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Ein Schmuckstück im Gästespeisesaal unserer Abtei

Der Rabenschrank

Der Rabenschrank im Gästespeisesaal unserer AbteiAm 16. April 2003 erhielten wir den aufgearbeiteten Rabenschrank vom Möbelrestaurator Jurgeleit, Wegberg, zurück. Lange Jahre und Jahrzehnte hatte der fast schwarz getönte Schrank in einem nicht genutzten Raum unseres Klosters gestanden. Gewiss, er war nie ganz vergessen, aber er wurde in seiner Abstellecke auch nicht beachtet, - geschweige denn hochgeachtet. Irgendwann war er „ausgemustert“ worden, weil er nicht mehr in den Zeitgeschmack passte. Vor sechs Wochen hatten wir ihm dem Restaurator anvertraut.

Der Schrank ist eine exzellente Tischler-Arbeit unseres Mitbruders P. Benno Wessels und in seinen Schnitzereien von dem Kornelimünsteraner Bildhauer und Schnitzer Karl Löhr gearbeitet. P. Benno Wessels war von 1907-1922 und von 1923-32 Oberer der Kornelimünsteraner Gemeinschaft. Von 1932-1939 war er Prior in Ilbenstadt. Seinem handwerklichen Können verdankt die Kornelimünsteraner Neugründung solide Tür- und Fensterarbeiten. Nach der Auflösung Ilbenstadt kam P. Benno 1939 wieder nach Kornelimünster. Er starb im Januar 1944 Von Karl Löhr stammt in unserem Kloster das Lesepult in der Kirche und der Deckenleuchter im großen Sprechzimmer. Im Ort hat Karl Löhr das Kreuz an der Indebrücke gearbeitet.

Der Schrank ist nach einer auf seiner Rückseite eingeschnitzten Jahreszahl 1931 entstanden. Es ist ein massiv eichener Kredenzschrank mit geschwungenem Unterteil und schmalerem Oberteil, dessen Mitte noch einmal in die Höhe gezogen ist. Bei aller Wuchtigkeit gibt dies schmalere Oberteil dem Schrank doch eine gewisse Leichtigkeit.

Das Besondere des Schrankes sind seine Eichenschnitzereien, die ihn nicht nur allgemein als ein gutes Werkstück, sondern als einen „benediktinischen Klosterschrank“ definieren, der obendrein für einen ganz bestimmten Raum des Klosters, den Speisesaal der Mönche, bestimmt war.

Aus den beiden Kapiteln 39 und 40 der Regel Benedikt „Das Maß der Speisen“ und „Das Maß des Getränkes“ werden auf dem Schrank Versabschnitte zitiert und mit Schnitzereien illustriert.

Auf den beiden Türen des Oberteils erkennt man jeweils einen Krug, der von Weinranken umgeben ist. Es ist eine feine „durchbrochene“ Schnitzarbeit, die mit Glas hinterlegt ist. Auf den Krügen lesen wir die lateinischen Regelworte:

„Credimus heminam vini per singulos sufficere per diem –
Wir glauben, dass für jeden eine Hemina[1] Wein pro Tag genügt“ (RB 40,3);

„quibus autem donat deus tolerantiam abstinentiae propriam se habituros mercedem sciant –
 Diejenigen, denen Gott aber die Gabe der Enthaltsamkeit schenkt, sollen wissen, dass sie einen besonderen Lohn empfangen werden“ (RB 40,4).

Auf den beiden Außentüren des unteren Schrankteils hat der Schnitzer zwei wohlgenährte Karpfen verewigt. Um sie herum ranken sich Rosen, die – etwas unmotiviert – aus großen Füllhörnern aufsteigen. Die Begleitworte sind der in zwei Abschnitte geteilte Vers 11 von Regelkapitel 39. Da der zweite Versabschnitt kürzer als der erste ist, hat der Künstler ihn „gelängt“, indem er die Quelle des Zitates angibt:

„Carnium vero quadrupedum omnimodo ab omnibus abstineatur comestio –
Vom Fleisch vierfüßiger Tiere sollen sich alle ganz und gar enthalten“,

„praeter omnino debiles aegrotos. Reg.Cap. XXXIX –
abgesehen von den ganz schwachen Kranken. Reg(el) Kap(itel) 39.“

Die beiden Türen in der Mitte des Unterteils schmücken Obstschalen mit je einem Apfel, einer Birne, Pflaumen und Weintrauben. Aus Vers 3 des Regelkapitels 39 erläutern zwei Kurzzitate die Darstellung:

„Si fuerit unde poma –
Wenn es dort Früchte gibt“,

„addatur et tertium –
soll man sie als Drittes[2] hinzugeben.“

Vier Raben mit ausgebreiteten Flügeln stützen die Vorderkante des Schrank-Oberteils ab. Sie haben dem Schrank den bei uns gebräuchlichen Namen „Rabenschrank“ gegeben. Der Rabe ist das Symboltier, das dem hl. Benedikt in der Ikonographie als eines seiner Identifizierungsmerkmale beigegeben wird. Nach einem Bericht Papst Gregors des Großen  kam ein handzahmer Rabe regelmäßig zur Fütterung zu Benedikt. Als dem Heiligen einmal von einem missgünstigen Priester ein vergiftetes Brot geschenkt worden war, hat der Rabe es auf Geheiß Benedikts in unwegsamem Gelände entsorgt, wo es niemandem schaden konnte.

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Rabenschrank

Der Schrank ist nicht nur eine gute handwerkliche Arbeit. Auf seine stille Weise erzählt er auch von den Gesprächen, die der Obere des Klosters Kornelimünster mit dem Künstler aus dem Ort geführt hat, um ihn für das Schnitz-Programm des Schrankes zu gewinnen. Der Schrank erzählt auch von der Kultur und Würde, die benediktinische Tradition den Mahlzeiten gibt und wohl auch von den asketischen Akzenten, die im 19. Jahrhundert die Reformbewegung von Subiaco der benediktinischen Erneuerung zu geben versuchte. Der radikale Fleischverzicht war eines der Merkmale dieser Reform. Mit diesen Nachgedanken erweist sich der Rabenschrank nicht nur als ein Zeugnis soliden Hand- und Kunsthandwerks, sondern auch als Dokument einer gelebten Spiritualität.

Wenn wir dem Rabenschrank heute wieder einen Platz mitten in unserem heutigen Leben geben, dann soll das ein Zeichen sein, dass wir dankbar wahrnehmen, was Generationen von Mitbrüdern überhaupt und konkret in Kornelimünster gelebt und gewirkt haben. So sehr sich Akzente verschieben und Neues gewagt werden muss, so viel Achtung verdient das Überkommene.

Der aufgearbeitete Rabenschrank hat seinen Platz im neuen Speisesaal der Gäste gefunden. Er ist ein Ostergeschenk aus der Vergangenheit für den Neuaufbruch unserer Gästearbeit.

 


[1]  „Hemina“ (Becher) ist eine Maßeinheit, die zu vielen Spekulationen geführt hat. Im Ergebnis kommen sie  alle auf  die Größenordnung zwischen einem viertel und einem halben Liter heraus.
[2]  Vorauszusetzen ist, dass Benedikt im selben Regelvers sagt, dass zwei gekochte Speisen für alle Brüder ausreichen sollen.