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„Der Abt sollte ein gutes Auge haben“

Aachener Zeitung, 30.07.2010. Der frühere Kölner Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes hat in der „Aachener Zeitung“ eine unregelmäßig erscheinende Interview-Serie „Antwerpes trifft …“. Im Juli 2010 hat er P. Albert zu einem Interview gebeten. P. Albert Altenähr hat als Abt das Benediktinerkloster in Kornelimünster geprägt. Und sich freiwillig früher als in der Regel üblich zurückgezogen. Er ist ein Mann des Glaubens. Pater Albert Altenähr hat als Abt der Benediktinerabtei in Kornelimünster viel Wertschätzung erfahren. Aber auch Gegenwind. Über all das und das Klosterleben berichtet er im Gespräch mit Franz-Josef Antwerpes.

Franz-Josef ANTWERPES: Pater Altenähr, wie wird man Abt eines Klosters?

Pater ALBERT: Die Mitbrüder wählen aus ihrer Mitte einen Abt.

A: Sind das besonders hervorragende Personen oder besonders fromme Zeitgenossen?

P. ALBERT: Ich glaube, weder das eine noch das andere. Man wird sich in der Gemeinschaft Gedanken machen: Was brauchen wir heute und in unserer konkreten Situation.

A: Sie sind 1982 zur Abtei Kornelimünster gekommen. Ist das für einen Westfalen ein neues Gefühl, tief im Rheinland zu landen?

P. ALBERT: Das ist zweifellos ein neues Gefühl. Ich bin aber nicht als Münsterländer im Rheinland gelandet, sondern als Benediktiner in einem Benediktinerkloster.

A: Was macht eigentlich ein Abt?

P. ALBERT: Das ist eine gute Frage. Der Abt sollte ein gutes Auge haben. Es sollte verbunden sein mit einem guten Gehör, um zu sehen, was in einer Gemeinschaft vor sich geht und zu erspüren, wie die Tonlage in der Gemeinschaft ist, um darauf reagieren zu können.

A: Nach 25 Jahren sind Sie als Abt zurückgetreten. Ist das üblich?

P. ALBERT: Als ich 1961 ins Kloster eintrat, war es üblich, einen Abt auf Lebenszeit zu wählen. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich viel geändert – auch in den Gedanken und im Fühlen, z.B. das Gefühl, dass ein Abt nur mit dem Tod abdankt. Es gibt inzwischen Obergrenzen. Das kann das 70. oder 75. Lebensjahr sein. Ich habe verschiedentlich die Beobachtung gemacht, dass manche Leute nicht nur als Äbte zu spät zurücktreten.

A: Das ist wohl wahr.

P. ALBERT: Ein Bischof hat einmal seinem Generalvikar gesagt: „Ich trete von meinem Amt zurück“. Der Generalvikar hat darauf geantwortet: „Aber Herr Bischof, es geht doch noch. Ich sage ihnen schon, wann es Zeit ist zurückzutreten.“ Antwortet der Bischof: „Ich glaube, dass sie mir das sagen. Es fragt sich nur, ob ich es dann noch verstehe.“

A: Was waren Ihre Beweggründe für den Rücktritt? Sie müssen doch persönliche Gründe haben.

P. ALBERT: Ich glaube, das war die Erkenntnis, ich könnte zwar noch bis zum 75. Lebensjahr weiter machen. In eigener Erkenntnis aber auch im Gespräch mit Mitbrüdern habe ich mir aber gesagt, ich würde nichts Neues mehr in den Stiel stoßen können. Ich könnte 10 Jahre noch so weiter machen wie bisher, aber da wären die Mitbrüder, die jetzt in einem guten Alter sind, auch 10 Jahre älter und dann vielleicht schon zu alt, um als „junge Äbte“ Leitung aktiv übernehmen zu können.

A: Haben Sie das so nach außen hin begründet?

P. ALBERT: Ich konnte 2007 mehrere markante Lebenszahlen feiern: Ich war 65 Jahre alt, war 25 Jahre Abt und 40 Jahre Priester. Damit konnte ich auch psychologisch verständlich vor die Öffentlichkeit treten.

A: Sie sind noch Visitator in der Kongregation Subiaco der Benediktiner. Zunächst mal die Frage. Sind die Benediktiner in verschiedene Kongregationen aufgeteilt und wie unterscheiden sie sich?

P. ALBERT: Bis zum Ende des vorvergangenen Jahrhunderts gab es eigentlich nur viele untereinander ungegliederte Benediktinerklöster. Papst Leo XIII hat die Benediktiner aufgefordert, sich zu einem „Orden“ zusammenzuschließen. Innerhalb dieser umfassenden Klöstergemeinschaft gibt es Untergliederungen. Das sind die Kongregationen. Sie können entstanden sein durch Filiation, also Tochter-Gründungen, durch regionale oder auch ideelle Zusammenschlüsse.

A: Welcher Kongregation gehört denn das Kloster Kornelimünster an?

P. ALBERT: Wir gehören zur Kongregation von Subiaco. Weltweit gehören zu dieser Kongregation 60 Klöster, in Deutschland nur zwei, nämlich Kornelimünster und Siegburg.

A: Wo sind die anderen?

P. ALBERT: In allen Kontinenten, in Europa, Afrika – vor allem im frankophonen Westafrika, in Asien - z.B. Vietnam, in Australien und Nord- und Südamerika.

A: Sie sind zwar kein Abt mehr, aber noch Visitator ihrer Kongregation. Was ist das?

P. ALBERT: Unsere Kongregation ist mit 60 Klöstern eigentlich zu groß, um als einheitlicher Bereich geleitet zu werden. Wir haben uns in Provinzen untergliedert. Die Provinzen wählen einen Visitator. Die Visitatoren sind die erweiterte Leitung der Kongregation. Sie treffen sich zweimal im Jahr in jeweils anderen Klöstern der Kongregation zur Beratung und gegebenenfalls zur Beschlussfassung in Fragen von allgemeinem Belang.

A: Meinen Sie nicht auch, dass das Klosterleben nach den Regeln des Benediktnicht etwas zu stark reglementiert ist? Hat das was mit Frömmigkeit zu tun? Ist das mehr Askese? Was steckt dahinter? Was hat sich Benedikt dabei gedacht?

P. ALBERT: Ich glaube, er würde heute eine ganz andere Regel schreiben, aber nicht auf Regeln verzichten. Eine Grunderkenntnis des Benediktinischen ist: Du kannst nicht frei leben, wenn du regellos lebst. Freiheit braucht einen Rahmen. Und wie im sog. richtigen Leben sind es oft besonders die kleinen Dinge, an denen wir uns reiben. Da Vorgaben, Bräuche, Abläufe, Regeln zu haben, entlastet von der Aufgabe, den Tag jeden Tag neu erfinden zu müssen. Wenn ich weiß, wie der andere, der Tag, eine Aufgabe „tickt“, kann ich mich darauf einstellen.

A: Sie sind seit kurzem mit einer Leitungsaufgabe in der Benediktinerabtei Siegburg betraut. Es gibt da ein Internetforum namens „Gespräche im Kreuzgang“. Da schreibt einer: „Abt Albert Prost Mahlzeit. Ich hoffe, er lässt nicht als erstes die Klosterkirche in kleine Räume unterteilen und die Gottesdienste in der Besenkammer feiern.“ Was sagen Sie dazu?

P. ALBERT: Das Umfeld dieses Forums scheint mir dezidiert rechtskatholisch zu sein. Allgemein zeichnen sich Foren auch nicht unbedingt durch qualitative und argumentative Leserbeiträge aus.

A: Meinen Sie damit, die „Gespräche im Kreuzgang“ stehen den Piusbrüdern nahe?

P. ALBERT: Eine solche Nähe würde ich dem Forum schon unterstellen. Ich bin aus dieser Ecke auch früher schon einmal als altliberaler Kirchenzerstörer bezeichnet worden.

A: Kann ja auch ein Kompliment sein.

P. ALBERT: Ich bezweifle, dass das als Kompliment gemeint war.

A: Es gibt ja Feinde, die machen einem unfreiwillig Komplimente.

P. ALBERT: Wenn Sie das so positiv sehen, ich als „altliberaler Kirchenzerstörer“, dann gut.

A: Sie haben einmal gesagt: Demut kann den Kopf unter dem Arm nehmen, ohne das Gesicht zu verlieren. Wie ist das zu verstehen?

P. ALBERT: Demut ist eine Tugend der inneren Stärke. Wenn ich weiß, wer ich bin, dann kann ich auch einmal darauf verzichten, meine eigene Meinung durchzusetzen, ohne mich zu grämen, damit eine Niederlage als Mensch und Person erlitten zu haben und jetzt unten durch zu sein. Ich kann meine Wertschätzung bewahren, aber ich muss sie nicht immer vor mir hertragen. Grundlage der Demut ist ein kräftiges Rückgrat; das ist durchaus flexibel. Ein labbriger Gartenschlauch, der keinen Stand hat und in sich zusammenfällt, kann das Rückgrat nicht ersetzen.

A: Die Klöster leiden unter Personalmangel – um es vorsichtig zu formulieren. Woran liegt es, dass immer weniger Leute ins Kloster gehen?

P. ALBERT: Zum einen gilt wohl sicher: Aufgabe der Klöster ist es nicht, Selbsterhaltungsbetriebe zu sein. Das als ihre Intention zu sehen, greift einfach zu kurz. Das ist Nabelschau und verliert die Perspektive einer Botschaft. Ich habe aber auf Ihre Frage keine definitive Antwort. Sicher ist es heute allgemein schwierig geworden, sich auf Dauer ganzheitlich zu binden. Das können sie von den Partei- oder Vereinsmitgliedschaften sagen. Das können Sie von der Ehe sagen. Und das spiegelt sich auch im Rückgang der Ordensberufungen. Mönche sind immer auch Kinder ihrer Zeit.

Der Interviewschluss fiel in der Zeitung dem Platzmangel zum Opfer: (Andere gibt es nicht. Selbstinszenierte Idealisierungen und entsprechende Fremderwartungen gehen an der Wirklichkeit vorbei. Verkäufer von Allheilmitteln sind, wie wohl überall, Quacksalber. Was heute sicher gefragt ist, das ist Authentizität des Lebens. Wo sie gespürt wird, da ist auch Zuspruch. Und Authentizität lässt auch ungelöste Fragen zu. Das Fragen ist so etwas wie das Salz in den Speisen. Ohne das Salz der Fragen ist auch Ordensleben nur eine fade Angelegenheit. Vielleicht sollten wir alle – und auch Sie – nicht nur auf die Zahlen der Menschen achten, die in den Klöstern leben, sondern auch auf die Zahlen der Menschen, die zu den Klöstern kommen.)