kennt durchaus das Argument des „eigentlich ...“, aber er hat die Augen offen für die Menschen, die er tatsächlich um sich hat. Und die waren damals – wie heute auch – keine „geborenen Heiligen“ und nicht einmal Mönche der „guten alten Zeit“, sondern Menschen des Hier und Heute mit den Stärken dieses Jetzt und Hier, aber auch mit seinen Schwächen.
Da sieht Benedikt, dass man den heutigen Mönchen / seiner Zeit nicht mehr das Gebetsquantum der Väter zumuten kann (RB 18,22-25). Eigentlich ist der Wein ja nichts für Mönche, aber das ist heute nicht mehr zu vermitteln. So soll man wenigstens nicht im Übermaß trinken (RB 40,6). Und eigentlich sollte ja das ganze Christenleben eine Quadragesima sein, aber weil das eine Überforderung wäre, soll man sie wenigstens in den 40 Tagen leben (RB 49,1f).
Benedikt kennt alle nur möglichen menschlichen Schwächen bei seinen Mönchen, vom oft erwähnten Murren, über störrische Rechthaberei, Neid und Gier, Geschwätzigkeit, Herumtreiben usw. bis zur geistlichen Lustlosigkeit. Jeder ist anders und der Abt muss die Eigenart eines jeden sehen und ernst nehmen (RB 2,31).
Er weiß, dass auch der Abt nicht gleichsam von Amts wegen der perfekte Mönch ist. Er muss sich immer hinterfragen, ob er seine Führung der Gemeinschaft an geistlichen Kriterien ausrichtet oder ob ihn andere Einflüsse und Vorlieben leiten (RB 2,12-15).
Alles in allem ist es ein sehr menschliches Gewusel, das Benedikt vor unseren Augen ausbreitet. Für den Betrachter von draußen ist es vielleicht nur überraschend, - für den, der sich einer Mönchsgemeinschaft anschließt, kann es schon erschreckend sein, wie menschlich, allzu-menschlich es in einer Klostergemeinschaft zugehen kann und oft tatsächlich auch zugeht.
Ein so gesehenes Kloster ist ein ungeschöntes Abbild der Kirche. Kirche beginnt nicht da, wo sie und jedes ihrer Glieder heilig ist, sondern sie beginnt da und so, wo und wie sie ist. Diese Ansage ist kein sanftes Ruhekissen, auf dem es sich gemächlich einrichten lässt. Ein Kloster weiß sich als Anfangs- und Anfänger-Gemeinschaft. Es ist in all seiner Brüchigkeit und Gebrechlichkeit aber auch davon überzeugt, dass es ein Ort ist, in dem Gottes Liebe sich Heimat und Wirkstätte sucht. Kloster – das ist eine Werkstatt Gottes. Mönche – das sind seine Werkstücke.
Gott lauschen
Erst jetzt will ich das erste Wort der Regel Benedikts, - das Programmwort, - seine Vision des gelungenen Mönches ins Spiel bringen: Höre, mein Sohn, die Weisung des Meisters und neige das Ohr deines Herzens.
Der Mönch ist – seiner Intention nach - ein Hörender, - oder vielleicht mehr noch: er ist ein Lauschender. Er streckt sich danach aus, in und hinter allen Klängen, die ihm zuströmen, den „Kammerton Gottes“ zu vernehmen. Durch alle Einzelstimmen und Einzelweisungen will er sich durchhören auf die Stimme, in der alles stimmig ist und die alles stimmig macht.
Drei Dinge sind mir in diesem Zusammenhang wichtig. Da ist zunächst die Anerkenntnis, dass vor allem menschlichen Agieren Gott schon der längst Handelnde ist. Als Hörender ist der Mensch einer, der einen Klang aufnimmt, der an ihn herandringt. Nicht wir machen die Musik, sondern Gott macht sie. Wir sind eingeladen, die Partitur zu lesen, um sie dann – reagierend – spielen zu lernen.
Diese Aussage ist mir wichtig geworden für mein Gebetsverständnis. Während mir vor Zeiten Beten vor allem – und eigentlich nur – das war, was ich Gott sagen möchte und ihm zu sagen habe, ist es mir mehr und mehr zu einem Hören geworden, was Gott mir sagen möchte. Gerade im Chorgebet der Gemeinschaft mit seinen Psalmen und anderen biblischen Texten wurde mir Gebet als Hör-Erleben Gottes deutlich. Im hörenden Psalmengebet wurde mir deutlich, dass der Mensch – also auch ich selbst – mit all seinen Brüchigkeiten vor Gott treten darf. Das ist Musik in den Ohren.
Die Botschaft vom Hören – oder eben die noch intensivere vom Lauschen – ist zum anderen Einladung, mich nicht auf das zu beschränken, was offen da liegt. Offen, - scheinbar offen – liegt zutage, dass Gottesbegegnung im Gebet geschieht. Benedikt spricht von der Allgegenwart Gottes, aber er will darüber hinaus seine Gegenwart besonders im Gottesdienst glauben (RB 19,1f). Diese Betonung „besonders im Gottesdienst“ darf nicht als Ab- oder Minderbewertung der Gottesgegenwart überall verstanden werden. Benedikt gewichtet die Alltags-Werkzeuge, - ja, den ganzen Besitz der Gemeinschaft „wie heiliges Altargerät“ (RB 31,10). Und auch in etwas so Profanem wie dem Geschäftsgebaren und der damit verbunden Preisgestaltung der Klosterprodukte soll Gott verherrlicht werden (RB 57,7ff).
Es gilt in diesem Sinn, die Melodie Gottes in allem und überall zu entdecken. Sicher wird uns das in den Weltdingen schwieriger sein als in Gebet und Meditation. Aber diese Schwiergkeit darf nicht zu einer Trennung und Verbindungslosigkeit des einen vom anderen führen. Das „ora et labora“ kündet nicht von einem unverbundenen Nebeneinander, sondern davon, dass die Oratio (Gebet) auch im Labor (Arbeit) zu suchen und zu finden ist, - wie auch umgekehrt der Labor (Arbeit, Mühe) auch der Oratio nicht fern ist.
Das Dritte, das mir wichtig ist, für mich wahrzunehmen und in Leben und Wort weiterzugeben, ist implizit im Bisherigen bereits angesagt. Die benediktinische Botschaft vom Hören zielt auf eine umfassende Sensibilität des Menschen hin. Es ist eine sprechende Welt von Geschichte und Gegenwart, vom schlicht Vorfindbaren und seinen transzendenten Gründen. Ihr wird Gehör gegeben. So kann sie zu Wort kommen und Sprachlehre werden.
Rhythmus und Wiederholung
Wer eine monastische Gemeinschaft besucht, begegnet durchwegs einer klaren Gebetsstruktur, um die sich der übrige Tag rankt. Zwei Gebetsschwerkunkte am frühen Morgen und am späteren Nachmittag sind die Ankerzeiten, weitere unterbrechen das Tagesgeschen kurzzeitig. So geht das tagein, tagaus. Leichte Zeitverschiebungen mag es zum Wochenende geben, aber der Grundrhythmus ist „früh am Morgen“ und „im späteren Nachmittag“. - ... und mal so richtig ausschlafen?
Die Gebetszeiten selbst sind ebenfalls so klar strukturiert, dass der aufmerksame Gast nach kurzer Zeit das Ablaufschema kennt. Psalmen und andere biblische Texte bilden das Schwergewicht. Dazu treten ein Hymnus und einige responsoriale Akklamationsverse. Die Struktur wiederholt sich täglich, die Texte wöchentlich oder in etwas größeren Abständen. Der Morgen beginnt immer mit dem Vers „Herr, öffne meine Lippen (= mich)“; der liturgische Tag wird schlussendlich „komplettiert“ mit einem stillen Weihwasser-Segen ... jahraus, jahrein. - ... und wo bleibt der „Kick“ der Abwechslung?
Es ist nicht zu leugnen, dass Rhythmus und Struktur weniger und weniger den Welt-Alltag prägen. Andererseits erfahren wir in Anfragen nach einer Kloster-Auszeit und von den Gästen, die tatsächlich zu uns kommen, dass das Hohelied von Mobilität und Flexibiliät seinen verlockenden Sirenenklang weitgehend verloren hat. Die Menschen spüren, dass ihre „Seele“ im Temporausch der Anforderungen auf der Strecke bleibt.
Mönchsklöster scheinen hier durchaus eine Chance zu haben, wenn sie eine gewachsene, gelebte und stimmige Liturgie zelebrieren und von ihr her den Tag und das Leben gestalten. Nicht die jeweils letzte Mode, sondern der Modus des liturgischen Vollzugs und seine Einbindung in das Gesamt des klösterlichen Lebens antworten der Sehnsucht nach dem Soliden und Stabilen. Der Rhythmus und die Wiederholung des Klosters vermitteln, dass man nicht alles und jedes immer wieder neu erfinden muss. Sie sind Antistressfaktoren, die mit jedem hochgepriesenen Programm „Slow down your Life“ mithalten können. Sie sind sowohl psychologische Tore in die Jenseitstiefe Gott als auch zur Ruhe gekommene Lava aus dieser Tiefe.
Es ist interessant, dabei zu beobachten, dass es durchwegs nicht ein einzelner Mönch ist, der „Kloster“ attraktiv macht, sondern dass das „Kloster an sich“ in seiner ganzen Komplexität von vielen Mönchscharakteren, dem Lebensrhythmus und dem gemeinsamen Gebet der Attraktivitätsfunke ist, auf den die Menschen anspringen. Das Kloster als ganzes ist die wichtigste Botschaft, die wahrgenommen wird. Zu ihr trägt jeder einzelne Mönch das Seine bei. Dieser Blick auf das „Kloster an sich“ hat als Konsequenz, eine klösterliche Pastoral nicht von den pastoral tätigen einzelnen Mitbrüdern her zu denken. Es muss eher umgekehrt gedacht werden, dass die jeweilige Ausprägung der Pastoral der Brüder durch ihre klösterliche Beheimatung durchformt ist.
Weganfang
Gängig ist das Wort vom Glaubensweg. Das Wort drückt in seinem Alltagsgebrauch aus, dass mein persönlicher Glaube unterwegs ist. Etwas anders liegt der Akzent, wenn die Apostelgeschichte den Glauben selbst als den (neuen) Weg (z.B. Apg 19,9.19) bezeichnet. Der Glaube ist nicht das Ziel, sondern der Weg in das Ziel: die Schau Gottes.
Der heilige Benedikt endet seine Regel mit einem Kapitel „Die Regel als Anfang unseres Weges zur vollen Gerechtigkeit“[1] (RB 73) und lässt es beginnen „Diese Regel haben wir geschrieben, damit wir durch ihre Beobachtung in unseren Klöstern eine dem Mönchtum einigermaßen entsprechende Lebensweise oder doch einen Anfang im klösterlichen Leben bekunden“ (RB 73,1). Die Regel Benedikts ist ein Anfangstext. Das Mönchsleben, das sie regelt, ist eine Anfängersituation. Natürlich ist Benedikts Hinweis ein literarischer Topos, aber er ist doch auch mehr. Es ist ein Hinweis, dass die reiche Tradition der Mönchsväter und die Heilige Schrift als Fülle der Botschaft Gottes die Grenzen aufleuchten lassen, in denen sich jede Übersetzung der Gottesbotschaft ins Heute hinein gefangen sieht.
Wie die Regel ein „offener“ Text ist, so ist das Mönchsleben ein „offenes“ Leben. Bei aller Überzeugung, dass es eine gültige Form christlicher Existenz ist, weiß das Mönchtum um seine Nicht-Endgültigkeit, - seine Vorläufigkeit. Das mag als banale Selbstverständlichkeit gelten und das ist es wohl auch. Dessen ungeachtet – oder vielleicht gerade deswegen – scheint es mir notwendig, es ins Bewusstsein zu heben und zu formulieren. Die Reflexion des Selbstverständlichen kann den Blick für seine Grundlagen und Konsequenzen schärfen.
Echo dieser Offenheit ist Benedikts Hauptkriterium für die Aufnahme in die klösterliche Gemeinschaft: „... ob er wirklich Gott sucht.“ Kriterium ist nicht ein Glaubens-, geschweige denn ein Gott-Besitz, sondern die Suche. Es ist das Wissen um das Unterwegssein, - die Er- und Anerkenntnis der Bruchstückhaftigkeit aller aktuellen Glaubensverwirklichung, - die Sehnsucht nach dem „Mehr“, die Offenheit für „die goldenen Überraschungen des Herrn, von denen wir nur die Träume wissen“ (N. Sachs).
Konsequenz der Offenheit ist eine innere Weite, aus der heraus auch äußere Weite wächst. Es ist eine Erfahrung, dass Mönche über die Grenzen der Kirchenspaltungen – ja, sogar der Religionen - hinweg miteinander sprechen können, sich verstehen und und gegenseitig stehen lassen können. Mir will scheinen, dass diese Weite ein Strahl des mystischen Zuges im Mönchtum ist. Den mystischen Zug des Mönchtums nicht nur nicht abzulehnen, sondern ihn positiv aufzunehmen und zu entwickeln, könnte eine wichtige Binnenaufgabe für das Mönchtum selbst sein und ein Hauptakzent seiner Botschaft in die Kirche.
Albert Altenähr OSB
2005-10-06
[1] So die Übersetzung der Kapitelüberschrift in der Regelausgabe der Salzburger Äbtekonferenz. Der lateinische Text enthält im Wortlaut nicht den Begriff „Anfang des Weges“. Er lautet: „Darüber, dass nicht die ganze Beobachtung der Gerechtigkeit in dieser Regel festgelegt ist.“