Demut
In einem Gespräch vor meinem Klostereintritt – so erzählte meine Mutter gelegentlich – habe sie meinem künftigen Novizenmeister einmal gesagt, für das Ordensleben benötige man wohl vor allem Demut. Der Magister widersprach nicht. Ich habe nie erfahren, was weiter zu dem Thema gesagt wurde, aber ich hatte das Gefühl, dass meine Mutter mir die nötige Demut nicht zutraute.
Meine Mutter kannte die Benediktregel damals noch nicht. Hätte sie ihr langes siebtes Kapitel über die Demut gelesen, wäre sie gewiss in ihrer Aussage noch weiter bestärkt worden. Gleichzeitig wäre sie wohl etwas ratlos gewesen angesichts der zwölf Stufen, die Benedikt der Demut zuschreibt. Auch nach 40 Klosterjahren und auch als Abt tue ich mich nicht leicht, das Thema Demut Mitbrüdern, Neueintretenden und den Menschen überhaupt nahe zu bringen und schmackhaft zu machen. Das Wort ist belastet. Es wird nicht selten mit „gebrochenem Rückgrat“ und „Katzbuckeln“ assoziiert. In die heutigen Visionen von Ich-Werdung und Selbstverwirklichung scheint es nicht hineinzupassen.
Von mir selbst sage ich hin und wieder: „Es ist mir schon viel nachgesagt worden, - dass ich demütig sei, aber noch nie.“ Wenn man mit „Demut“ eine Schwäche zum aufrechten Gang und mit Minderwertigkeitsgefühlen verbindet, ... dann strebe ich sie auch nicht an. Demut ist nach meinem Dafürhalten ein positiver Wert, der zu einem gelungenen Leben einfach dazugehört. Hier und da habe ich ein Zipfelchen von ihr gesichtet ... und vielleicht sogar schon in der Hand gehalten.
Benedikts zwölf Stufen der Demut haben mich motiviert, zwölf Sätze zur Demut zu formulieren, die mich - und vielleicht auch den Leser - anregen, einmal neu über die Demut nachzudenken:
- Demut wächst aus der Stärke.
- Demut kann den Kopf unter den Arm nehmen, ohne das Gesicht zu verlieren.
- Einen Demütigen kann man nicht demütigen.
- Demut schaut in den eigenen Spiegel.
- Demut erklärt Versagen nicht weg.
- Demut entschuldigt sich bei anderen.
- Demut ist lernfähig und –willig.
- Demut ist das Ja zur Erde und Sehnsucht nach dem Himmel.
- Demut wagt den Schritt aus der Grenze in die Weite.
- Demut ist die Zumutung von Mut.
- Demut übt den Himmel.
- Demut ist nie Besitz, sondern stets Versuch.
Albert Altenähr OSB
2002-06-22