„Er zieht mich heraus aus gewaltigen Wassern“ (Ps 18,17)
Zum Fest der hl. Maurus und Placidus (15. Januar)
Schüler des hl. Benedikt
Fresko, Subiaco, Sacro Speco
Die Erzählung über die Rettung des Placidus aus dem See von Subiaco …
(Gregor d.Gr., Dialoge II,7,1) Eines Tages weilte der heilige Benedikt in seiner Zelle. Der schon erwähnte junge Placidus aus dem Kloster des heiligen Mannes ging an den See, um Wasser zu holen. Aus Unachtsamkeit ließ er das Gefäß, das er in Händen hielt, ins Wasser fallen und stürzte sogar selbst hinein. Sogleich erfasste ihn eine Woge und riss ihn etwa einen Pfeilschuss weit vom Ufer weg.
Doch der Mann Gottes erkannte das sofort in seiner Zelle und rief Maurus eilends herbei: »Bruder Maurus, lauf schnell! Der Knabe ist beim Wasserholen in den See gefallen, und eine Woge treibt ihn schon weit hinaus! «
(II,7,2) Etwas Wunderbares geschah, wie man es seit dem Apostel Petrus [vgl. Mt 14,28.29] nicht mehr erlebt hatte. Maurus erbat und empfing den Segen, lief auf Befehl seines Abtes sofort bis zu der Stelle, wo die Woge den Knaben Placidus dahintrieb. Er glaubte auf festem Boden zu gehen und lief doch über das Wasser. Da packte er ihn an den Haaren und lief zurück, so schnell er konnte. Kaum war er am Ufer, kam er zu sich, blickte zurück und erkannte, dass er über das Wasser gelaufen war. Was er niemals für möglich gehalten hätte, war zu seiner Verwunderung und Bestürzung geschehen.
(II,7,3) Er kam zum Abt zurück und erzählte, was sich ereignet hatte. Der heilige Mann Benedikt aber schrieb das nicht seinem eigenen Verdienst zu, sondern dem Gehorsam des anderen. Maurus jedoch behauptete, es sei nur auf Befehl Benedikts geschehen; er sei sich dabei keiner eigenen Kraft bewusst gewesen und habe unbewusst gehandelt. Diesen freundschaftlichen Wettstreit beider in der Demut entschied der gerettete Knabe. Er sagte: »Als ich aus dem Wasser gezogen wurde, sah ich über meinem Kopf den Umhang des Abtes, und für mich war er es, der mich aus dem Wasser zog.«
… ist dem Bericht über den Gang des Petrus auf dem See Genesaret (Matth 14) nachgestaltet. Gregor d.Gr., der Verfasser der Vita Benedikts, weist selbst darauf hin: „Etwas Wunderbares geschah, wie man es seit dem Apostel Petrus nicht mehr erlebt hatte.“
Benedikt als Abt verkörpert eindeutig Jesus, der dem Petrus den Auftrag/den Ruf gibt: „Komm“. Benedikt schickt seinen Schüler Maurus, Placidus zu retten: „Geh …!“
Der Maler des Bildes von Subiaco scheint die Identifizierung Benedikt = Jesus noch ein wenig weiter ins Bewusstsein rücken zu wollen. Bei Matthäus entlässt Jesus nach der Brotvermehrung die Jünger und die Menge. Danach „stieg er auf einen Berg, um in der Einsamkeit zu beten“ (Matth 14,23). Gregor lässt Benedikt die Not Placidus’ in seiner Zelle erkennen. Der Maler hingegen positioniert Benedikt nicht in einem Klostergebäude und in einer Zelle; er malt ihn in einer Höhle. Das ist zweifellos der „Sacro Speco“, die Urzelle des späteren Klosters. Es ist der Ort der „geliebten Einsamkeit“, an den sich Benedikt zurückzieht, um sich im „habitare secum – im Zu-sich-Kommen und Bei-sich-Sein“ zu sammeln. Benedikt in der Höhle …, das ist nicht der Klostervorsteher, nicht der Macher, der alles im Griff hat und ständig die Welt rettet. Er ist vielmehr der Beter vor Gott, der in ihm zu Hause ist und aus ihm heraus handelt. Wie Jesus auf dem Berg ist Benedikt in der Höhle "nur" und ganz er selbst. Er ist "bei sich", nicht "mitten im Geschehen/Getriebe/Betrieb dazwischen".
Placidus „ist“ Petrus, der im See untergeht und Hilfe braucht. Man kann durchaus weiter darüber sinnieren, dass von Placidus nicht gesagt wird, dass er – wie Petrus es tat – um Hilfe rief. Benedikt/Jesus sieht die Not des Knaben, die der ihm nicht kund schreit. Ist Placidus ein Bild für den Mönch in Nöten, der „alleine“ mit allen Fragen fertig werden will und sich „in se ipsum – in sich selbst“ verschließt? Hilfsbedürftig, aber nicht hilfebittend; ein Gefangener seiner Not?
Maurus ist vielleicht die spannendste Gestalt der Erzählung. Er „ist“ sowohl Petrus als auch Jesus. Er geht auf dem Wasser als sei es fester Grund, so wie auch Petrus. Anders als Petrus wirft er keinen Blick auf das Wasser, den Wind und die Wellen. Er ist nur Ohr für das „Geh …!“
Maurus „ist“ aber auch Jesus. Er greift Placidus/Petrus und rettet ihn auf festen Boden. Placidus unterstreicht indirekt die Identifizierung Maurus = Jesus, indem er bekennt: „Als ich aus dem Wasser gezogen wurde, sah ich über meinem Kopf den Umhang des Abtes [= auf dem Fresko das schwarze Stoffgebilde über Placidus], und für mich war er es, der mich aus dem Wasser zog.“ Maurus war zwar der konkret Agierende gewesen, Placidus „sieht“ aber einen anderen handeln: Benedikt/Jesus.
Natürlich ist die Geschichte eine Erzählung über den Wert und die Frucht des Gehorsams und der Demut. In einem etwas breiterem Blick, lässt sich eine Verbindung zum Regelwort herstellen: „Sieht man etwas Gutes bei sich, es Gott zuschreiben, nicht sich selbst“ (RB 4,42).
Sie führt aber den Blick auch auf die Möglichkeiten jedes Mönchslebens hin: auf die Phasen der Stärke und die Möglichkeiten des Absackens, Untergangs. Maurus ist der starke, Placidus der Mönch in Krise.
In ihrem Erleben auf und mit dem Wasser beleuchten Maurus und Placidus darüber hinaus das Miteinander der Mönche (…und ganz allgemein: der Christen?). Fragen des Helfens und des Sich-helfen-Lassens, der geistlichen Begleitung, der „correctio fraterna – der brüderlichen Hinweise“ können im Kontext dieser Erzählung bedacht werden.
Ist die Erzählung vielleicht sogar eine "Zusammenfassung" der ganzen Regel Benedikts: "So ist, so geht Kloster. So geht Abt-Sein. So geht Gemeinschaft" ?
Albert Altenähr
2016-01-15/17
PS.: Die obige Fassung des Beitrags ist eine Erweiterung der Erstfassung vom 15.1.2016.