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Aachener Zeitung, 31. Dezember 2014
Region & NRW, S. 9

Ein Traum von einem Menschenleben

Ein geschlossener Kreis: Wie aus dem vierfachen Familienvater Johannes Palm aus Jülich ein Benediktinermönch in Aachen wurde

Von Marlon Gego

Jülich/Aachen. Am Tag, als der Mönch David Johannes Palm starb, kam der Abt noch einmal zu ihm, gemeinsam sangen sie den Kanon „Komm doch und folge mir“. Kurz danach schlief Bruder David ein und wachte nicht mehr auf. Es war der 12. August 2014.

 

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Juni 2010

 

Palms Leben hatte 88 Jahre gedauert, und es gibt viel zu wenige Leben, die so reich waren wie seines. Nicht reich an Geld, auch nicht reich an Besitztümern, sondern reich an Freude, Glück, Liebe, Frieden und Musik. Palms Leben war außergewöhnlich reich an dem, was leichtfertig als Normalität bezeichnet wird.

 

Um Palms Glück begreifen zu können, muss man verstehen, dass er ein religiöser Mensch war, der nach dem Krieg Priester werden wollte. Da das Aachener Priesterseminar 1946 noch nicht wieder aufgebaut war, absolvierte Palm zusammen mit anderen Priesteramtskandidaten eine Art Hilfsseminar in Monschau-Mützenich im Haus eines höhergestellten Geistlichen. Während dieser Zeit muss in dem Haus etwas vorgefallen sein, das Palm nachhaltig verstört hat. Was es war, hat er keinem seiner Freunde je erzählt, auch seiner Familie nicht. Nach einem Gespräch mit dem damaligen Aachener Bischof, Johannes van der Velden, gab Palm den Wunsch auf, Priester zu werden. Stattdessen wurde er Volksschullehrer, ab 1949 in Monschau-Konzen, heiratete 1951 seine Freundin Hilde, ab 1960, nach einer Fortbildung, unterrichtete er an der Realschule in Jülich Musik und Religion und baute dort ein Haus.

 

Feiern, essen, musizieren

 

Wo immer Palm war, gründete er Chöre und Orchester: Im Gefangenenlager im US-Bundesstaat Mississippi, in dem er 1945 einige Monate als Kriegsgefangener verbringen musste, in Konzen, in Jülich. Welche Rolle Musik im Haus der Palms spielte, braucht nicht erklärt zu werden, wenn man weiß, dass die drei Söhne der Palms Berufsmusiker geworden sind. Das vierte Kind, die einzige Tochter, hatte begonnen, Querflöte zu studieren, als sie schwanger wurde und das Studium abbrach. Von den Musikern im Haus war Johannes Palm noch der am wenigsten begabte, was seiner Leidenschaft aber keinen Abbruch tat. Bei Palms wurde gefeiert, gut gegessen und Musik gemacht. Ein Traum von einem Zuhause.

 

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Familienständchen zum 85. Geburtstag, 16. März 2011

 

Palms Glauben blieb von der Entscheidung gegen den Priesterberuf unberührt. Er war ein aktives Mitglied der Jülicher Pfarre St. Franz Sales, machte in der Kirche Musik und suchte den regelmäßigen Austausch mit Geistlichen. Sein bester Freund, Joseph Pankert aus Eupen, den er 1944 in seiner in Aachen stationierten Luftwaffenhelferabteilung kennengelernt hatte, war Priester geworden, er und andere Geistliche waren regelmäßig bei Palms zu Besuch. Manchmal fuhren Pankert und Palm auch in Abteien oder Klöster, gingen gewissermaßen in Klausur.

 

Als die Kinder lange erwachsen waren und 1994 Palms Frau Hilde starb, war Palm für sein Gefühl etwas zu oft allein, es fiel ihm schwer, sich sinnvoll zu beschäftigen. Er versuchte es mit Reisen, aber das füllte ihn nicht richtig aus. Weltlichen Angelegenheiten gegenüber hatte er eine gewisse Apathie entwickelt, sie interessierten ihn zunehmend weniger. Er besuchte nun öfters die Benediktinerabtei in Aachen-Kornelimünster, auch die in Maria-Laach.

 

Am 7. November 1997, da war Palm 71, schrieb er seinen Kindern einen Brief. Darin erklärte er, dass er in seinem Leben so viel Gutes von Eltern, Lehrern, Kindern, Schwiegerkindern, Enkeln und natürlich von seiner Frau erfahren habe, dass er den Rest seines Lebens dafür danken und bei den Benediktinern in Kornelimünster um Aufnahme bitten wolle. Er schickte den Brief aber nicht sofort ab, sondern erst ein Jahr später. Seinen jüngsten Sohn Stefan traf die Nachricht völlig unerwartet, ein bisschen auch wie ein Schlag, seine Tochter Claudia war weniger überrascht. Und sein Freund Joseph Pankert hatte es kommen sehen. Statt als junger Mann Priester geworden zu sein, wurde am 2. Mai 1999 aus dem vierfachen Familienvater Johannes Palm Bruder David. Der Kreis seines Lebens hatte sich geschlossen.

 

Fr David Vater  Frater David Großvater  Fr David Urgroßvater
Vater - Großvater - Urgroßvater

 

Dass verwitwete oder geschiedene ältere Männer um die Aufnahme in geistliche Orden bitten, ist gar nicht selten, manchen erscheinen Klöster oder Abteien attraktiver als Altenheime. Weil die Orden ihre Gemeinschaft aber ernst nehmen, ist es die Ausnahme, dass jemand, der sein Berufsleben eigentlich schon hinter sich hat, in einen Orden aufgenommen wird. Bei Palm wurde diese Ausnahme deswegen gemacht, sagt Frater Antonius, einer der Mitbrüder Davids, „weil er sein ganzes Leben aus dem Gebet heraus gelebt hat“ und sich deswegen gut und mit Überzeugung in die Gemeinschaft einfügen konnte.

 

Das erste, was Bruder David in der Abtei tat: Er suchte nach Mitmusikanten und fand sie auch, samstagnachmittags wurde in der Abtei Musik gemacht.

 

Fr David Jul 2014
20. Juli 2014

 

Bruder David liebte es, unter Menschen zu sein, zuzuhören und zu erzählen. Seine Familie besuchte ihn oft, Joseph Pankert natürlich, auch andere Freunde und Verwandte kamen immer wieder zu Besuch in die Abtei. Bruder David fand, was er gesucht hatte. Er arbeitete an der Abteipforte, kümmerte sich um die Pflanzen im Garten und führte Gäste in das Leben in der Abtei ein. Als bei Bruder David die Parkinson-Krankheit und später, etwa 2011, Demenz diagnostiziert wurden, nahm er weiter am Klosterleben teil, die Mönche in Kornelimünster kümmerten sich um David, wie man sich um einen Bruder eben kümmert. Noch während seiner letzten Jahre deckte Bruder David den Tisch fürs Mittagessen im Speisesaal der Mönche, und obwohl er manchmal den ganzen Vormittag dafür brauchte, erfüllte er diese Aufgabe beharrlich, solange es eben ging.

 

Fr David Grabstätte in Jülich
Familiengrabstätte in Jülich

 

Bruder Davids Totenmesse fand am 18. August in der Abtei statt. Die Abteikirche ist eher groß als klein, und zu sagen, die Kirche sei voll gewesen, wäre eine Untertreibung. Abt Friedhelm erzählte aus dem Leben Bruder Davids, seine Kinder machten in der Kirche Musik. Es war eine Abschiedsfeier, an der Bruder David den größten Spaß gehabt hätte. Beerdigt wurde er dann aber nicht auf dem kleinen Friedhof hinter der Abtei, sondern in Jülich. In dem Grab, in dem 20 Jahre zuvor seine Frau Hilde bestattet worden war, die er während all der Jahre so vermisst hatte. Seine Todesanzeige war von den Mönchen aus Kornelimünster, von seinen vier Kindern, von 14 Enkeln und von fünf Urenkeln unterzeichnet. Ein Traum von einem Leben.

 

PS.: Die Fotos hier sind andere als im Beitrag der AZ.
fr.a. - 2014-12-31