Demut - das Lächeln des Glaubens
Als ich um den folgenden Beitrag (für das Theo-Magazin, Heft 2/2017) gebeten wurde, versuchte man mir die Zusage u.a. damit schmackhaft zu machen, dass ich ja vielleicht irgendwo etwas hätte, dass ich jetzt einfach freigeben könnte. Ich suchte dann auch und fand einige Gedanken von 2002, die ich auch heute noch in ein Gespräch über die Demut einbringen könnte und würde. Zugleich tat sich mir beim Lesen der alten Gedanken auf, dass ich heute etwas mehr sagen und insgesamt den Horizont weiter zeichnen würde.
Die alten Gedanken von vor 15 Jahren
In einem Gespräch vor meinem Klostereintritt – so erzählte meine Mutter gelegentlich – habe sie meinem künftigen Novizenmeister einmal gesagt, für das Ordensleben benötige man wohl vor allem Demut. Der Magister widersprach nicht. Ich habe nie erfahren, was weiter zu dem Thema gesagt wurde, aber ich hatte das Gefühl, dass meine Mutter mir die nötige Demut nicht zutraute.
Meine Mutter kannte die Benediktregel damals noch nicht. Hätte sie ihr langes siebtes Kapitel über die Demut gelesen, wäre sie gewiss in ihrer Aussage noch weiter bestärkt worden. Gleichzeitig wäre sie wohl etwas ratlos gewesen angesichts der zwölf Stufen, die Benedikt der Demut zuschreibt. Auch nach 40 Klosterjahren und auch als Abt tue ich mich nicht leicht, das Thema Demut Mitbrüdern, Neueintretenden und den Menschen überhaupt nahe zu bringen und schmackhaft zu machen. Das Wort ist belastet. Es wird nicht selten mit „gebrochenem Rückgrat“ und „Katzbuckeln“ assoziiert. In die heutigen Visionen von Ich-Werdung und Selbstverwirklichung scheint es nicht hineinzupassen.
Von mir selbst sage ich hin und wieder: „Es ist mir schon viel nachgesagt worden, - dass ich demütig sei, aber noch nie.“ Wenn man mit „Demut“ eine Schwäche zum aufrechten Gang und mit Minderwertigkeitsgefühlen verbindet, ... dann strebe ich sie auch nicht an. Demut ist nach meinem Dafürhalten ein positiver Wert, der zu einem gelungenen Leben einfach dazugehört. Hier und da habe ich ein Zipfelchen von ihr gesichtet ... und vielleicht sogar schon in der Hand gehalten.
Benedikts zwölf Stufen der Demut haben mich motiviert, zwölf Sätze zur Demut zu formulieren, die mich - und vielleicht auch den Leser - anregen, einmal neu über die Demut nachzudenken:
- Demut wächst aus der Stärke.
- Demut kann den Kopf unter den Arm nehmen,
ohne das Gesicht zu verlieren. - Einen Demütigen kann man nicht demütigen.
- Demut schaut in den eigenen Spiegel.
- Demut erklärt Versagen nicht weg.
- Demut entschuldigt sich bei anderen.
- Demut ist lernfähig und –willig.
- Demut ist das Ja zur Erde
und Sehnsucht nach dem Himmel. - Demut wagt den Schritt aus der Grenze in die Weite.
- Demut ist die Zumutung von Mut.
- Demut übt den Himmel.
- Demut ist nie Besitz,
sondern stets Versuch.
Der zugewachsene Horizont
Inzwischen sind 15 Jahre vergangen. Vor zehn Jahren habe ich die Aufgabe der Leitung unserer Gemeinschaft abgegeben. Ich habe das goldene Professjubiläum gefeiert, begehe in diesem Jahr das goldene Priesterjubliäum und bin 75 Jahre alt geworden. Angesichts solcher „Daten“ stellt sich durchaus die Frage, was war eigentlich in all den langen Jahren des Klosterlebens. … und da kommt dann diese Zeitschrift und fragt nach einem Beitrag über die Demut, jene Tugend, die mir meine Mutter 1961 als Lebensaufgabe in den Klostereintritt mitgab.
Ja, ich glaube in diesen 15 Jahren durchaus noch etwas geschehen. Da ist zunächst einfach die Entscheidung, die Leitung – das „Sagen“ – in der Gemeinschaft abzugeben und dann damit auch zu leben. Ich fand es nicht schwer zurückzutreten, es kann aber gelegentlich durchaus schwer werden, zurückgetreten zu sein und zu akzeptieren, dass die eigene Stimme jetzt nur eine im Zusammenspiel der Stimme aller anderen Mitbrüder ist. Das wiederum bedeutet nicht, dass ich jetzt den Mund halten sollte, weil ich nicht mehr „das Sagen“ habe. Meine Überzeugungen und Meinungen dürfen wichtig bleiben, aber sie mischen sich jetzt anders in das Gemenge der Entscheidungsprozesse der Gemeinschaft ein.
Wichtiger als das äußere Faktum des Amtsrücktritts wurde die Chance, Spiritualität ohne den Druck zu (er)leben, sie schnell und verbal in die Gemeinschaft und in das Umfeld des Kloster vermitteln zu müssen. Die Spiritualität durfte sich neu erleben als Saat, die Zeit braucht zum Wachsen und Reifen. Wenn ihre Zeit gekommen ist, dann bietet sie ihre Frucht an.
Mönchtum – die poetische Dimension des Christseins
Ich erlebe Christsein heute stärker in den Fängen des Machbarkeitsdenkens, als ich das in der Vergangenheit sah. Da ist zum einen das, was wir als Christen „nach draußen“ alles machen sollten und müssten. Ich empfinde den mssionarischen und diakonalen Impetus des Christentums in seinen gängigen Äußerungen von einem außerordentlicher Macher-Drang geprägt. Innerkirchlich – bis in die sehr persönliche Spiritualität (auch die eigene!) – meine ich, ein ähnliches Machen-müssen und –können zu sehen. Wo das kritisch angefragt wird, wird relativ schnell von Welt- und Verantwortungsflucht und von Flucht in eine privatistische Innerlichkeit geredet.
Vor vielen Jahren sagte der Abt meiner Heimatabtei, er antworte auf die häufige Frage „Was tut ihr eigentlich?“ gerne: „Wir sind!“ Die alte Aussage der scholastischen Theologie „Agere sequitur esse – Das Handeln erwächst aus dem Sein“ ist eine Variante dieses Wortes meines damaligen Abtes. Ich frage mich heute gelegentlich, ob ich das biblische Wort „Seid heilig, denn ich bin heilig“ (1 Petr 1,15) nicht auch übersetzen darf als „Seid, denn ich bin.“
Konkreter versuche ich mir diesen Horizont des Christseins als einen Horizont der Poetischen zu erschließen. Diese Dimension lässt mich die göttliche Leichtigkeit, das Spielerische, den Tanz, das Lachen und den Humor des Glaubens erahnen. Eine poetische Perspektive des Glaubens ahnt sich über das heute Erkannte hinaus in die Weiten un-endlicher Weiten. Sie liest das Buch Gottes mehr als An-Deutungen denn als Aus-und-zu-Ende-Deutungen. Eine Basta-Theologie des Jetzt-hab-ich’s und des abschließenden So-ist-es-Punkt-um ist mir im Laufe der Zeit immer fragwürdiger geworden.
In unserer benediktinischen Ordensregel ist mir das Berufungskriterium „…ob er wirklich Gott sucht“ ein Leitwort dieses Denkens geworden. Benedikt fragt nicht danach, ob der Mönch einen festen oder gar fertigen Glauben hat. Das Suchen, das wirklich Suchen, das wirklich Gott Suchen stellt den Mönch auf einen Weg der Sehnsucht, die hungriger wird, je weiter sie ihn führt.
Der Anfang, der Begleiter und das Ziel der Demut –
du Gott der Huld und Treue
Im Psalmengebet ist mir im Lauf der letzten Jahre die häufige Wortkombination „Huld und Treue“ (z.B. Ps 89) aufgestoßen und wichtig geworden. Die Einheitsübersetzung lässt diese Kombination nicht immer erkennen; sie variiert die Übersetzungen.
Die Aussage „Du bist ein Gott der Huld und Treue“ ist mir ein Cantus firmus des Psalmengebets geworden. Ich glaube darin die Summe des Glaubens der alttestamentlicher Dichter und Sänger zu erkennen. Sie singen Huld und Treue gewisser als die “Hausnummer“ Jahwes, als den „Polarstern“ für die Navigation durch die Landschaften ihres Lebens. Wenn es ihnen gut geht, ist es ihr Freudenlied. Wenn es ihnen schlecht geht, beschwören sie Jahwe mit diesem Doppel-Namen „Huld und Treue“: „Sei doch du selbst, du kannst dich doch nicht verleugnen.“
Natürlich dürften die alten Beter sich genauso gefragt haben wie wir heutigen es tun: reden wir uns das nicht nur ein. Ihre Antwort ist der Blick zurück auf die guten Erfahrungen, die der Einzelne, aber auch das ganze Volk mit diesem Gott gemacht hat. „Vergiss nicht das Gute, dass er dir getan hat“ (Ps 103,2). Solche Erinnerungskultur ist die Basis für die nächsten Schritte auf dem Weg und für das große Ziel, anzukommen in die „Ruhe“, den Sabbattag der Zeit. (vgl. Gen 2,3). Insofern greift es zu kurz zu sagen „Das reden wir uns nur ein“. Indem wir es in uns hineinreden und –singen, pflegen wir unser Inneres, stärken die Schrittsicherheit und schöpfen Kraft und Perspektive für das Weitere.
Demut – ein anderes Wort für das Ganze des Glaubens
Die Weiterung, die ich meinen alten Gedanken von 2002 gegeben habe, lässt natürlich fragen, ob ich wirklich beim Thema Demut geblieben bin. Ich glaube schon, allerdings mit einer wesentlichen Neuorientierung. Demut ist mir nicht mehr eine Einzeltugend neben anderen. Sie ist nicht ein Werkstück, das nach langer Arbeit hochkarätig fertig und dann gut geölt jederzeit abrufbar funktionsfähig ist. Sie ist ein Lächeln des Glaubens, der – wenn es gut geht – das Psalmwort spiegelt: „Die einen sind stark durch Wagen, die andern durch Rosse, wir aber sind stark im Namen des Herrn, unsres Gottes“ (Ps 20,8).
Albert Altenähr OSB
2002-06-22 / 2017-03-23
PS: Die Fotos im obigen Beitrag sind bei uns im Garten entstanden; sie sind nicht dem Theo-Magazin entnommen. Vielleicht sind es etwas viele Fotos, die das Lesen des Textes zu sehr unterbrechen. Andererseits wollen sie "Pausen-Elemente" sein, die zum eigenen (Weiter-)Denken einladen möchten.