Christsein im Spannungsbogen von Stabilitas und Gottsuche
In der benediktinischen Selbstreflexion und in der Betrachtung von außen hat das Versprechen der stabilitas ein hohes Aufmerksamkeitspotential. Ob die stabilitas verkürzt als Ortsbeständigkeit oder richtiger als Bindung in und an eine konkrete Gemeinschaft von Brüdern verstanden wird, - ob sie als Ausharren auf einem Weg gedeutet oder als Warnung vor einem geistigen Vagantentum gesehen wird, immer schwingt in der stabilitas der Gedanke von Kraft, Konsequenz, Ordnung, Zielrichtung mit.
Nicht im Irgendwie und Irgendwo, - nicht im Vielleicht oder Vielleicht-auch-ganz-anders, - nicht in der Unverbindlichkeit der Träumerei, sondern im Glauben an den Traum „Gott“ und seiner Zugkraft liegt die Wurzel der christlichen Berufung. Ein solcher Traum wird und bleibt lebendig, wenn er mit einem klaren Wollen bejaht wird. Er ist Arbeit, die nicht einfach immer nur leicht von der Hand geht. Er ist ein Weg mit Stolpersteinen und Steigungen, - mit Gratwanderungen und auch der Möglichkeit von Abstürzen. Vor allem ist er lang und braucht Geduld, - Geduld mit mir selbst, den Brüdern und auch den Umständen.
Wer diesen Weg aushält, wächst an seinen Herausforderungen. Er wächst heran zu geistlicher Manneskraft, die Gott aufnimmt und zur Vollendung führt. Er empfängt von Gott das Geschenk des Ehrennamens: „Mann Gottes.“
Vielleicht nach draußen weniger bekannt, dafür aber im benediktinischen Selbstverständnis noch stärker verankert, ist die Grundforderung Benedikts an den Mönch: „ob er wirklich Gott sucht.“ Diese Kurzzusammenfassung des geistlichen Strebens lässt sich in verschiedene Variationen aufschlüsseln: „wirklich Gott?“, „wirklich suchen?“, oder auch „zupackend tatkräftig?“, „offen für einen überraschenden Gott?“ Benedikts Kriterium einer Berufung kann allgemein für jede Berufung in tiefes Christsein gelten.
„Gott suchen“, - das ist die dynamische Seele der stabilitas. Das bewahrt sie davor, sich in festhaltender Statik zu verhärten. „Gott suchen“ stellt den Mönch und Christen auf einen Weg in die Zukunft, die nur als Reich Gottes erreichbar ist. Gott ist nicht klein, handlich und habbar. Im weiten Sehnsuchtsbogen, im großen Sehnsuchtsatem steht er im Horizont des Christenlebens.
Der Spannungsbogen von stabilitas und Gottsuche bewahrt vor den Fundamentalismen des einen und des anderen Extrems. Er weiß um Wert und Verpflichtung der Tradition und er wagt zugleich die Ent-Bindung, - das Sich-Verlassen auf Neues hin. So geschieht Geburt in lebendiges Leben.
Jesus rief mit lauter Stimme: „Komm heraus!“ Da kam der Tote heraus, seine Hände und Füße waren mit Binden umwickelt und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt. Jesus sagte: „Löst ihm die Binden und lasst ihn gehen“ (Joh 11,43f).
Albert Altenähr OSB
2009-01-27