Von der Kostbarkeit der Eucharistie
„Das Heilige den Heiligen!“
Natürlich kenne ich das Wort der alten Kirche vor der Austeilung der Kommunion: „Das Heilige den Heiligen.“ Ich weiß auch, dass dieses Wort bis heute zur Eucharistiefeier der ostkirchlichen Riten gehört. Aber mein Wissen um dieses Wort ist eigentlich nicht so tief in mein Bewusstsein, - geschweige denn in mein Herz – gedrungen, dass es mich geprägt hat oder heute prägt. Als ich es vor kurzem in der Deutsch gefeierten Liturgie des Patriachen Gregorios III. von Antiochien in unserer Abteikirche vernahm[1], weckte der Ruf eingeschlafenes Wissen auf und ließ es – im guten Sinn – beunruhigend wach werden.
Mir wurde neu bewusst, für wie entscheidend und auch unterscheidend das frühe Christentum das Bekenntnis zu Christus und das rechte Verständnis dieses Bekenntnisses nahm. Die frühen Christen betrachteten sich nicht als Allerweltsmenschen, sondern als Heilige aus dem Geschenk der Teilhabe an dem Alleinheiligen. Die Eucharistie und ihr Empfang war kostbarstes Zeichen des Teilnehmen-Dürfens an seiner Alleinheiligkeit.
Beim Suchen zu Aussagen zum ganzen Themenbereich stieß ich u.a. auf den Hinweis, dass unser westliches Denken den „Communio Sanctorum“-Begriff sehr stark soziologisch akzentuiert hat. „Communio Sanctorum“ übersetzen wir mit „Gemeinschaft der Heiligen“. In „Communio / Kommunion“ schwingt unbewusst sehr schnell das soziologische Gemeinschaftsmodell einer Gruppe – das Kommunikative und miteinander Kommunizierende - mit. Der entsprechende griechische Begriff „koinonia toon agioon“ besage dagegen zuerst und vor allem „(geschenkte) Teilhabe an den heiligen Gaben“. Während unser westliches Denken schnell die horizontale Verbundenheit in den Blick gewinnt, betont das ostkirchliche Denken die vertikale Linie. So wenig wir die beiden Denkmodelle gegeneinander ausspielen sollten, so sehr sollten wir sie in ihrer Unterschiedlichkeit wahrnehmen und uns von dem uns persönlich vielleicht fremderen Modell anfragen und bereichern lassen.
Als ich in der Göttlichen Liturgie des hl. Johannes Chrysostomus in unserer Abteikirche den Ruf des Diakons „Das Heilige den Heiligen“ vernahm, war das in meiner Wahrnehmung wie ein „schneidender Trennspruch“ der Vertikalität. Im Ritus der Liturgie der Ostkirchen ist es tatsächlich ein Trenn-Wort: Es will die Taufbewerber von den Getauften trennen. Nicht der „Jedermann“ soll zum Kommunionempfang vortreten, sondern die Getauften, - die, die Taufe leben. Und dann in der sich selbst ernst nehmenden Orthodoxie auch nur die, die zuvor zur Beichte gegangen sind. Ich erinnere mich an den Besuch einer Eucharistiefeier im ostkirchlichen Ritus, den ich vor Jahren mit einer Gruppe im Benediktinerkloster Chevetogne machte. Da wurden wir vor der Feier dezent auf die Notwendigkeit der Beichte aufmerksam gemacht, wenn wir denn kommunizieren wollten.
Aus dem hohen Bewusstsein für das außerordentliche göttliche Geschenk, das letztlich Gott selber ist, pflegte die alte Kirche eine gestufte Hineinnahme in die liturgischen Vollzüge des Glaubens. Nur nach und nach, schrittweise wurden die Taufbewerber in die Feier der Eucharistie zugelassen. Es war die Überzeugung, dass das Wertvolle, das der Glaube bedeutet, auch Grenzziehungen nach draußen verlangt. In besonderen Riten wurden Neubekehrten das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser übergeben. Die Hochachtung vor dem Alleinheiligen und die realistische Selbsteinschätzung, dass ein überzeugter Glaube nicht in ständiger Hochform gelebt werden kann, führte streckenweise dahin, die Taufe erst auf dem Sterbebett zu empfangen.
Sehr anregend finde ich die Deutung, dass die Betonung des „Geheimnis-Schutzes“ – und seine auch rituelle Konkretisierung etwa in Grenzziehungen für die Teilnahme an der Kommunion – gar nicht als Ziel hatte; irgendwen auszugrenzen, - oder sagen wir es noch ein wenig „unangenehmer“: auszuschließen. Ganz im Gegenteil suchten solche Grenzziehungen zu ermuntern, sich wirklich anzustrengen und dem hohen Wert des Geheimnisses – also z.B. der Kommunion – die ganze Sehnsucht und einen dem Wert der Gabe würdigen Lebenswandel zu schenken[2].
„Das Heilige den Heiligen!“ Der Ruf in der ostkirchlichen Liturgie in unserer Kirche erinnerte mich daran, dass die Kommunion keine „Discount-Ware“ ist, - auch kein Sache, auf die ich mit der Taufe ein „Recht“ habe. Sie ist „teure Gnade“ (Bonhoeffer), - ein kostbares Geschenk, das ich mir wirklich etwas kosten lassen muss.
Das Wort erschreckte mich und erschreckt mich immer noch; denn kann ich ihm wirklich gerecht werden? Ich kann es nicht, wenn ich anstrebe, ein mit Urkunde und Siegel ausgewiesener „Schein-Heiliger“ zu werden. Ich hoffe ihm gerecht zu werden, indem ich Taufe und Profess als einen bleibenden Katechumenat auf Gott hin verstehe und lebe. Ein geistlicher Meister kann nur werden, wer Lehrling bleibt. Das ist kein fromm und leicht dahin gesagtes Wort, sondern harte Schule der Demut.
Abt Albert Altenähr OSB
2003-09-20
[1] Am Fest Kreuzerhöhung, 14. September 2003.
[2] Vgl. Aritkel: D. Poweill, Arkandisziplin, in: TRE, Bd. 4, S. 1-8, hier: S. 7. Vgl. auch: Chr. Jacob, Arkandisziplin, in: LThK³, Bd. 1, 900f.