Exodus 5,1
In der Wüste ein Fest
Jeweils am ersten Sonntag in der Fastenzeit wird im Morgengebet der Mönche der Abschnitt aus dem alttestamentlichen Buch Exodus gelesen, in dem Mose dem Pharao Ägyptens die Forderung vorträgt, das Volk Israel in die Freiheit ziehen zu lassen (Ex 5). Mose und Aaron gehen zum Pharao und sagen: „Lass mein Volk ziehen, damit sie mir in der Wüste ein Fest feiern“ (Ex 5,1).
In der Wüste ein Fest …? Für mich ist das zunächst eine überraschende Perspektive. Der passendere Festort wäre nach meiner Vorstellung die Oase, das reiche Fruchtland, der Garten Eden. Die Paläste islamischer Kultur mit ihren Wasserspielen spiegeln den Traum des Paradiesesfestes ebenso wie die Traumvillen des heutigen Jetsets.
Israel lebte im Nildelta Ägyptens in einem Land solchen Überflusses. Aber es lebte gleichzeitig die Versklavung. War es das Erleben der Spannung zwischen dem Herrschervolk, das im Überfluss lebte, und dem unterdrückten Fremdlingsvolk Israel, das Mose die Festbotschaft von der Wüste formulieren ließ? Oder war es eine ganz andere, tiefere Erkenntnis, die ihn bewegte?
Ich will die Sklaverei Israels in Ägypten einmal gegen den Strich der üblichen Überlieferung lesen. Da stehen dann nicht mehr zwei Völker gegeneinander, - nicht mehr Israel gegen Ägypten, - nicht mehr die Unterdrücker gegen die Unterdrückten. Ich lese die Geschichte im Sinn des Sprichwortes: Zwei Seelen kämpfen – ach! – in meiner Brust. Ich unterstelle dem Mose, dass er in seinen Israeliten selbst Doppelbödigkeit und Spannung erkennt. In ihnen selbst konkurrieren Versklavung und Freiheitssehnsucht. Sie sehnen sich durchaus danach, frei vom Joch der Plackerei zu sein und das Leben als ein Fest zu leben. Sie können sich aber von dem Drang nach Erfolg nicht befreien und unterwerfen sich den Zwängen des Weges zum Erfolg. Sie arbeiten und schaffen bis zum Umfallen. Vor lauter Arbeit - erfolgreicher Arbeit! – haben sie verlernt zu leben.
Mose lockt sein Volk weg von der versklavenden Plackerei aber auch von den Fleischtöpfen Ägyptens. Er lockt sie in die Kargheit der Wüste und den Freiheitsgenuss des Wenigen. Wer alles hat, glaubt nicht selten, dass er noch mehr braucht, um zufrieden zu sein. Wer wenig hat, kann einen Blick für den Reichtum gewinnen, den er in dem Wenigen besitzt.
In einer anderen Wüstengeschichte der Bibel rührt ein Engel den Propheten Elija an (1 Kön 19). Der gewahrt neben sich den Wasserschlauch und das Fladenbrot und in der Kraft dieses Wenigen kann er den weiten Weg der 40 Tage und Nächte zum Gottesberg Horeb gehen. Ein Schluck Wasser, - ein Bissen Brot, … in ihnen ist mehr Fest enthalten als in der Schlacht am kalten Buffet.
Unter dem Vorzeichen „Zwei Seelen – ach! – in meiner Brust“ gelesen ist die alte Geschichte erstaunlich modern. Sie stellt mir die Frage: Wonach sehne ich mich? Was versklavt mich?
„In der Wüste ein Fest!“ – lautet der Lockruf.
Abt Albert Altenähr OSB
2002-02-17