Gott ist ein Dichter,
Welt und Menschen sein Psalter
In seiner viel beachteten Rede anlässlich der Verleihung des Friedenpreises 2015 des deutschen Buchhandels[1] hat der Preisträger, Navid Kermani, eine Analyse des heutigen Islam entfaltet, deren Ansatz weit über die Grenze seiner Religion hinaus reicht. Es lohnt sich, diesen Ansatz in das Christentum hineinzudenken, in seine theoretische Theologie und in seine praktische Basiswirklichkeit. Ich selbst versuche, Kermanis Gedanken für mein Selbstverständnis als Mönch in der Kirche und in der Welt zu bedenken, für meinen „übersetzenden“ Umgang mit der Heiligen Schrift, für mein Feiern der Liturgie, für mein Predigen, für meine kurzen „Verdichtungen“.
Navid Kermani sagte in der Frankfurter Paulskirche: „Es war einmal denkmöglich und sogar selbstverständlich, dass der Koran ein poetischer Text ist, der nur mit den Mitteln und Methoden der Poetologie begriffen werden kann, nicht anders als ein Gedicht. Es war denkmöglich und sogar selbstverständlich, dass ein Theologe zugleich ein Literaturwissenschaftler und Kenner der Poesie war, in vielen Fällen auch selbst ein Dichter. …. Ein solcher Zugang zum Koran, obwohl er der traditionelle ist, wird [heute] verfolgt und bestraft und verketzert. Dabei ist der Koran ein Text, der sich nicht etwa nur reimt, sondern in verstörenden, vieldeutigen, geheimnisvollen Bildern spricht, er ist auch kein Buch, sondern eine Rezitation, die Partitur eines Gesangs, der seine arabischen Hörer durch seine Rhythmik, Lautmalerei und Melodik bewegt. Die islamische Theologie hat die ästhetischen Eigenheiten des Korans nicht nur berücksichtigt, sie hat die Schönheit der Sprache zum Beglaubigungswunder des Islams erklärt. Was aber geschieht, wenn man die sprachliche Struktur eines Textes missachtet, sie nicht einmal mehr angemessen versteht oder auch nur zur Kenntnis nimmt, das lässt sich heute überall in der islamischen Welt beobachten. Der Koran sinkt herab zu einem Vademekum, das man mit der Suchmaschine nach diesem oder jenem Schlagwort abfragt. Die Sprachgewalt des Korans wird zum politischen Dynamit.“
Es war einmal denkmöglich und sogar selbstverständlich, dass … die Bibel und die Kirche ein poetischer Text und eine poetische Wirklichkeit sind … Die Theologie und Sprache der Kirchenväter, - das frühe Mönchtum und seine Väter- und Mütter-Sprüche, - die Psalmen als Mutterboden und tägliches Brot für das Gebet der Klöster (… und das der Kirche allgemein), - die Himmelsstürme der Mystik, - die Musik und die Kunstwerke der und in den Kirchen, sie alle haben etwas Poetisches an und in sich. Mehr noch, sie sind Poesie des Glaubens.
Was bedeutet das für die Theologie, das Christsein, für mich als Mönch? Die poetische Dimension bewahrt den Glauben davor, ihn auf die Handlichkeit einer Gebrauchsanweisung zu reduzieren. Das Wissen um die Poesie des Glaubens sprengt das Denken, dass die Qualität der Religiösität sich mit einer Checkliste von diesem und jenem messen lässt. Mit dem Abhaken einer Liste von Geboten und Verboten lässt sich nicht feststellen, ob jemand ein „guter“ Christ, Katholik oder Mönch ist. Das Motto „Führ-den-Nippel-durch-die-Lasche“ ist zwar angenehm griffig, ist aber ein Werkzeug, das dem Glauben unangemessen ist.
Die poetische Dimension ist ein Korrektiv zu einer immer wieder festzustellenden Ethisierung und Asketisierung der Religion und des religiösen Lebens. Ohne in Frage zu stellen, dass Ethik und Askese ihren legitimen und notwendigen Platz im religiösen Leben haben, kann und darf Religion nicht darauf reduziert werden. Der häufig gehörten Warnung, dass Religion sich nicht in die Innerlichkeit zurückziehen dürfe, darf und muss geantwortet werde, dass Religion sich nicht in die Äußerlichkeit hinausflüchten darf. Mir scheint, dass die westliche Welt – und auch die westlich geprägten Kirchen - mit ihrem Effizienzdenken mindestens ebenso – wenn nicht sogar mehr – vor einem Mangel an Poesie und Innerlichkeit gewarnt werden müssen wie vor einer Überdimensionierung des Innerlichen. Die Seele darf nicht auf dem Altar des Erfolgs geopfert werden.
Die poetische Dimension führt das monastische Selbstverständnis zurück in die Einfachheit und hinaus in die Weite. Sie entdeckt die „Regula“ und verheddert sich nicht den „Regeln“, den Regulierungen, den Vorschriften der Ordenskonstitutionen, der Hausbrüche oder der liturgischen Rubriken.
Es ist wohl kein Zufall, dass die Regel des hl. Benedikt mit einem Prolog beginnt. Das ist nicht ein sprach-banales Vorwort, sondern ein gewicht-gefülltes Voraus-Wort. Und dieses Voraus-Wort beginnt mit einem Archi-Logos, einem Erst-Wort. Dieses erste Wort ist ganz einfach, es ist schlicht und einfältig, - ja, vielleicht darf man sogar sagen: es ist „unschuldig“: „Höre!“ In seiner Unschuld schaut das „Höre“ weit in die Tiefe und unendlich weit über die irdischen Grenzen hinaus. Könnte - oder sollte man es sogar?! – vielleicht so übersetzen: „Höre das neue Jerusalem?“
Wenn der Arzt seinen Patienten mit dem Stethoskop abhorcht, dann lauscht er auf die Töne unter der Haut. Sein Fachausdruck für dieses Tun ist „Auskultieren“, genau das Wort, mit dem die Regel Benedikts beginnt: „ausculta.“ Der Mönch Benedikts ist einer, der das Lied Gottes in den Dingen dieser Welt glaubt und seine Melodie aufspüren will. In dem Geschaffenen, dem Her- und Hingestellten glaubt er die dichte Liebe des Schöpfers. Er glaubt sich selbst und die Welt als ein Gedicht … und staunt, dass es so ist.
Albert Altenähr
2015-11-06
[1] http://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/819312/