Mönch und Kirche
Immer wieder erlebe ich mich als Mönch unter einem Rechtfertigungsdruck. Der Druck tritt von außen an mich heran, sei es von der sogenannten Welt, sei es aus den unterschiedlichsten Kreisen der Kirche. Der Druck kommt von den Mitbrüdern um mich herum, die auf der Suche nach sinnvollen und sie ausfüllenden Aufgaben suchen. Der Druck steigt immer wieder auch aus mir selbst herauf.
Mönch -, Kloster -, wozu eigentlich1? Was bringt es, Mönch zu sein? Was bringt es der Kirche, dass es Mönche gibt? Ist das Mönchsein mein Privatvergnügen, das den Mitchristen und der Kirche insgesamt gleichgültig bleiben kann, weil es für sie irrelevant ist, … weil sie halt nicht Mönche sind?
Oft scheinen die von außen Fragenden zufrieden zu sein, wenn man ihnen aufzählt, was die Mönche und ihre Klöster …, was ich, der Mönch, der ihnen Rede und Antwort steht, alles tut. Unsere Tätigkeiten, ob in Schulen, Werkstätten, Exerzitienhäusern, Pfarrgemeinden etc. scheinen hinreichende Legitimierungen für unser Dasein zu sein. Treffen diese Hinweise aber den Kern der Frage? Geben sie Auskunft über das Mönchsein? Oder reduzieren sie unser Mönchsein auf den Maßstab der nachrechenbaren Nützlichkeit?
Im Bistum Aachen ist ein Gesprächsprozess „Heute bei dir“ angestoßen, der in Kürze in seine Arbeitsphase starten wird. Bischof Dieser hat sich dazu im August in einem langen Live-Chat der Bistums-Website den Fragen der Gläubigen gestellt. Relativ zu Beginn greift der Moderator eine Frage nach den Ordensgemeinschaften auf, die im Vorfeld des Chats hereingekommen ist. „Er formuliert: „Welche Rolle spielen die (Ordensgemeinschaften) in dem Prozess?“ Bischof Dieser hebt hervor, dass sich viele Ordensleute zur Mitarbeit an dem Prozess bereit erklärt haben. Hinzu fügt er ausdrücklich: „… sie (die Ordensleute) beten für uns.“
Die weiteren Ausführungen des Bischofs bleiben weitgehend im Unverbindlichen und ohne größere Aussagekraft2. Das ist weniger eine Kritik an Bischof Dieser als eine Frage an den Moderator des Chats.
War die Frage, die dem Moderator vorlag, eine Frage tatsächlich nach den praktischen Mitmach-Möglichkeiten der Ordensleute in dem Gesprächs-Prozess der Jahre bis 2021? So scheint Bischof dieser die Frage verstanden zu haben. Seine Antwort geht auf diese Fragestellung ein.
Oder zielte die Frage eigentlich darauf ab, welche Stellung das Bistum den Ordensgemeinschaften in seiner Vision der weiteren Heute-bei-dir-Zukunft der Diözese beimisst? Wenn letzteres der Fall war, hätte der Moderator seine Frage präziser stellen müssen oder er hätte noch einmal nachhaken sollen.
Die Würzburger Synode: Grundauftrag der Orden
In der Mitte der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hat die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland (Würzburger Synode, 1971-1975) in ihrem Beschluss „Orden“ den Gemeinschaften einen Grundauftrag ins Stammbuch geschrieben, der in der Kirche und wohl auch in den Ordensgemeinschaften bis heute bedenkenswert und m.E. nur unvollkommen eingelöst ist.
„Der grundlegende Auftrag der geistlichen Gemeinschaften besteht darin, daß sie als Gruppe ... durch ihre Lebensordnung und ihren Dienst - die Verherrlichung Gottes und das Dasein für die Menschen - ein Zeichen sind für das in Christus angebrochene Heil“ (2.1.1).
Wenn ich den Satz auflöse, dann lese ich als erstes, dass es der Grundauftrag der Orden ist, „ein Zeichen für das in Christus angebrochene Heil“ zu sein. Sie erfüllen diesen Auftrag „durch ihre Lebensordnung und ihren Dienst“.
Der Begriff „Lebensordnung“ wird in dem zitierten Abschnitt nicht näher präzisiert; es wird anscheinend vorausgesetzt, dass man – wer auch immer das ist - das sowieso versteht und zwar im gleichen Sinn. Aus anderen Zusammenhängen des Textes, in denen das Wort auftaucht, scheint mir hier vor allem die Spannung von Individualrechten und Gemeinschaftsverantwortung im Blick zu sein.
Der „Dienst“ hingegen wird in einer Parenthese ausgeleuchtet, und zwar als „Verherrlichung Gottes und (als) Dasein für die Menschen“. Das ist mit seinem „und“ gut katholisch, aber im besten Sinn auch bestens biblisch, weil es Gottes- und Menschen-/Nächstenliebe zugleich in den Blick nimmt. Dass sich ein offizieller Text einer Synode um Ausgewogenheit bemüht, ist „politisch“ legitim, aber natürlich auch theologisch sinnvoll und notwendig. Im Folgenden versuche ich bewusst, die Ausgewogenheit des „und“ ein wenig zu verlassen, um eine der beiden Seiten herauszufokussieren.
Der Kern des Grundauftrags wird in der „christlichen Berufung“ gesehen, die unsere Überlieferung als „evangelischen Rat“ (Singular!) benennt. Dessen Mitte ist es, „daß der Mensch um Christi und seiner Botschaft willen und auf seinen Ruf hin sich von irdischen Sicherungen und Erfüllungen losreißt, um sich auf das eine Notwendige (vgl. Lk 10,42) einzulassen“ (2.1.3). Zentrieren wir diese Aussagen noch einmal weiter auf den Punkt: Berufung zielt auf das eine Notwendige; sie glaubt den Einen Not Wendenden.
Hier wird eine Freiheit in den Blick genommen, die die Gebundenheiten der Welt aufbricht und (trans-)endzeitliche Perspektiven eröffnet. Sie ist “ein ‚Angeld‘ des Zukünftigen (vgl. Eph 1,14) und ein Zeichen der Hoffnung“ (2.1.5). „Der Grundauftrag der geistlichen Gemeinschaften (hat) endzeitlichen Charakter ...und (übersteigt) alle nur innerweltlichen Zielsetzungen“ (ebd.). In diesem Sinn können und sollen geistliche Gemeinschaften .„eine gesellschafts- und kirchenkritische Funktion“ (2.1.6) haben.
Die Würzburger Synode fasst den wesentlichen Auftrag der Orden dahin zusammen, dass sie Kirche als Gemeinschaft des Gebetes und der Bruderliebe aufleuchten lassen. Sie formuliert: „So sollen sie (die Orden) dazu beitragen, daß die Kirche Gemeinde des Gebetes und der Bruderliebe ist, in der Gottes Heilshandeln in Jesus Christus und die Hoffnung auf die endgültige Zukunft wachgehalten wird“ (2.1.7).
Grundauftrag und konkrete Dienste
Aus den Folgerungen, die die Synode aus ihren grundsätzlichen Überlegungen zieht, beeindruckte damals (1975) wie auch heute (2018) der Satz „Geistliche Gemeinschaften erfüllen ihren Auftrag nicht schon dort, wo sie diesen oder jenen konkreten Dienst leisten“ (2.2.1). So sehr damals schon eine kritische Existenzsituation mancher Werke am Horizont sichtbar war (3.1.1), so sehr konnte der Satz als Mahnung verstanden werden, sich nicht auf der (Noch-)Großartigkeit der Werke auszuruhen. Heute kann dieser Satz vielleicht eher als Ermutigung gelesen werden. Zwar musste vieles in den vergangenen Jahrzehnten bereits zurückgefahren oder gar aufgegeben werden, aber der geistliche Grundauftrag geht nicht einfach in den Werken und Diensten auf. Sein Lebenszentrum sind die Menschen, die Brüder und Schwestern der Gemeinschaften, nicht deren Arbeitskraft und nicht die Werke.
In einem weiteren Absatz fordert die Synode eine heute (hoffentlich) selbstverständliche fachliche Ausbildung für die verschiedenen Aufgaben. In diesem Zusammenhang macht sie auf eine Gefahr aufmerksam, die den Leistungsanforderungen fast sachimmanent zu sein scheint: „Dabei kann aber leicht jenes Moment des Zweckfreien, das unbedingt zum Grundauftrag gehört, verkümmern und damit der Raum für Gebet und Gottesdienst oder auch der Mut zu dem im Verständnis der Welt Unrentablen, wie ihn manche Dienste erfordern, verlorengehen. Nur dort, wo die Gemeinschaften mehr sind als bloße Zweckverbände, können sie ein Ferment christlicher Menschlichkeit sein in einer Gesellschaft, die den Menschen immer einseitiger nach Leistung und Bedürfnissen beurteilt und verplant“ (2.2.2).
Ordensgemeinschaften, Klöster sind keine Zweckverbände. Sie sind in ihrem Kern Leuchttürme des Zweckfreien. In diesem Sinn leisten sie ihren wesentlichen Beitrag zum Menschsein der Menschen. Und zum Christsein der Christen. Sie halten die Dimension der Transzendenz offen.
Eine biblische Metapher und zwei Worte der Benediktsregel
Wenn ich nach einem biblischen Text oder Bild Ausschau halte, in dem ich mein Verstehen der Aussagen der Würzburger Synode wiederfinde, so kommt mir das Wort vom Sauerteig in den Sinn, der den ganzen Trog Mehl durchsäuern kann und soll (Matth 13,33 par). Das ist etwas anderes als eine Nützlichkeitserklärung mit dem Aufzählen von diesem und jenem, was die verschiedenen Orden und die einzelnen Ordensleute hier und da und dort tun und leisten. Der Sauerteig will mit seinem inneren Gärpotential das Ganze des kirchlichen Klimas prägen helfen, „dass in allem Gott verherrlicht werde“ (1 Petr 4,11; RB 57,9).
In der Regel Benedikts glaube ich, vor allem zwei Grundworte zu finden, in denen die Gedanken der Würzburger Synode aufscheinen.
Die Einstiegsworte der Regel „Ausculta o fili praecepta magistri - Höre, mein Sohn, die Weisung des Meisters ...“ (RB Prolog1) wecken das Grundklima benediktinischen Ordensverständnisses. Sie sind bereits die ganze Regel, deren 73 Kapitel dann dieses Wort zu buchstabieren versuchen. Ich übersetze die lateinischen Worte gerne in die medizinische Fachsprache: „Auskultiere, mein Sohn, Gottes Wort.“ … und das heißt in unser Patientendeutsch übersetzt: „Horche das Wort Gottes ab, wie der Arzt dich mit seinem Stethoskop abhorcht.“ Es geht im Ordensleben also im wesentlichen darum, die innere Melodie der Gottesbotschaft zu erhorchen und sie in das Leben hineinzuleben. Der Buchstabe einzelner Ordenregeln einer Gemeinschaft ist ohne diese Melodie vielleicht eindrucksvolles, aber eigentlich leeres Geklapper.
Das andere Wort der Benediktsregel spricht von der Eintrittsbedingung in ein Kloster. Man soll den Noizen darauf abklopfen „ob er wirklich Gott sucht“ (RB 58,7). Der Ordensweg wird als Suchprozess aufgezeigt, der bereit ist, wirklich bis zum letzten Ziel zu gehen. Gott als stets bleibende und immer neue Frage verhindert, dass wir uns irgendwann als Glaubende zur Ruhe setzen und uns nicht mehr bewegen. Gott als Frage ist der Gott der lebendigen Sehnsucht und der Bereitschaft zu einem langem Weg.
Das letzte Wort der Regel Benedikts ist ein tröstlich verheißendes Schlusswort: „pervenies – du wirst ankommen“ (RB 73,9). Dem ist nichts hinzuzufügen.
Albert Altenähr
2018-09-22
1 Wenn ich hier und weiterhin von „Mönch“ und „Kloster“ spreche, dann weil es mein persönlicher Hintergrund ist. Die weiteren Begriffe „Ordensgemeinschaft“ und „Ordensleute“ sollten dabei einfach mitgehört, mitbedacht werden. Meine Überlegungen kreisen allgemein um den Auftrag des Ordensbotschaft in der Kirche.
2 Wortgetreue Nachschrift aus dem Chat: „Die Orden sind wirklich eine große Gemeinschaft von Unterstützern und Unterstützerinnen. Sie beten für uns, und sie sind schon jetzt das, was auch im Prozess zur Frage wird: Wie werden wir künftig geistliche Orte und geistliche Gemeinschaften haben? Da sind die Orden, die wir haben, schon jetzt wichtige Hinweise, wie sie ihre Sendung leben. Und diese Frage, wie lebe ich meine Sendung, stellt jeder Orden für sich selber. Da kann ich als Bischof nicht einfach hineinregieren, sondern die Orden sind selbständig. Und das ist ein Reichtum für die Kirche. Und ich freu mich, dass die Orden den Impuls unseres Prozesses auch für sich selber entdecken und annehmen.“